Berlin. Verena Sam erhielt die Diagnose Brustkrebs. Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie ein Buch über ihr Leben mit der Krankheit geschrieben.
Er kommt plötzlich ins Leben, unerwartet. So war es auch bei Verena Sam. Im Sommer 2018 liegt sie mit ihrem Mann Achim in der Hängematte. Er streichelt sie, ertastet etwas Ungewöhnliches. Tage später bestätigt sich ihre schlimme Vermutung: Verena Sam hat Brustkrebs. Er hat bereits gestreut.
Der Arzt macht dem Paar keine Hoffnung: Palliativstadium vier, keine Aussicht auf Heilung. Er gibt Verena Sam noch zwei, maximal fünf Jahre. Eine Welt bricht zusammen. Die Unbeschwertheit verpufft.
Verena Sam ist zum Zeitpunkt der Diagnose erst 35 Jahre alt. Sie ist Fitnesstrainerin, ernährt sich gesund, hat ein stabiles Umfeld, eine harmonische Beziehung – und positive Energie. Sie lässt sich von der niederschmetternden Botschaft nicht kleinkriegen. Sie liest, recherchiert, holt sich Hilfe auf allen Ebenen – ihr Mann, Ernährungswissenschaftler und Autor, unterstützt sie.
Als starkes Team lernen die beiden mit dem Krebs zu leben, gemeinsam gegen die Krankheit zu kämpfen. Ihre Erkenntnisse, ihre Geschichte packen sie in ein Buch, unterstützt von Experten: der „Krebs-Kompass.“
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Frau Sam, warum haben Sie sich gemeinsam mit Ihrem Mann für diesen Schritt entschieden?
Verena Sam Der Impuls kam eigentlich von einem Bekannten. Er war von dem Weg beeindruckt, den wir gehen – von unserem Umgang mit der Krankheit, dem Optimismus und dem Blick nach vorne.
Am Ende habe aber ich den Startschuss gegeben. Ich hätte ein Buch wie dieses selbst gebraucht, als ich die Diagnose bekam: eine schnelle, wissenschaftlich fundierte Orientierung, praktische Tipps und Anregungen. Ich fand es krass, wie viel Wissen ich mir selbst aneignen musste. Davon sollten andere profitieren. Zeitgleich war das Schreiben für mich sehr befreiend.
Sie haben gerade von „wir“ gesprochen – dem gemeinsamen Umgang mit der Krankheit. Das betonen Sie auch im Buch. Warum?
Achim Sam: Verena ist die Betroffene, ganz klar. Eine solch schwere Krankheit hat aber immer auch Auswirkungen für das Umfeld: die Familie, Freunde, Partner, Kollegen. Sie hat Auswirkungen auf alles und jeden. Diese Erkenntnis ist hart. Ich stand unter Schock, die Mutter weinte – das Leid der anderen hat Verena am Anfang mehr belastet als der Krebs selbst. Fast jeder hat unbewusst viele der eigenen Sorgen bei ihr abgeladen. Und das ist nicht in Ordnung. Verena hat mich früh gebeten, mir psychologische Unterstützung zu suchen. Auch um dann für sie stark sein zu können. Wie im Flugzeug: Kümmere dich in einer Notsituation erst um dich, dann um andere. Das habe ich gemacht, und es hat mir sehr geholfen. Verena hätte sich das auch von ihrer Familie gewünscht.
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Wie wichtig ist ein unterstützendes Umfeld?
Verena Sam Das ist enorm wichtig – egal bei welcher schweren Krankheit. Unser damals bester Freund kam einmal ins Krankenhaus. Seitdem haben wir ihn nie wieder gesehen. Das war kein Einzelfall. Das hat mich am Anfang schwer getroffen. Ich wurde gewarnt, darauf vorbereitet, wollte es aber nicht glauben.
Mein Bruder hat mir unerwartet den Job gekündigt – trotz gemeinsam aufgebautem Fitnessstudio. Klärende Gespräche hat es nicht gegeben. Das beschäftigt mich. Gleichzeitig weiß ich, wie wichtig es ist, sich von Menschen und Situationen zu befreien, die einem nicht guttun. Das ist wie mit heißen Kartoffeln: einfach loslassen. Nur dann hat man wieder beide Hände frei. Ändern kann man es nicht.
Dafür sind neue Freundschaften entstanden. Es sind jetzt Menschen da, von denen ich nie gedacht hätte, dass sie uns so einen Halt geben. Solche Menschen braucht man im Leben – immer.
Sie sind ein gutes Beispiel für mündige Patienten: Sie können Befunde verstehen, wissen, was mit und in Verenas Körper passiert. Ist das überhaupt etwas für jeden?
Achim Sam Das ist wahnsinnig schwer. Natürlich sehnt man sich als Betroffener danach, einfach an die Hand genommen zu werden. Das können Ärzte und Klinikpersonal aber gar nicht leisten. Herzlichkeit und Hartnäckigkeit machen sich aber definitiv bezahlt. Dass Verena seit Beginn an für sich kämpft, liegt an ihrer Grundhaltung und Veranlagung. Sie überrascht mich jeden Tag aufs Neue.
Überraschen Sie sich manchmal selbst, Verena Sam?
Verena Sam Definitiv. Die Opferrolle kam für mich noch nie infrage. Ich wollte nie zum Beifahrer im Kampf gegen meine Krankheit werden. Mein Platz ist der Fahrersitz. Das hilft mir sehr. Dass ich so viel positive Energie in mir trage, war mir aber gar nicht bewusst. Beim Sport ist es ähnlich. Er war immer Teil meines Lebens und wird es immer bleiben. Er tut mir unheimlich gut, selbst wenn es mir körperlich schlecht geht. Ich lasse mich nicht beirren. Ich scheine die richtige Intuition zu haben. Bei gesunder Ernährung ist es ähnlich.
Ich kann jedem Betroffenen nur raten, auf sich zu vertrauen. Jeder sollte das tun, was ihm ein gutes Gefühl gibt. Das gilt auch für die Wahl des Krankenhauses, der Ärzte und so weiter. Der Satz „Jeder hat einen optimistischen Onkologen verdient“ hat sich bei mir eingebrannt.
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Hat Sie die Krankheit verändert?
Verena Sam Durch die Krankheit wird man gezwungen, sich unglaublich zu entwickeln – auf vielen Ebenen und in vielen Bereichen. Daher kann ich der Krankheit auch etwas Positives abgewinnen. Aber gelacht habe ich schon immer viel.
Achim Sam Ich weiß, dass ich ohne Verena, ohne ihr Lachen in der Krise, ohne ihre Stärke und ihre positive Haltung zum Leben, nicht der Mann wäre, der ich heute bin. Ich bin dankbar, jeden Tag mit ihr und durch sie zu wachsen.