Berlin. Wer die Affäre in eine Beziehung umwandeln möchte, steht vor konkreten Hürden. Eine Paartherapeutin gibt Tipps, damit es gelingen kann.
Beim Sex schüttet der Körper unter anderem Oxytocin aus und vermittelt uns, wir seien verliebt. Kein Wunder also, dass bei regelmäßigem Sex mit dem gleichen Menschen schnell Gefühle entstehen. Was aber, wenn man selbst oder der Sexpartner eigentlich bereits vergeben ist? Wann und wie lässt sich eine Affäre in eine Beziehung umwandeln? Und wann sollte man besser die Finger davon lassen?
Eine Studie der University of Maryland (UMD) aus dem Jahr 2020 unter 495 Menschen, die in der Vergangenheit bereits untreu gewesen waren, zeigte, dass gerade mal elf Prozent der Personen, die fremdgehen, die Affäre in eine Beziehung umwandeln. Ein Drittel der Befragten standen in freundschaftlichem, ein weiteres Drittel in sporadischem Kontakt zu der Affäre. Bei rund einem Viertel brach der Kontakt ganz ab.
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Affäre oder doch mehr? Es gibt bestimmte Hürden
Auch Friederike Kleinknecht, Paar- und Sexualtherapeutin aus Innsbruck, hält es für eher unwahrscheinlich, dass aus einer Affäre eine glückliche Beziehung entsteht. Selbst wenn die Ursprungsbeziehung beendet werde, bedeute das meist auch das Ende für die Affäre, so Kleinknecht. Unterschiede würden insbesondere auf dem Motiv basieren, mit dem die Affäre eingegangen wurde. So zeigte sich etwa in der Studie aus Maryland, sodass Gelegenheit als Motiv sowie der Wunsch nach Abwechslung seltener zu einer festen Partnerschaft mit der Affäre führten.
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Unabhängig vom konkreten Motiv liege den meisten Affären ein Autonomiebedürfnis zugrunde, so Kleinknecht. Es gehe in den meisten Affären nicht darum, den Beziehungspartner zu verletzen. Vielmehr gehe es um das Bedürfnis, etwas unabhängig von der Beziehung zu tun. Laut der Expertin sieht die Person, die fremdgeht, dann keinen anderen Weg als die Heimlichkeit.
In dem Moment, wo Menschen eine Affäre in eine Beziehung umwandeln möchten, werde das ursprüngliche Autonomiebedürfnis, das durch das Fremdgehen befriedigt wurde, infrage gestellt, erklärt die Paartherapeutin. Die Unverbindlichkeit, welche den Reiz der Affäre ausgemacht habe, falle plötzlich weg. Das könne zu einem Konflikt führen.
Sex im Fokus: Paartherapeutin hat klare Meinung zu Affären
Neben der Unverbindlichkeit ist laut Kleinknecht ein hohes sexuelles Verlangen kennzeichnend für Affären. Kleinknecht zitiert hierzu den Sexualtherapeuten Jack Morin. In seinem Buch “Erotische Intelligenz” stellt dieser eine Formel auf, nach der sexuelle Erregung aus einer Kombination von Anziehung und Hindernissen bestehe. Kleinknecht schlussfolgert: „In einer Affäre ist man mit vielen Hindernissen konfrontiert – muss dauernd Termine finden, sich um einen Ort kümmern, und es besteht die Angst, dass alles auffliegen könnte. Entsprechend ist das Begehren in einer Affäre sehr ausgeprägt.“
Auch deshalb bezeichnet die Paartherapeutin Affären als “Schönwetter-Beziehung”. Schließlich erlebe man in einer Affäre häufig nur diesen tollen Sex und die tollen Momente der Zweisamkeit. Sie sei nicht darauf ausgelegt, auch den Alltag oder schwierigere Momente zu teilen. Kleinknecht betont: „Das Einzige, was passen muss, ist der Sex.“
Eine Beziehung unterscheide sich hier deutlich. Hier habe man sich mit dem Partner oder der Partnerin viel gemeinsam aufgebaut, so die Expertin. „Es passt sicher nicht alles, aber vieles. Man hat ein gemeinsames Haus oder eine Wohnung, vielleicht Familie und Kinder, Freunde, Pläne und Ziele.“ Das gemeinsame Leben dient laut Kleinknecht quasi als äußere Klammer, die das Paar zusammenhält. Diese Verbindlichkeit, die eine Beziehung dadurch bekommt, könne die Trennung vom ursprünglichen Partner schwierig erscheinen lassen.
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Affäre in Beziehung umwandeln – Nur Mittel zum Zweck?
Gleichzeitig dienen Affären laut Kleinknecht aus diesem Grund mitunter als eine Art Exit-Strategie, um sich aus der Ursprungsbeziehung zu lösen. In diesem Fall könne es gut sein, dass man sich aus der vorigen Beziehung trennt und aus der Affäre eine Beziehung wird. Dabei gehe es jedoch meist nicht um eine langfristige Beziehung, sondern um eine Art Sprungbrett.
Damit verbunden seien Fragen, ob die Person einem genug Beistand gibt, um sich trennen zu können, so Kleinknecht. Zudem komme es durchaus vor, dass Betroffene merken, dass der ursprüngliche Partner oder die ursprüngliche Partnerin nicht wirklich zu einem passe. „Man steckt in der Beziehung feststeckt, in der eigentlich keine Kompatibilität gegeben ist und lernt dann jemanden kennen, mit dem sich plötzlich eine ganz neue Welt öffnet“, sagt die Therapeutin.
Nach Affäre: Wichtige Fragen für neue Beziehung
Wenn man – etwa in Fällen wie diesen – die Affäre in eine Beziehung umwandeln möchte, ist laut Kleinknecht grundsätzlich dasselbe zu klären, wie wenn man „unbelastet“ eine neue Beziehung eingeht. Einige Punkte seien aber besonders heikel:
- Wohnsituation: Zieht die vormals vergebene Person bei der Affäre ein? Oder wird die Wohnung der Ursprungsbeziehung „frei“ und genutzt? Braucht es einen neutralen Ort?
- Umfeld: Was erzählt man über die Geschichte des Zusammenkommens? Wie geht man mit Vorwürfen von außen um?
- Beziehung zu Ex-Partner: Wie soll der Umgang mit dem Ex-Partner oder der Ex-Partnerin gehandhabt werden? Wie bindet man Kinder aus der Ursprungsbeziehung ein? Wie kann man für eine klare Positionierung sorgen und zugleich die Empfindungen des vorherigen Partners respektieren? Wie setzt man als neuer Partner Grenzen, ohne in Feindschaft zu geraten?
- Vertrauenswürdigkeit: Schafft es der Partner nun treu und ehrlich zu sein? Wird es auch in der neuen Beziehung wieder zu Heimlichkeiten kommen?
Gerade der letzte Punkt ist laut Kleinknecht eine große Herausforderung. Plötzlich stehe man nicht mehr auf der Seite des Affärenpartners, sondern ist selbst der Beziehungspartner und merke: „Jetzt kann mir das auch passieren.“ Sie rät in diesem Fall zu absoluter Authentizität. Als Person, die fremdgegangen ist, solle man für sich folgende Fragen klären:
- Wie kam es ursprünglich zu der Affäre?
- Wie kann ich künftig damit umgehen, sollte eine ähnliche Situation entstehen?
- Wie kann ich anders handeln, sodass Heimlichkeit nicht erforderlich ist?
Mögliche Lösungen sieht Kleinknecht in einer offenen Beziehung oder Unterstützung in Form von professionelle Hilfe.
Aus Affäre Beziehung machen – Diese Voraussetzung muss erfüllt sein
Voraussetzung, die Affäre in eine Beziehung umzuwandeln, ist laut Kleinknecht, dass in absehbarer Zeit eine Trennung vom Ursprungspartner zu erwarten ist. Dabei sei jedoch Vorsicht angebracht: „Oft ist es so, dass der Affärenpartner über Jahre fragt und drängt, vielleicht sogar Zusagen erhält, aber trotzdem nichts passiert.“
Jemanden dazu zu drängen, eine feste Beziehung aufzugeben, ist aus ihrer Sicht jedoch keine gute Idee: „Die Erfolgsaussichten sind gering. Und selbst wenn es gelingt, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass derjenige die Entscheidung hinterher bereut und womöglich noch der drängenden Person dafür die Schuld gibt.“ Wenn, sollte die Entscheidung zur Trennung von der Person selbst kommen, betont Kleinknecht.
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Aus einer Affäre eine Beziehung zu machen, hat auch Vorteil
Denn am Ende kommt es darauf an, dass beide Partner die Affäre wirklich in eine Beziehung umwandeln wollen und sich der Konsequenzen bewusst sind, so Kleinknecht. Ist man dazu bereit, seien Gewissensbisse, die durch Vorwürfe von außen entstehen können, unangebracht. „Es bringt nichts, sich mit Schuldvorwürfen zu beladen“, sagt die Paartherapeutin. „Man sollte die Vergangenheit akzeptieren und nach vorne schauen, insbesondere wenn Kinder im Spiel sind.“
Und auch das betont Kleinknecht: Einen Vorteil hätten Beziehungen, die sich aus Affären entwickeln durchaus. „Da die Affäre von vornherein auf sexueller Basis eingegangen wurde, sind die sexuellen Vorlieben und Wünsche meist bereits besprochen und man kann in dieser Hinsicht sehr offen kommunizieren“, so die Expertin und ergänzt, „Auch wenn es selten der Fall ist, gibt es natürlich Fälle, in denen aus einer Affäre eine Beziehung geworden ist und beide Partner glücklich sind.“