Berlin. Matthias ist seit neun Jahren mit seiner Frau verheiratet. Er hat mehrere Affären nebenher. Warum seine Ehefrau das nicht stört.

Matthias ist 39 Jahre alt, groß und sportlich. Seine dunklen Haare bekommen allmählich einen grauen Ansatz. Man könnte sagen: Er kommt in seine George-Clooney-Jahre. Matthias wohnt in der Nähe von Berlin, ist seit 13 Jahren mit seiner Frau zusammen, 9 davon verheiratet. Die beiden haben zwei gemeinsame Kinder. Trotzdem hat Matthias regelmäßig Affären. Und seine Frau stört das nicht.

Wie viele Menschen in Deutschland tatsächlich fremdgehen, bleibt schwer einzuschätzen. Auch Statistiken darüber sind meistens mit Vorsicht zu genießen: Schließlich schweigen viele vermutlich lieber über ihre Untreue oder definieren diese unterschiedlich. So gaben etwa 57 Prozent der Befragten einer aktuellen Umfrage der Dating-App Parship und des Marktforschungsinstituts Innofact an, dass Fremdknutschen als Untreue gilt. 63 Prozent sehen bereits in der Nutzung einer Dating-App einen Betrug. 85 Prozent empfinden hingegen eine langfristige Affäre als Fremdgehen.

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Affäre mit mehreren Frauen: „Heimlichtuerei liegt mir nicht“

Für Matthias ist eine Affäre jedoch kein Betrug an seiner Frau. Denn sie weiß davon. „Mein Lebensmittelpunkt ist bei meiner Familie“, sagt der 39-Jährige. Angst, sich in eine seiner Geliebten zu verlieben, habe er nicht. „Es ist von vornherein immer klar, dass es nur eine Affäre ist“, so Matthias. „Heimlichtuerei liegt mir nicht, das fände ich sehr ungerecht meiner Frau gegenüber.“ Die beiden haben sich daher für eine offene Ehe entschieden.

Er erzählt, dass er sich klare Grenzen im Umgang mit seinen Geliebten gegeben hat. „Alles, was Pärchen so miteinander tun, versuche ich zu vermeiden“, sagt Matthias. „Ich würde mit meiner Affäre zum Beispiel nicht Händchen halten oder in den Urlaub fahren. Und ich bleibe auch nie über Nacht – obwohl das für meine Frau in Ordnung wäre. Sie will nicht, dass ich mitten in der Nacht nach Hause komme. Aber ich will das nicht, das wäre mir zu intim.“

Ehefrau von Affäre erzählen: „Zerstörerisches Potenzial“

Einen etwas hilflosen Versuch, seine Hauptbeziehung zu schützen, nennt das Christian Roesler, Psychologischer Psychotherapeut mit Fokus auf Beziehungen. Roesler lehrt Klinische Psychologie an der Katholischen Hochschule Freiburg sowie Analytische Psychologie an der Universität Basel. „Es gibt offensichtlich eine Besorgnis darüber, dass die Außenbeziehung der Hauptbeziehung schaden“, erklärt er. „Und das ist absolut berechtigt. Das zerstörerische Potenzial ist hoch. Und etwa 95 Prozent der Menschen reagieren mit sehr starken und schmerzhaften Eifersuchtsgefühlen auf eine Außenbeziehung. Denn Eifersucht ist biologisch angelegt. Nur bei rund 5 Prozent aller Menschen ist das anders.“

Fremdgehen in der Partnerschaft

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    In der Regel findet Matthias die Frauen über Annoncen auf einschlägigen Foren wie Joyclub.de. „Man fängt dann an, miteinander zu schreiben und irgendwann trifft man sich dann.“ Meistens in einem Hotel, aber manchmal auch daheim. „Man geht dann etwas Essen oder trinkt ein Glas Wein. Hat einfach einen schönen Abend. Und ja: Dann kommt es halt auch zum Sex“, erzählt Matthias.

    Einen bestimmten Typ Frau hat er nicht, sagt Matthias. Ihm ist wichtig, dass seine Geliebte versteht, dass sie nie mehr sein wird als eine Affäre. „Und die Entspannung steht im Mittelpunkt. Es soll Spaß machen, wir müssen uns gut verstehen. Sobald es keinen Spaß mehr macht, die Frau Besitzansprüche stellt oder ich merke, dass sie sich verliebt, beende ich die Affäre.“

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    Psychologe: Sex vertieft auch emotionale Verbindung

    Psychologe Roesler weiß: In der traditionellen Form der Ehe gilt Exklusivität auf allen Ebenen – auch und besonders für die sexuelle. Ein Seitensprung bedeutet einen Bruch dieser Vereinbarung. „In offenen Beziehungsmodellen, wo die Sexualität mit anderen erlaubt ist, wird dann versucht, an anderen Grenzen die Exklusivität der Hauptbeziehung zu wahren. Es soll also etwas geben, was einzigartig ist in der Hauptbeziehung – und das ist dann häufig die Emotionalität. Die Außenbeziehung soll also auf keinen Fall emotional so bedeutsam sein wie die Hauptbeziehung“, erklärt der Psychologe.

    Jedoch sei es schwierig, diese Grenze auch tatsächlich wahren zu können, so Roesler. „Es ist typisch, dass, wenn man Sex miteinander hat, das auch die Bindungsbeziehung, also die emotionale Verbindung, vertieft.“ Jedoch sei es völlig normal, dass man im Laufe einer langjährigen Beziehung auch andere Menschen sexuell anziehen findet, sagt Roesler.

    Gerade hat Matthias zwei Geliebte. Die wissen beide, dass er verheiratet ist. Die aktuellen Affären laufen seit circa 4 Monaten. Matthias sagt, er ist weniger an One-Night-Stands interessiert, er sucht eher Langzeit-Affären. „Eine gewisse Intimität ist mir schon wichtig. Und ich will auch nicht nur Sex, das ist mir zu wenig. Ich will meinem Alltag ein Stück weit entkommen, ihn hinter mir lassen, mich fallen lassen und für ein paar Stunden einfach nur entspannen und einen schönen Abend haben.“

    Ehemann: „Will nicht mehr als zwei Geliebte haben“

    Wenn er zu den Treffen geht, dann hat er Schmetterlinge im Bauch, erzählt er. Er freut sich auf seine Geliebten und auf die gemeinsame Zeit. „Aber ich habe eine tolle Frau zu Hause. In meinem Kopf ist ganz klar die Schranke zwischen Gefühlen und Sex. Ich kann das auseinanderhalten“, sagt er.

    Mehr als zwei Geliebte gleichzeitig will Matthias nicht. „Das wäre mir ehrlicherweise zu anstrengend“, sagt er und lächelt. Den Alltag mit seiner Familie strukturieren er und seine Frau über einen gemeinsamen Online-Kalender: die Kinder, die Freizeitgestaltung, Urlaube – und die Affären. „Ich trage aber nicht ‚Affäre‘ ein, sondern ‚Matthias unterwegs“, erklärt er.