Berlin. Christine war über Jahre die „geheime Zweitfrau“ eines vergebenen Mannes, oft unglücklich. Doch Trennung kam lange nicht.

Als Christine Zillmer sich 2017 auf ihre Affäre einließ, ging ihre eigene Ehe gerade in Brüche. Sie wollte Spaß, Unverbindlichkeit und keine Verpflichtungen. Doch dann verliebte sie sich in ihren Geliebten – der selbst in einer festen Beziehung war. „Meine Affäre war wie eine Drogensucht. Ich war wie im Drogenrausch“, sagt Christine heute. Emotionale Abhängigkeit, Trennungsversuche, Liebesrausch – Christine berichtet, warum sie ihre Affäre so lange nicht beenden konnte. Ein Psychologe ordnet ein.

Wenn die heute 46-Jährige von ihrer Affäre erzählt, dann tut sie das mit leiser Stimme. Ihre Worte wägt sie sorgfältig ab, spricht aber selbstbewusst und bestimmt. Drei Jahre war Christine verheiratet. „Insgesamt waren wir fünf Jahre zusammen, haben ziemlich schnell geheiratet, ein Haus gebaut, eine Familie gegründet“, berichtet sie. „Und am Ende der Beziehung mit meinem jetzigen Ex-Mann habe ich dann diesen anderen Mann kennengelernt.“ Den Namen ihres Geliebten nennt sie bewusst nicht.

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Kurz überschneiden sich beide Beziehungen, doch Christine zieht schnell die Reißleine. „Ich wollte raus aus meiner Ehe, war schon länger nicht mehr glücklich. Ich bin dann ausgezogen und habe mich voll und ganz auf den anderen Mann eingelassen.“ Am Anfang, so erzählt die Wahl-Rügenerin, sei sie verknallt gewesen. „Ich hatte Bauchkribbeln, es war total spannend, ihn kennenzulernen und sich wieder so begehrt zu fühlen. Aber mehr wollte ich damals nicht, ich war ja gerade erst raus aus meiner Ehe.“

Aus Affäre wird Liebe: Wenn plötzlich der Wunsch nach einer Beziehung entsteht

Dass ihr Neuer eine feste Freundin hatte, habe er ihr relativ früh erzählt. Und auch, dass er mit dieser nicht mehr glücklich sei und sich trennen wolle. „Und im Laufe der Zeit haben sich bei mir richtige Gefühle entwickelt. Und da habe ich dann gehofft und darauf gewartet, dass er sich trennt“, sagt Christine. Doch das passierte nicht. „Die Bindung zu der anderen Frau war wohl doch zu stark. Sie haben ein Kind zusammen und das alles wollte er wohl nicht aufgeben“, erzählt sie und man hört in ihrer Stimme die Enttäuschung von damals. „Aber ich wollte ihn auch nicht aufgeben. Und da dachte ich mir: Dann versuche ich eben wie eine geheime Zweitfrau an seiner Seite zu leben.“

Christine Zillmer war drei Jahre lang in einer Affäre. Mittlerweile arbeitet sie als Beziehungscoach.
Christine Zillmer war drei Jahre lang in einer Affäre. Mittlerweile arbeitet sie als Beziehungscoach und hat ein Ratgeber geschrieben. © FUNKE Foto Services | anja schnell

Es gibt viele unterschiedliche Beziehungsmodelle, die glücklich machen können. Das betont auch Christian Roesler, Psychologischer Psychotherapeut mit Fokus auf Beziehungen. Er lehrt Klinische Psychologie an der Katholischen Hochschule Freiburg sowie Analytische Psychologie an der Universität Basel. Roesler sagt: „Generell gilt in allen Arten von Beziehungen, dass es wichtig ist, über die eigenen Beziehungsvorstellungen und vor allem das eigene Beziehungsideal zu reflektieren. Viele Menschen streben nach einem Idealbild, das in Paarbeziehungen schlichtweg unrealistisch ist.“ Landet man jedoch immer wieder in Beziehungen, die einen unglücklich machen, sollte man sich professionelle Hilfe suchen, so Roesler. Das könnte auf versteckte Traumata hinweisen.

Geliebter zwischen Familie und Affäre: „Die Wochenenden waren am schlimmsten“

Für Christine funktioniert das Leben als Zweitfrau zunächst. Die Wochenenden über verbrachte ihr Geliebter bei seiner Familie – 250 Kilometer entfernt. Unter der Woche war er bei Christine auf Rügen. Denn neben der Liebe verband die beiden auch die gemeinsame Arbeit. Deshalb mussten sie ihre Affäre auch absolut geheim halten. „Kein Händchen halten, keine gemeinsamen Aktivitäten, keine Öffentlichkeit. Ich kann an einer Hand abzählen, wie oft wir zusammen Essen waren“, erzählt die heute 46-Jährige. Auch gesprochen habe sie mit niemandem über ihre geheime Liebe, nicht mal mit Freunden oder Familie. Und mit der Zeit mischte sich dem Liebesrausch der Herzschmerz bei.

„Die Wochenenden waren das Schlimmste. Ich habe mir immer so gewünscht, dass er nicht fährt. Andere Paare gehen zusammen einkaufen, spazieren, planen die neue Woche – und ich saß alleine zu Hause. Und immer wieder habe ich mir dann gedacht: Was tust du eigentlich?“ Christine merkt, dass sie mehr will – mehr Verbindlichkeit, mehr Paarzeit, mehr Beziehung. All das habe er ihr versprochen, sagt sie. „Und ich habe es ihm so gern geglaubt damals.“

Psychologe erklärt: Affäre ist in abhängiger Position

Psychologe Roesler weiß: „Wenn man nur die Affäre ist, dann befindet man sich in einer sehr abhängigen Position. Man kann höchsten sagen: ‚Das ist zu leidvoll für mich auf Dauer. Wenn du dich nicht ganz für mich entscheidest, dann muss ich gehen.‘“ Die Alternative: Man hält das Leid, den Schmerz und die Eifersucht aus. Roesler sagt: „Man sollte immer abwägen: Lohnt sich dieser Schmerz im Gegenzug für das, was ich bekomme? Denn keine Beziehung, auch keine Ehe, ist zu 100 Prozent perfekt. Niemand ist immer zu 100 Prozent zufrieden in seiner Beziehung. Die Frage ist also: Ist der Nutzen, den ich von dieser Beziehung habe, höher als der Schmerz?“

Christian Roesler, Psychologischer Psychotherapeut mit Fokus auf Beziehungen, lehrt Klinische Psychologie an der Katholischen Hochschule Freiburg sowie Analytische Psychologie an der Universität Basel.
Christian Roesler, Psychologischer Psychotherapeut mit Fokus auf Beziehungen, lehrt Klinische Psychologie an der Katholischen Hochschule Freiburg sowie Analytische Psychologie an der Universität Basel. © FUNKE Foto Services | FLORIAN BILGER FOTODESIGN

Christine jedenfalls kommt an ihr emotionales Limit. Nach zwei Jahren voller Hochs und Tiefs lernt sie im dritten Jahr ihrer Affäre einen neuen Man kennen, trennt sich von ihrem Geliebten. „Ich wollte raus aus dieser Affäre“, sagt Christine – doch kann sich nicht wirklich lösen. „Ich war verliebt und emotional abhängig.“ Sie blockiert ihre Affäre auf WhatsApp, doch er findet trotzdem Wege, mit ihr zu kommunizieren. „Da dachte ich dann: Wenn er so an mir hängt, dann liebt er mich ja wirklich und trennt sich vielleicht endlich.“

Geliebte berichtet: War wie im Drogenrausch

Nach wenigen Wochen mit dem neuen Mann kehrt Christine wieder zu ihrer Affäre zurück. „Ich hatte mal mit dem Rauchen aufgehört und wenn man dann nach langer Zeit wieder eine Zigarette raucht, dann knallt das total. Genauso war es bei uns auch. Ich habe gedacht, ich muss alles nachholen. Das war ein richtiger Suchtfaktor. Ich habe mich völlig abgeschottet von allen anderem.“

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Die beiden schauen sich Wohnungen an und träumen von einer gemeinsamen Zukunft. „Aber ich hab mich da schon gefragt: Wie soll das funktionieren?“, erinnert sich die 46-Jährige. Sie bittet ihren Geliebten daher, sich erstmal nur an der Miete für ihre Wohnung zu beteiligen. Schließlich wohnte er in der Regel unter der Woche bei ihr. „Aber da wurde er dann ganz still. Er wollte nicht mal mehr die Hälfte meiner Mini-Miete zahlen. Und da hat es mich getroffen wie ein Schlag und ich konnte nur noch denken: Wow, was bin ich eigentlich für diesen Mann? Das war so ernüchternd.“ Christines Stimme wird noch leiser, sie schluckt schwer, als sie von den nächsten Wochen und ihrem Liebeskummer berichtet.

Das Ende der Affäre: „War ein emotionales Wrack“

„Ich lag auf der Couch, hatte richtig körperliche Schmerzen. Ich habe mich so klein gefühlt. Ich war gebrochen, ein emotionales Wrack. Aber schlimmer als der Liebeskummer war noch der Schmerz, mit ihm zusammen zu sein.“ Christine beschließt, sich von ihrer Affäre zu trennen. Dieses Mal endgültig. „In mir war irgendwas gestorben, ich habe mich gefühlt wie tot. Und auch meine Gefühle für ihn waren wie tot“, erinnert sie sich.

Sie berappelt sich nur langsam, sagt, eineinhalb Jahre habe sie gebraucht, um darüber hinwegzukommen. Sie entschließt sich, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen, erst in den sozialen Medien, und als sie immer mehr Frauen Hilfe suchend um Rat bitten, entscheidet sich Christine, Beziehungscouch mit Schwerpunkt auf Affären zu werden. Mittlerweile hat sie auch ein Buch darüber geschrieben („Schluss mit den Krümeln – Ich will den ganzen Kuchen“).

Psychologe: Deshalb sollte man gescheiterte Beziehungen aufarbeiten

Roesler betont, wie wichtig die Aufarbeitung einer unglücklichen Beziehung ist. „Am Ende – und das gilt nicht nur in Beziehungen, sondern allgemein – kann man den anderen nicht verändern. Man kann nur an sich selbst arbeiten und reflektieren“, sagt der Psychologe.

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Genau das tut Christine. Die Frage, die sie sich seither immer wieder stellt: „Warum habe ich das mit mir machen lassen? Gar nicht: Warum hat er mir das angetan, sondern: Warum habe ich das nicht früher beendet? Warum bin ich nicht aus dieser Beziehung rausgekommen?“ Sie sagt, nach dem Ende ihrer Ehe sei sie schwach gewesen, die Affäre sei anfangs wie ein Drogenrausch gewesen. Und dann habe sie sich selbst verloren.

Zu ihrer Ex-Affäre hat sie keinen Kontakt mehr. Sie weiß nur, dass er seine damalige Freundin geheiratet hat. „Dabei wusste sie von uns. Er hat mir immer erzählt, dass, wenn die beiden sich gestritten haben, sie zu ihm gesagt hat: ‚Dann fahr doch zu Christine‘. Wir hätten uns vielleicht einfach mal alle zusammen an einen Tisch setzen sollen.“