Deutschland führt vorübergehende Grenzkontrollen ein
•
Lesezeit: 8 Minuten
München/Budapest/Hamburg. Zudem Zugverkehr von Österreich nach Deutschland eingestellt. Kaum noch Schlaforte für Flüchtlinge in München. Auch Hamburg betroffen.
Die Bundesregierung will als Reaktion auf die Flüchtlingskrise vorübergehend wieder Grenzkontrollen einführen. Das kündigte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Sonntagabend in Berlin an. Er begründete die Wiedereinführung der Grenzkontrollen zu Österreich mit dem Ziel, die Zuwanderung nach Deutschland zu begrenzen und wieder zu einem geordneten Verfahren bei der Einreise zu kommen. „Das ist auch aus Sicherheitsgründen dringend erforderlich“, sagte er. Dieser Schritt „wird nicht alle Probleme lösen, das wissen wir“, betonte er. „Aber wir brauchen einfach etwas mehr Zeit und ein gewisses Maß an Ordnung an unseren Grenzen.“
Die Kontrollen sollen nach Ministeriumsangaben an den früheren Grenzübergängen stattfinden. Die Bundespolizei werde „in vierstelliger Größenordnung“ an den Grenzen eingesetzt, ein Einsatz der Bundeswehr dort sei nicht geplant. Die Bundespolizei kündigte intensive Kontrollen über einen längeren Zeitraum an. Laut „Bild“ schickt der Bund 21 Hundertschaften seiner Bereitschaftspolizei nach Bayern, die bei der Grenzsicherung helfen sollen.
CSU-Chef Horst Seehofer bezeichnete die Entscheidung als dringend notwendig. „Es ist ein ganz wichtiges Signal an die ganz Welt und auch nach innen, in die Bundesrepublik Deutschland“, sagte der bayerische Ministerpräsident in München. Die Maßnahme sei auf Wunsch Bayerns in einem Telefonat zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU), SPD-Chef Sigmar Gabriel und ihm vereinbart worden, unter Hinzuziehung des Außen- und des Innenministers. „Das war eine bayerische Initiative“, betonte Seehofer.
Zugverkehr aus Österreich nach Deutschland für zwölf Stunden eingestellt
Unterdessen ist der Zugverkehr nach Deutschland nach Angaben der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) am Nachmittag gegen 17 Uhr eingestellt worden. Die Deutsche Bahn (DB) hat dies inzwischen bestätigt. Demnach wird der Zugverkehr von Österreich bis Montagmorgen (6 Uhr) unterbrochen. In der Gegenrichtung fahren jedoch weiterhin Züge, wie eine Bahnsprecherin am Sonntagabend sagte. Sie korrigierte damit vorherige Angaben, wonach der Zugverkehr in beide Richtungen unterbrochen sei.
Am Hamburger Hauptbahnhof haben sich am Wochenende wieder Hunderte Flüchtlinge gesammelt. Sie wurden in der Wandelhalle von Helfern betreut. Einige übernachteten dort auch, wie Helfer berichteten. Am Sonntag wurden sie auf verschiedene Züge etwa nach Lübeck, Kiel oder Rostock verteilt. Die Ehrenamtlichen hielten dafür Schilder mit den Namen der Bahnhöfe hoch und brachten die Migranten zu den Zügen. Am Mittag wurden knapp 100 zu einem Zug nach Kiel geleitet, von wo sie mit einer Fähre nach Skandinavien weiterreisen wollten.
Die Deutsche Bahn hat unterdessen einen regulären ICE von München nach Berlin für Flüchtlinge freigemacht. „Die Passagiere sind gebeten worden, umzubuchen“, sagte eine Bahn-Sprecherin. Nach ihren Angaben handelte es sich um den ICE 1508, der planmäßig um 11.21 Uhr in München gestartet und um 17.37 Uhr in Berlin angekommen wäre. Ob es sich um den Zug handelt, der gegen 17.30 Uhr mit etwa 600 Flüchtlingen in Berlin-Schönefeld erwartet wird, konnte sie nicht sagen.
Es sei bislang der einzige Zug, der von einer derartigen Aktion betroffen sei, sagte die Sprecherin. Die Bahn setze ansonsten zahlreiche Sonderzüge ein, die von München aus in alle Richtungen fahren würden. Bis vergangenen Freitag habe es mehr als 30 Sonderzüge gegeben, so die Sprecherin.
Flüchtlinge per Fähre über die Ostsee nach Schweden
Vom Rostocker Hafen aus sind am Wochenende wieder Hunderte Flüchtlinge mit Fähren nach Schweden gereist. Bis Sonnabendabend seien 545 Menschen gezählt worden, sagte ein Polizeisprecher. Die letzte Fähre sei um 23.45 Uhr nach Trelleborg abgefahren. Auch am Sonntagvormittag kamen nach Angaben der Polizei bereits wieder 70 Flüchtlinge am Rostocker Hauptbahnhof an. Sie seien von Helfern zum Hafen gebracht worden.
Unterdessen berichtete der NDR, das Kreuzfahrtterminal in Rostock-Warnemünde könne als weitere Erstaufnahme für Flüchtlinge eingerichtet werden. Wenn es keine Komplikationen gebe, könne dort die Erfassung, die Untersuchung, die Unterbringung und Verteilung gewährleistet werden, sagte Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) am Sonntag NDR 1 Radio MV.
Erneut Tote in der Ägäis
Das Flüchtlingsdrama in der Ägäis dauert unterdessen an. Nach dem Kentern eines Flüchtlingsboots sind vor der griechischen Insel Farmakonisi mindestens zehn Menschen ertrunken, darunter auch ein Kind. Das berichtete das Staatsradio unter Berufung auf die Küstenwache. Die Rettungsmannschaften konnten 68 Menschen aus den Fluten retten. 29 Flüchtlinge konnten an Land schwimmen, hieß es. Die Such- und Rettungsaktion dauere an.
Bereits am Vortag waren zwei Schlauchboote vor den Inseln Samos und Lesbos gekentert. Seitdem werden fünf Migranten vermisst und die Rettungskräfte haben nach Berichten örtlicher Medien die Hoffnung aufgegeben, sie am Leben zu finden. Das eine Boot sei nördlich der Insel Samos gekentert. Die Küstenwache habe 24 Flüchtlinge retten können. Diese berichteten von vier vermissten Minderjährigen. Das zweite Boot kenterte vor Lesbos. Dort konnte die Küstenwache 32 Menschen aus den Fluten retten. Ein 20 Jahre alter Flüchtling werde seitdem vermisst, berichtete das Staatsradio.
In der Lüneburger Heide soll bei Bad Fallingbostel eine neue Zentrale für die Verteilung von Flüchtlingen in Norddeutschland entstehen. Die Logistik muss sich den Wegen der Tausenden von Flüchtlingen anpassen, die auch an diesem Wochenende wieder über die Balkanroute in die Europäische Union und nach Deutschland kamen. Dabei entwickelt sich München immer mehr zum Drehkreuz. Die Behörden in Oberbayern rechnen auch für den Sonntag mit einem weiteren Zustrom von Flüchtlingen nach München. Nach Angaben der Bundespolizei waren am frühen Sonntagmorgen mindestens weitere 750 Flüchtlinge am Hauptbahnhof München angekommen.
In München werden die Aufnahmeplätze knapp. Bis Mitternacht waren am Sonnabend insgesamt 12.200 Flüchtlinge angekommen. Vereinzelt mussten Flüchtlinge auf Matten übernachten, da die Nachtunterkünfte nicht ausreichten.
Unterdessen hilft die Bundeswehr auch in Bayern, um die Unterkunftslage zu verbessern. Laut einem Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums werden derzeit rund 1000 Plätze in einer Kaserne im mittelfränkischen Roth hergerichtet. Damit stelle die Bundeswehr derzeit deutschlandweit rund 20.000 Plätze zur Verfügung. Rund 4000 „helfende Hände“ des Bundeswehrpersonals seien gegenwärtig auf Abruf bereit, sagte der Sprecher der Deutschen Presse-Agentur.
Die Bundeswehr hat deshalb auch ihre ihre Reservistenmeisterschaft abgesagt, um die dadurch freiwerdenden Unterkünfte für Flüchtlinge zur Verfügung stellen zu können.
Deutschland, Europa und die Flüchtlingsfrage
1/95
Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich stellt derweil das Schengen-Abkommen zur freien Bewegung zwischen den Mitgliedstaaten in Frage: "Ich habe den Eindruck, dass Schengen nicht mehr funktioniert und dass das natürlich dazu führt, dass dann darüber hinaus, unregistrierte Bürger dann zu uns kommen", sagte der CDU-Politiker im Deutschlandfunk.
Tillich vermeidet Kritik an Merkel
Er vermied ein Bekenntnis zur Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel vom vergangenen Wochenende, 20.000 Flüchtlinge einreisen zu lassen: Er würde nicht sagen, "es war ein Fehler oder es war kein Fehler", sagte Tillich.
Sollte Ungarn ab Dienstag die Grenze schließen, wird damit gerechnet, dass die Flüchtlinge auf der Balkanroute andere Wege nehmen. Die wahrscheinlichste Variante läuft von Belgrad ins EU-Land Kroatien entlang der Eisenbahnstrecke München-Istanbul oder München-Athen. Die Entfernung von der serbischen Hauptstadt zum Grenzübergang Batrovci (Serbien) und Bajakovo (Kroatien) beträgt 110 Kilometer. Von dort ginge es weiter nach Zagreb und über das EU-Land Slowenien in die österreichischen Bundesländer Kärnten oder die Steiermark.
Impressionen von den Flüchtlings-Unterkünften in Hamburg
Sie haben vermutlich einen Ad-Blocker aktiviert. Aus diesem Grund können die Funktionen des Podcast-Players eingeschränkt sein. Bitte deaktivieren Sie den Ad-Blocker,
um den Podcast hören zu können.