Wenn sie regiert, will die Partei das Rentenniveau nicht unter 50 Prozent rutschen lassen - das ist zumindest der vorläufige Plan.
Berlin. Hubertus Heil sieht ziemlich zufrieden aus. Mit einem ruhenden Lächeln steht der Vizechef der SPD-Bundestagsfraktion im gläsernen Fahrstuhl im Inneren des Berliner Willy-Brandt-Hauses und surrt aus einem der oberen Stockwerke ins Erdgeschoss des Atriums hinab. Heil weiß in diesem Moment schon, was der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel gleich den wartenden Journalisten hier unten erzählen wird: Nach wochenlangen Auseinandersetzungen und neuen Störfeuern am Wochenende vom rechten und linken Flügel hat die SPD ihren quälenden Rentenstreit zumindest vorerst entschärft. Denn auch wenn erst am 24. November bei einem Parteikonvent geklärt werden soll, mit welchem Rentenkonzept die Partei in die Bundestagswahl 2013 ziehen wird, sind die Leitlinien jetzt schon einmal klar.
Laut Gabriel, der nach eigener Aussage "weit weniger Ärger" mit diesem Thema habe, als man in der Öffentlichkeit annehmen würde, münden diese Leitlinien nun in einem Kompromiss, der sich wiederum an einem Beschluss des SPD-Landesverbands Nordrhein-Westfalen von diesem Wochenende orientiert. Über das künftige Rentenniveau soll demnach erst 2020 entschieden werden, die geltende Rentenformel bleibt so lange unangetastet. Sie sieht vor, dass das Rentenniveau von derzeit 50,4 Prozent bis 2020 auf 46 Prozent eines Durchschnittslohns und bis zum Jahr 2030 auf 43 Prozent sinken kann. Erst wenn dieses Sicherungsniveau unterschritten wird, müsste der Gesetzgeber eingreifen.
Gabriel betonte, die SPD wolle gemäß dem NRW-Beschluss alles dafür tun, "dass bis 2020 das heutige Rentenniveau erhalten bleibt". Erst dann wolle man die Situation gegebenenfalls neu bewerten und weitere Schritte beschließen. Am Sonntag hatte Kanzlerkandidat Peer Steinbrück im "Bericht aus Berlin" von einem großen Missverständnis gesprochen, das der SPD in diesem Zusammenhang widerfahre: "Kein Mensch in der SPD" habe die 43 Prozent je als Zielmarke debattiert, sondern es sei ein Interventionspunkt. "Wenn der droht, dann soll gerade interveniert werden, damit es nicht zu diesen 43 Prozent kommt." Mit dem gefundenen Kompromiss kann Steinbrück deshalb wohl gut leben.
Um die Beibehaltung des Rentenniveaus für die nächsten sieben Jahre zu finanzieren, pocht die SPD einerseits auf die Rücknahme der erst in der vergangenen Woche von der schwarz-gelben Regierungskoalition beschlossenen Senkung des Rentenbeitrags von 19,6 auf 18,9 Prozent. Vorgesehen ist zudem eine Steigerung des Rentenbeitragssatzes um jährlich 0,2 Prozentpunkte vom Jahr 2014 an, bis ein Satz von 22 Prozent erreicht ist.
Um die Belastungen für die jüngere Generation mit der Lebensstandsicherung der Älteren in Einklang zu bringen, seien aber vor allem Korrekturen bei der Erwerbsarbeit wie etwa der von der SPD geforderte Mindestlohn von 8,50 Euro oder die Bekämpfung der prekären Beschäftigung erforderlich, betonte Gabriel. Die "wesentlichen Stellschrauben" seien, die Zahl der Arbeitsplätze und die Verdienste zu erhöhen. Er verwies zudem darauf, dass die SPD in ihrem Rentenkonzept weitere Schritte plant. Dazu gehörten eine Mindestrente von 850 Euro im Monat für langjährig Versicherte, Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente sowie die Möglichkeit, nach 45 Versicherungsjahren unabhängig vom Alter ohne Abschläge in Rente zu gehen.
Vertreter des linken Flügels der Partei und auch der Berliner SPD-Landesverband beharren bisher darauf, ein Rentenniveau von mindestens 50 Prozent gesetzlich festzuschreiben. Am Wochenende hatte sich die Hauptstadt-SPD bei ihrem Landesparteitag nach langer Diskussion hierauf festgelegt. Man werde für diese Position kämpfen, "auch wenn es Gegenwind von der Bundesebene geben sollte", wie Berlins Chefgenosse Jan Stöß betont hatte. Der rechte Parteiflügel sprach sich gegen ein Einfrieren des Rentenniveaus aus. Eine solche Maßnahme müsse entweder aus Steuern oder über Beitragserhöhungen gegenfinanziert werden, sagte der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, im SWR-Hörfunk. Schlauer sei es, für höhere Löhne zu sorgen. Auf diese Weise könnten die Menschen selbst das Rentenniveau stabil halten.
Gabriel berichtete, es habe am Montagmorgen keine größeren Diskussionen beim Treffen des SPD-Parteivorstands gegeben. Auch Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, der, wie Gabriel mit einem Augenzwinkern hinzufügt, links von ihm gesessen habe, habe nicht widersprochen. Beim kleinen Parteitag Ende November rechnet er deshalb mit einer Zustimmung "von mindestens 90 Prozent" zu dem Konzept.
Ob aber alles so reibungslos läuft, wie Gabriel glauben machen will, steht derweil auf einem anderen Blatt. Für die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Frauen, Elke Ferner, reicht der NRW-Vorschlag nicht aus. "Wir wollen das Rentenniveau nicht weiter absenken", sagte Ferner der Nachrichtenagentur Reuters. "Dann muss man aber auch sagen, dass man dazu eine Gesetzesänderung braucht und entsprechend höhere Beiträge."
Der schleswig-holsteinische SPD-Linke Ralf Stegner sieht in dem neuen Vorstoß schon eher einen Kompromiss. Ziel müsse es sein, das Rentenniveau nicht unter 50 Prozent sinken zu lassen, sagte er. Dazu trügen Pläne der SPD wie Mindestlöhne, gleiche Bezahlung von Frauen und Männern für gleiche Arbeit wie auch Abbau prekärer Beschäftigung bei. "Wir haben ein paar Vorschläge, von denen wir glauben, dass sie helfen werden, das Rentenniveau zu steigern." Er werde eine regelmäßige Überprüfung alle fünf Jahre vorschlagen, ob die angekündigten Maßnahmen Wirkung zeigten, so Stegner. "Dann kann man vertreten - und so lese ich den NRW-Beschluss - zu sagen, für dieses Jahrzehnt bis 2020 sind wir in der Lage, das Rentenniveau mit den Maßnahmen so zu halten und so zu finanzieren."
Die SPD hat jetzt noch einen guten Monat Zeit, die Details festzuzurren. Kommt es 2013 zur rot-grünen Wunschkoalition, sind schwierige Verhandlungen programmiert. Zwar halten auch die Grünen nichts von der Senkung des Rentenbeitrags von Union und FDP - die von der SPD angepeilten 22 Prozent sind ihnen aber auch zu hoch. Parteichef Cem Özdemir nannte gestern eine Richtmarke: "Konstant bei halbwegs 20 Prozent und drunter."