Mehr als zehn Jahre soll der Mann für das Berliner Landeskriminalamt als V-Mann gearbeitet haben. Weiterer Rücktritt durch Pannen.
Berlin. Ein mutmaßlicher NSU-Helfer hat einem Medienbericht zufolge mehr als zehn Jahre lang für das Berliner Landeskriminalamt (LKA) als V-Mann gearbeitet. Thomas S. sei von Ende 2000 bis Januar 2011 als Quelle des Berliner LKA aktiv gewesen, berichtete das Nachrichtenportal „Spiegel Online“ am Donnerstagabend. S. soll dem Neonazi-Trio Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) Ende der neunziger Jahre rund ein Kilogramm Sprengstoff besorgt hatte. Er zählt zu 13 Beschuldigten, gegen die der Generalbundesanwalt im Zusammenhang mit dem NSU-Terror ermittelt.
Dem NSU werden unter anderem zehn Morde vorgeworfen. Bei mindestens fünf Treffen mit seinen V-Mann-Führern gab S. den Polizisten dem Bericht zufolge auch Hinweise auf die NSU-Mitglieder, die er letztmalig 1998 gesehen haben will. Im Jahr 2002 wies er die Polizisten darauf hin, sie sollten sich auf einen aus Sachsen stammenden Produzenten rechter Musik konzentrieren, wenn sie das Trio aufspüren wollten.
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Von der früheren V-Mann-Tätigkeit des Beschuldigten für das Berliner LKA hatte die Bundesanwaltschaft dem Bericht zufolge vergangenen März erfahren. Im Juli informierte die Karlsruher Behörde dann den Ermittlungsbeauftragten des Bundestagsuntersuchungsausschusses. Das Gremium zur Aufklärung der Ermittlungspannen im NSU-Fall erfuhr erst am Donnerstag von den Vorgängen beim Berliner LKA.
Der Ausschuss hatte der Berliner Landesverwaltung zuvor vorgeworfen, wichtige Akten zurückzuhalten. Mit den Informationen aus den Berliner Dokumenten hätte der Aufenthaltsort der Terrorgruppe womöglich schon 2002 festgestellt werden können, sagte der Obmann der Unionsfraktion, Clemens Binninger (CDU).
Pannen zur Neonazi-Zelle: Treffen bei Berlins Innensenator
Nach den Pannen im Fall der rechtsextremen Terrorzelle NSU in Berlin wird in der Hauptstadt hektisch nach den Ursachen gesucht. Innensenator Frank Henkel (CDU) will sich an diesem Freitagmittag mit den innenpolitischen Sprechern der Fraktionen und anderen Politikern treffen, um das Thema zu erörtern. Henkel hatte angekündigt, die Vorwürfe prüfen zu lassen und dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages alle Informationen bereitzustellen. Am Donnerstag wurde bekannt, dass ein Beschuldigter im Fall der rechtsextremen Terrorzelle NSU V-Mann des Landes Berlin gewesen sein soll. Der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) sagte , das Gremium sei über einen solchen Hinweis informiert worden.
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Einer der vom Generalbundesanwalt im Zusammenhang mit der Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) Beschuldigten soll demnach über mehrere Jahre als Informant für Berlin agiert haben. „Das werden wir zu klären haben“, sagte Edathy und kündigte an, er werde mit dem Berliner Innensenator darüber sprechen. Der V-Mann soll in ein Verfahren um die rechte Musikszene eingebunden gewesen sein, das beim Generalbundesanwalt geführt wurde.
NSU-Pannen führen zu weiterem Rücktritt – Vorwürfe gegen Land
Die Pannenserie bei den Ermittlungen zur NSU-Terrorzelle entwickelt immer mehr politische Sprengkraft. Sachsen-Anhalts Verfassungsschutzpräsident Volker Limburg trat am Donnerstag wegen Versäumnissen in seinem Haus zurück. Hintergrund ist eine Geheimdienstakte, die auch Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) in Erklärungsnot bringt. Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags erhob derweil neue Vorwürfe: Demnach soll das Land Berlin einen wichtigen Hinweis auf den Aufenthaltsort der Terrorzelle verschwiegen haben. Außerdem könnte einer der Beschuldigten NSU-Fall V-Mann für den Staatsschutz am Berliner Landeskriminalamt gewesen sein.
Eine Aktenpanne beim Militärischen Abschirmdienst (MAD) sorgt seit Tagen für Aufregung: Der Geheimdienst der Bundeswehr hatte bereits in den 90er Jahren eine Akte über den späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos angelegt. Die Information dazu ging an die Verfassungsschützer im Bund und in mehreren Ländern – Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Auch das Verteidigungsministerium – und Ressortchef de Maizière (CDU) – wussten seit Monaten von der Existenz der Unterlagen. An die Öffentlichkeit und den Untersuchungsausschuss gelangte die Information aber erst am Dienstag.
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Die Verfassungsschützer in Sachsen-Anhalt hatten die Unterlagen in ihren Beständen, fanden sie aber erst nach dem Bekanntwerden im NSU-Ausschuss. Den Chef der dortigen Behörde, Volker Limburg, zwang die Panne nun aus dem Amt. Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff entließ Limburg am Donnerstag auf dessen Wunsch hin.
Der NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag beklagte derweil eine weitere Aktenpanne – im Land Berlin. Erst jetzt habe der Ausschuss erfahren, dass dort bereits im Jahr 2002 ein Hinweis auf den möglichen Aufenthaltsort der untergetauchten Terrorzelle vorgelegen habe, sagte Unions-Obmann Clemens Binninger (CDU). Das Land habe diese Information aber nicht an die parlamentarischen Aufklärer weitergeleitet. Die Abgeordneten reagierten wütend und enttäuscht auf die Nachricht.
Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) versprach Aufklärung. „Wir ermitteln das mit Hochdruck, sowohl beim Verfassungsschutz als auch beim polizeilichen Staatsschutz“, sagte Henkel im Abgeordnetenhaus.
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Henkel wird auch wegen eines anderen Hinweises Rede und Antwort stehen müssen: Ein Beschuldigter im Fall NSU soll mehrere Jahre lang V-Mann des Landes Berlin gewesen sein. Dazu sagte Henkel, der Leiter des Staatsschutzes stehe dem NSU-Ausschuss als Ansprechpartner zur Verfügung. Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses Sebastian Edathy (SPD) sagte, das Gremium sei über einen Hinweis auf den Mann informiert worden. „Das werden wir zu klären haben.“
Weitere Aufklärung verlangt das Gremium auch von der Bundesregierung zu der MAD-Akte Mundlos. „Das Thema ist für uns noch nicht erledigt“, sagte Edathy. Im Oktober will sich der Ausschuss in einer Sondersitzung mit den Ungereimtheiten rund um die Geheimdienstakte beschäftigen. Die Runde behält sich vor, dazu auch de Maizière zu laden.
Der Ressortchef bedauerte die späte Entdeckung der Akte, wies aber den Vorwurf von sich, etwas verschwiegen zu haben. Sowohl der MAD als auch sein Haus hätten sich korrekt verhalten, sagte er bei einem Besuch der Luftfahrtmesse ILA. Korrekt sei in dem Fall aber nicht gut genug gewesen. Der „Bild“-Zeitung (Freitag) sagte de Maizière: „Ich scheue mich nicht, dem Ausschuss Rede und Antwort zu stehen. Aber ob das notwendig ist, muss der Ausschuss selber entscheiden.“
Neue Fragen dürfte auch die Tatsache aufwerfen, dass die Bundeswehr Mundlos offenbar trotz eindeutiger Hinweise auf seine rechte Gesinnung und eines laufenden Strafverfahrens während seiner Wehrdienstzeit beförderte. „Spiegel Online“ berichtete unter Berufung auf die Personalakte von Mundlos, dass die Bundeswehr den damals 22-Jährigen routinemäßig zum Gefreiten beförderte, obwohl er kurz zuvor wegen seiner rechtsextremen Einstellung mit einem Disziplinararrest belegt worden war.
Der Untersuchungsausschuss befasst sich seit Jahresbeginn mit den Verbrechen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“. Der Terrorzelle sollen neben Mundlos die Jenaer Neonazis Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe angehört haben. Der NSU soll für zehn Morde verantwortlich sein. Mundlos und Böhnhardt sind tot. Zschäpe sitzt seit dem vergangenen November in Untersuchungshaft. Wie der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe am Donnerstag mitteilte, bleibt die 37-Jährige in Haft.
Mit Material von dpa/dapd