Umweltminister ist Donnerstag 100 Tage im Amt und hat zwei Probleme gelöst. Trotzdem wachsen die Zweifel. Schafft er die Energiewende?
Berlin. Peter Altmaier ist umzingelt. Von Interessen. Und von immer neuen Zielkonflikten, wie er es nennt. An der Küste wollen sie unbeschränkt Wind machen, im Süden Mais zu Biogas umwandeln und die Landschaft mit Solarfeldern zupflastern. In der Mitte sind sie gegen neue Netze. Die einen wollen Zuschüsse für Gaskraftwerke, die anderen Sozialrabatte bei den Energiekosten. Wer soll das alles bezahlen? Die FDP positioniert sich als Anwalt des Strompreises und macht schon mal Wahlkampf gegen allzu üppige Ökostrom-Vergütungen.
+++Gegenwind aus dem Norden: Altmaier in der Kritik+++
+++Altmaier will nicht über Strompreise spekulieren+++
100 Tage Bundesumweltminister heißt auch 100 Tage Expedition in den Lobbydschungel. Von morgens bis abends redet Altmaier: Sei es mit dem Umweltschützer im Wattenmeer, der sich um die Schweinswale beim Bau von Windparks fürchtet. Oder mit dem Boss des Energiekonzerns.
Alle werden umarmt, umgarnt. Er freut sich, dass dank seiner Omnipräsenz die Energiewende wieder stärker in den Fokus gerückt ist. Um selbst und mit seinem Thema im Gespräch zu bleiben, steigt er auch schonmal auf die Seehundwaage (141 Kilo). Und posiert auf einem Feld mit einem bunten Plastikwindrad. Er verbreitet gute Laune, kündigt an, erdet hochtrabende Visionen und wird als der Energiewendeminister wahrgenommen. FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler (Altmaier: „Wir haben entschieden, uns zu verstehen“) drängt er so an den Rand.
Zumal sich Altmaier auch in dessen Belange, etwa den Netzausbau, einmischt und symbolisch auch schonmal ein Erdkabel selbst verlegt. Und er betont die Interessen der Industrie, er verteidigt deren Rabatte bei der Ökoenergie-Förderung, der BDI ist voll des Lobes.
Doch nach 100 Tagen im Amt stellt sich die Frage: Wofür steht er? Ist Altmaier mehr Umwelt- oder mehr Wirtschaftsminister? Was kann der 54-jährige Saarländer noch bis zu Bundestagswahl 2013 erreichen? Kann die zuvor als Parlamentarischer Geschäftsführer der Unions-Fraktion praktizierte Methode der dauerhaften Kompromissuche funktionieren? Es braucht eine Reform beim milliardenschweren System zur Förderung erneuerbarer Energien, damit die Strompreise nicht zu stark steigen - und damit nicht die Akzeptanz für die Energiewende schwindet. Nur kostenlose Energieberatungen dürften jedenfalls nicht ausreichen.
Doch er wartet ab, weil er nicht wie Vorgänger Norbert Röttgen im Bundesrat mit der Kürzung der Solarförderung ein Fiasko erleben will. Die FDP und ihr Vorsitzender Rösler wollen aber nicht, dass die Reform auf die lange Bank geschoben wird. Doch Altmaier hat das Problem, dass im Januar im Wind-Land Niedersachen („Ein Premiumpartner bei der Energiewende“) und im Herbst 2013 im Solar-Land Bayern gewählt wird.
Nachdem er hat durchblicken lassen, dass das Ausbautempo mangels Stromnetzen und aus Kostengründen gedrosselt werden muss, konnte er schon erleben, welchen Länderaufschrei er auslöst, wenn er Abstriche fordert. Seine Analyse des Status Quo bei der Energiewende kann er in eine 140-Zeichen-Botschaft im Kurznachrichtendienst Twitter pressen. „Das Hauptproblem der Energiewende ist, dass jeder sie nur aus dem Blickwinkel seines Interesses sieht. Egal ob Wind, Sonne, Kohle, Gas“, twittert Altmaier. „Sie kann aber nur gelingen, wenn die Einzelinteressen zum Ganzen verbunden werden“, betont er.
Zwei Probleme hat er bisher konkret angepackt, beide Lösungen sind aber wohl mit Mehrkosten für die Bürger verbunden. Problem eins: Die Solarförderung. Altmaier sieht das Thema nun als ingedämmt an, weil bei 52 000 Megawatt Schluss mit der Förderung sei. Da der Solarboom wegen der Billig-Konkurrenz aus China aber ungebrochen anhält, belaste dies den Verbraucher stärker, als wenn eine jährliche Förderbegrenzung eingeführt worden wäre, sagen Energieexperten.
Problem zwei: der schleppende Anschluss von Windparks auf See. Pünktlich zum 100-Tage-Jubiläum hat Altmaier am Mittwoch zusammen mit Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (CDU) im Kabinett eine Haftungs-Regelung bei Verzögerungen von Netzanschlüssen für solche Windparks durchgebracht. Aber: Schadenersatzzahlungen müssen von den Verbrauchern ebenfalls über den Strompreis mitgetragen werden, bis zu neun Euro pro Haushalt und Jahr. Gewinne würden privatisiert, die Risiken aber sozialisiert, kritisieren Verbraucherschützer.
Seit Wochen hat das Ministerium zudem wiederholt eine Einigung im Streit um einen Neustart bei der Suche nach einem Atommüll-Endlager in Aussicht gestellt, aber die Uneinigkeit bei den Grünen verzögert dies noch. Da solche Vereinbarungen über Jahre halten müssen, muss Altmaier überall einen parteiübergreifenden Konsens schmieden.
Das engt seinen Handlungsspielraum ein. Sein Erfolg wird davon abhängen, ob ihm gerade bei der Energiewende ein wegweisender Reformwurf gelingt. Oder ob das laut Altmaier „größte Projekt seit dem Wiederaufbau“ im Schlick der Einzelinteressen stecken bleibt. „Wind auf“ schrieb er jüngst als Wunsch für die Energiewende auf den Rotorflügel eines Windrads. Rückenwind verspürt auch Altmaier. Die Windverhältnisse können sich aber auch schnell wieder ändern.