Umweltminister kann sich mit Kabinettskollege Rösler nicht über Ausbau von Windkraft und Netzen einigen. Förderkosten verteuern Strom deutlich.
Berlin. Die Bundesregierung gerät angesichts erwarteter Strompreissteigerungen immer stärker unter Druck. Uneins sind sich vor allem die Minister für Umwelt und Wirtschaft, Peter Altmaier (CDU) und Philipp Rösler (FDP), wie schnell die Koalition den Verbrauchern entgegenkommen muss. Das Thema Stromkosten stand gestern auch auf der Tagesordnung eines Treffens von Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU), Altmaier und Rösler mit Arbeitgebervertretern, Industrie und Gewerkschaften.
Nach dem Gespräch räumte Altmaier ein, dass trotz steigender Strompreise das milliardenschwere Fördersystem für erneuerbare Energien nicht schnell reformiert werden könne. Es sei falsch, jetzt mit Vorschlägen vorzupreschen, die dann keine Mehrheit finden, sagte Altmaier. Die Förderkosten für Solar- und Windenergie müssen die Bürger über den Strompreis zahlen. 2013 droht wegen des raschen Ausbaus ein satter Anstieg, daher will Altmaier das Tempo etwas drosseln.
Rösler forderte hingegen eine zügige Reform - und zwar noch vor der Bundestagswahl 2013. "Wir wollen den Ausbau der erneuerbaren Energien", betonte Rösler, forderte aber geringere Kosten und mehr Wettbewerb. Altmaier sagte, er wolle zunächst Vorschläge der Regierungsparteien und der Länder abwarten.
Solch ein Gesetz müsse aus Gründen der Planungssicherheit über mehrere Jahre Bestand haben. Generell müsse aber der Ausbau von Wind- und Solarparks stärker auf den Ausbau der Netze abgestimmt werden. Mit Arbeitgebern und Gewerkschaften sei man sich einig, dass man die Energiewende wolle, aber zu vernünftigen Preisen. SPD und Grüne warfen der Regierung vor, den Ausbau erneuerbarer Energien auszubremsen und die Energiewende-Kosten einseitig zulasten der Bürger zu verteilen.
Altmaier strebt als ersten Schritt zu mehr Kosteneffizienz einen Konsens mit den Ländern beim Ausbau erneuerbarer Energien an. Er mahnt eine Drosselung an, da allein die Planungen für Windparks rund 60 Prozent über dem errechneten Bedarf lägen. Würden die Anlagen alle gebaut, drohen Mehrkosten in Milliardenhöhe für Anlagen, die vielleicht gar nicht benötigt werden.
Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Ulrich Kelber, griff Umweltminister Altmaier scharf an: "Es ist vollkommen inakzeptabel, den Ausbau bei den erneuerbaren Energien abzubremsen." Kelber sagte, es sei "kein Zufall", dass das Ausbautempo auch bei Energiekonzernen wie RWE und Vattenfall auf Bedenken stoße. "Ein abgebremster Ausbau wäre nur ein später Sieg für Großunternehmen, die jahrzehntelang nicht in die Erneuerbaren investiert haben. Sie sind die schlechtesten Ratgeber in der Debatte", sagte der SPD-Umweltexperte.
Die Regierung hatte sich vorgenommen, bis 2020 rund 35 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien zu erzeugen. Momentan liegt der Anteil mit 25 Prozent über Plan. Bis 2020 könnte der Ökostromanteil auf 50 Prozent steigen. Dafür fehlen aber bisher in ganz Deutschland Stromnetze.
Die über den Strompreis zu zahlenden Förderkosten könnten für einen Durchschnittshaushalt 2013 von derzeit 125 auf 175 Euro pro Jahr steigen. Einkommensschwachen Haushalten drohen starke Mehrbelastungen, zumal auch der Netzausbau und Milliardenrabatte für energieintensive Unternehmen den Haushaltsstrompreis belasten.
Heute will das Kabinett zudem beschließen, dass Extrakosten für den Anschluss von See-Windparks auf den Strompreis abgewälzt werden können und die Bürger mögliche Schadenersatzzahlungen mittragen. Insgesamt machen Steuern, die Ökoenergie-Umlage und andere Abgaben bereits 45 Prozent des Strompreises aus. Weichenstellungen bei der Kostenfrage werden von dem im September tagenden Steuerungskreis erneuerbare Energien von Bund und Ländern erwartet. Zudem soll es mit Blick auf die steigende Ökostrom-Umlage, die am 15. Oktober bekannt gegeben wird, einen runden Tisch geben.
Rösler kündigte an, dass die FDP noch im Herbst einen Vorschlag für eine Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) vorlegen wolle, das den Ökostromausbau mit auf 20 Jahre garantierten Vergütungen fördert. Die gezahlten und noch zu zahlenden Kosten dürften sich auf über 150 Milliarden Euro belaufen. "Das dürfen wir nicht auf die lange Bank schieben, so wie es manche in der Union wollen", sagte Rösler zu "Zeit online".
Der Präsident des Bundesverbandes der Industrie (BDI), Hans-Peter Keitel, warnte davor, Entlastungen für die Industrie zum Sündenbock für hohe Strompreise zu machen. Die Ausnahmen für energieintensive Betriebe bei der Ökostrom-Förderung machten 2,50 Euro pro Haushalt und Monat aus. Das sei ein guter Beitrag für der Erhalt von Arbeitsplätzen, sagte Keitel, der auch an dem Treffen teilnahm.
Der ostdeutsche Wohlfahrtverband Volkssolidarität forderte für Einkommensschwache Sozialtarife beim Strom und eine Abwrackprämie für alte Waschmaschinen und Kühlschränke, um so mehr Energie zu sparen.
Die Koalition ist gezwungen zu handeln. Denn möglicherweise werden sich die Wähler im kommenden Jahr auch an die Worte Angela Merkels vom 9. Juni 2011 erinnern: "Die EEG-Umlage soll nicht über ihre heutige Größenordnung hinaus steigen. Heute liegt sie bei etwa 3,5 Cent pro Kilowattstunde", sagte die Kanzlerin damals.
Im Herbst wird sie sich wohl korrigieren müssen. Denn die im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) festgelegte Umlage zur Förderung von Wind- und Solarstrom wird voraussichtlich von 3,59 auf rund 5 Cent steigen.
Die Linkspartei forderte derweil einen "Energiebonus" für alle Haushalte. Dabei soll jede Person pro Jahr und pro Kopf im Durchschnitt 1000 Kilowattstunden kostenlos bekommen. Ein höherer Verbrauch solle dafür viel stärker als bisher versteuert werden.