Strompreisdebatte erreicht das Kanzleramt, Dienstag Treffen mit Arbeitgebern und Gewerkschaften. Kosten das zentrale Energiewende-Thema.
Berlin. Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) will sich vorerst nicht in die Debatte über die Zusammensetzung der Strompreise einmischen. „Über die Kosten der Energiewende ist in der Vergangenheit sehr viel Widersprüchliches gesagt worden, deshalb beteilige ich mich nicht an weiteren Spekulationen“, sagte Altmaier am Montag in Berlin.
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Am 15. Oktober lägen dem Umweltministerium neue Zahlen der Übertragungsnetzbetreiber vor, für diesen Zeitpunkt sei das Ministerium „gerüstet“. Dann solle der Verbraucher in einem „transparenten Verfahren“ erfahren, „wie der Strompreis sich zusammensetzt“.
Altmaier sagte, er begrüße die Debatte über die Strompreise. Es werde „zum ersten Mal“ über die Folgen und Aussichten der Energiewende debattiert. Allerdings seien „nicht alle Prognosen und Aussagen hilfreich“ gewesen – so habe etwa Vattenfalls Europachef Tuomo Hatakka über die Entwicklung im Laufe der nächsten 10 Jahre gesprochen. „Diese hängt aber sehr davon ab, wie gut wir die Energiewende organisieren.“
Die Kritiker der Energiewende sind weniger zurückhaltend. Sie beherrschen die ganze Klaviatur. Sie warnen vor Stromsperren und Energiearmut, sehen die Strompreise bis 2020 um 30 Prozent steigen und schieben die Schuld der Förderung erneuerbarer Energien zu. Die Gegenseite sagt, Schuld sei vor allem die Bundesregierung, die über Gebühr energieintensive Unternehmen bei den Kosten der Energiewende entlaste, zudem würden die echten Kosten von Atom und Kohle gar nicht eingepreist. Wie so oft liegt die Wahrheit dazwischen, eine Lösung ist kompliziert.
Am Dienstag diskutieren Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU), Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) und Umweltminister Peter Altmaier (CDU) mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), Handwerksvertretern und Gewerkschaften bei einem Spitzentreffen im Kanzleramt über das Politikum Strompreise. Dieses ist zum Zankapfel der Energiewende geworden und könnte neben Baustellen wie der tiefen Euro-Krise den Bundestagswahlkampf 2013 mitbestimmen.
Am Montag stellten Kritiker und Befürworter wieder einmal eigene Studien vor, die das ganze Dilemma beschreiben. Den Auftakt machten die Energiegenossenschaft Greenpeace Energy und der Bundesverband Windenergie. Das Besondere beim Ausbau erneuerbarer Energien ist, dass die Kosten von den Bürgern gezahlt werden: Die Förderung von Wind- und Solarstrom hat einen Anteil von knapp 14 Prozent am Strompreis.
Der Leiter Energiepolitik bei Greenpeace Energy, Marcel Keiffenheim, sieht eine hysterische Debatte. „Immer müssen die erneuerbaren Energien als Preistreiber herhalten“, kritisiert er. Zusammen mit Windverbands-Präsident Hermann Albers fordert er von der Regierung eine faire Kostendebatte über alle Energieträger. Das Forum Ökologische-Marktwirtschaft (FÖS) hat in einer Studie für sie errechnet, dass bei einer Umlage aller Steuerbegünstigungen, anderer Vorteile und staatlicher Finanzhilfen auf den Strompreis eine Kohle- und Atomstrom-Umlage mit 10,2 Cent je Kilowattstunde dreimal so hoch wie die Öko-Umlage wäre. Daher sei der Strompreis höchst unehrlich.
Das FÖS kommt allein bei Atomkraft auf Hilfen von 187 Milliarden Euro. Die erneuerbaren Energien kämen hingegen bei der Förderung über den Strompreis bisher „nur“ auf 54 Milliarden. Mit Zahlen ist es so eine Sache, sie dienen dazu, Politik zu machen, gerade im Moment. So betont das Atomforum, es habe bis 2010 nur 17,2 Milliarden Euro an staatlicher Förderung gegeben. Und die Förderung erneuerbarer Energien ist gesetzlich auf 20 Jahre garantiert. Daher ist jetzt schon sicher, dass Förderzahlungen von weit über 150 Milliarden Euro über den Strompreis zu zahlen sind.
Aber richtig ist: So werden enorme Milliardenbeträge für fossile Rohstoffe vermieden, die ohnehin knapper werden und mittelfristig den Strom teurer machen würden, während Ökostrom jetzt viel kostet, mittelfristig die Preise aber sinken lässt. Und Umweltschäden durch Kohle und die Atommüll-Entsorgung schlagen noch gesondert zu Buche.
Doch die meisten Stromkunden interessiert bloß ihre eigene Rechnung. Das macht es für die Ökostrom-Branche so schwer, argumentativ durchzudringen. Zumal die Entlastungen für stromfressende Unternehmen in die Umlage einberechnet werden – und diese damit sehr zum Ärger der Ökobranche in die Höhe getrieben wird. Von den jährlich 125 Euro Umlagekosten für einen Durchschnittshaushalt entfallen nur 80 bis 90 Euro auf die Vergütung von grünem Strom. Doch dies ist kaum bekannt.
Wegen der Kosten wird nun der Ruf nach einer Reform immer lauter. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) und das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) stellten ebenfalls am Montag ein neues Fördermodell vor. Statt fester Vergütungen sollten die Versorger künftig verpflichtet werden, bestimmte Grünstrom-Quoten zu erfüllen und dafür Wind- oder Solarbetreibern ihren Strom abzukaufen.
Die Erneuerbaren-Branche betont, dass das Modell in Großbritannien Windstrom durch das Ausbremsen des Wettbewerbs teurer als in Deutschland mache. Da kein Investor wisse, welche Zahlungen er bekomme, gehe automatisch die Zahl von Ökostrom-Produzenten zurück. Allen Beteiligten ist klar, dass zur Eindämmung der Kosten eine große Förderreform her muss. Ob das vor der Bundestagswahl 2013 gelingt, ist aber mehr als fraglich.
Mit Material von dapd und dpa