Hoher Besuch auf der Berliner Flughafenbaustelle: Die Politiker im Aufsichtsrat stemmen sich dagegen, dass Termine und Kosten weiter aus dem Ruder laufen. Eine schwierige Aufgabe.
Berlin/Schönefeld. Der Aufsichtsrat tagt in der Feuerwache - ausgerechnet. Nebenan im Terminal des neuen Hauptstadtflughafens versuchen Techniker fieberhaft, die wohl berühmteste Brandschutzanlage des Landes zum Laufen zu bringen. Vor dem schmucklosen grauen Gebäude fahren derweil an diesem Donnerstag die dunklen Limousinen jener Politiker vor, die händeringend Rettungsmaßnahmen für das ramponierte Vorzeigeprojekt suchen. Doch der Chor der Zweifler wird immer lauter.
Der Aufsichtsrat muss ein gewaltiges Finanzloch von mehr als einer Milliarde Euro füllen, Terminpläne prüfen, Millionen für den Lärmschutz bewegen, und, und, und. Seit die Eröffnung des Prestigeprojekts im Frühjahr spektakulär platzte, ist jedes Treffen der Aufseher eine Krisensitzung. Und manchmal sind gerade gewonnene Gewissheiten schnell wieder überholt.
Der Eröffnungstermin etwa. Im Mai saßen die Eigentümervertreter Klaus Wowereit (Berlin), Matthias Platzeck (Brandenburg) und Rainer Bomba (Bund) nebeneinander und forderten eine Inbetriebnahme nach den Sommerferien – eine Schnapsidee, wie sich bald herausstellte. Später legten sie den 17. März 2013 fest – doch bald wackelte auch dieses Datum.
Inzwischen glaubt kaum noch jemand an diesen Termin. Spekulationen reichen bis zum Herbst nächsten Jahres, teils bis 2014. Doch damit gerät eine weitere Gewissheit ins Wanken: Die Mehrkosten von 1,177 Milliarden Euro gelten für eine Eröffnung im März. Weitere Verschiebungen bringen weitere Kosten. Und ohne sichere Termine keine Bankzusagen.
Das Desaster um den Hauptstadtflughafen hat längst eine Debatte darüber ausgelöst, wie öffentliche Unternehmen zu steuern sind. Gehören Politiker wirklich in den Aufsichtsrat oder besser Fachleute? Wie weit muss das Kontrollgremium in die Geschäftsführung eingreifen? Lassen sich solche Großprojekte überhaupt verlässlich steuern?
Für die Opposition – und da können die Bewertungen je nach Land oder Bundesebene auch innerparteilich auseinanderdriften – ist der Fall klar: Wowereit und Platzeck müssen ihre Plätze im Aufsichtsrat räumen, Flughafenchef Rainer Schwarz soll gehen. Doch Platzeck und Wowereit scheinen entschlossen, die Suppe auszulöffeln. Er kneife nicht, sagt Platzeck. Und Wowereit verteidigt sich, er sei als Aufsichtsratschef nicht dafür verantwortlich, welcher Termin technisch umsetzbar ist.
Mögen sie früher möglicherweise nicht genug nachgefragt haben - heute liegt vieles tatsächlich nicht mehr in ihrer Hand. Die 15 Augenpaare des Kontrollgremiums ruhen am Donnerstag auf Horst Amann, dem neuen Technikchef, den sich die Berliner vom Großflughafen in Frankfurt holen.
Amann gilt als erfahren und durchsetzungsstark. Doch einen neuen Eröffnungstermin will er dem Vernehmen nach erst in einigen Wochen nennen. Zu komplex ist das Projekt. Am Mittag verlässt Brandenburgs Verkehrsstaatssekretär Rainer Bretschneider die Sitzung in der Feuerwache. Er wisse doch auch nicht, wie lange es noch dauere, ruft er und wirft die Arme in die Luft.
Der steinige Weg zum Hauptstadtflughafen
Dezember 1991: Gründung der Berlin Brandenburg Flughafen Holding (BBF). Gesellschafter sind die Länder Berlin und Brandenburg.
Januar 1992: Beginn der Planungen für den Flughafen mit dem Projektnamen Berlin Brandenburg International, BBI.
Juni 1996: Der Ausbau des Flughafens Schönefeld sowie die Schließung der Flughäfen Tegel und Tempelhof werden beschlossen.
August 2004: Das Genehmigungsverfahren für den BBI wird mit dem Planfeststellungsbeschluss abgeschlossen. April 2005: Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verhängt im Eilverfahren einen weitgehenden Baustopp. Bis zum Urteil sind nur Bauvorbereitungen gestattet.
März 2006: Das Gericht genehmigt in letzter Instanz den Bau des BBI unter verschärften Lärmschutzauflagen.
Juli 2008: Erster Spatenstich für das Flughafen-Terminal. Oktober 2008: Nach 85 Jahren schließt der Flughafen Tempelhof.
Oktober 2009: Das Brandenburger Verkehrsministerium erlässt eine neue Nachtflugregelung: Keine Starts und Landungen von Mitternacht bis 5.00 Uhr, Ausnahme Post- und Regierungsmaschinen, Notfälle. In den Randzeiten davor und danach ist die Zahl begrenzt.
Juni 2010: Unter anderem wegen der Pleite einer Planungsfirma wird die Eröffnung von November 2011 auf den 3. Juni 2012 verschoben.
September 2010: Die Deutsche Flugsicherung legt einen ersten Flugrouten-Vorschlag vor. Tausende Betroffene gehen dagegen auf die Straße. Es gibt neue Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss.
Oktober 2011: Das Bundesverwaltungsgericht gibt grünes Licht für nächtliche Flüge in den Randzeiten. Der Airport kann ohne weitere Einschränkungen an den Start gehen.
Januar 2012: Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung legt die Flugrouten fest und folgt im wesentlichen einem Vorschlag der Fluglärmkommission aus Gemeinde- und Airline-Vertretern.
Mai 2012: Vier Wochen vor dem Termin wird wegen Problemen mit der Brandschutzanlage die Eröffnung des Flughafens erneut abgesagt. Später wird Chef-Planer Manfred Körtgen entlassen. Juni 2012: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg spricht den Anwohnern das Recht auf besseren Schallschutz zu.
22. Juni 2012: Der Aufsichtsrat entscheidet, den neuen Starttermin 17. März erneut zu überprüfen und am 16. August darüber zu entscheiden.
31. Juli 2012: Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig weist die Klage von Anwohnern ab, das Genehmigungsverfahren für den neuen Hauptstadtflughafen neu aufzurollen. Jetzt steht der Eröffnung des Airports zumindest juristisch nichts mehr im Weg.
16. August 2012: Sitzung des Aufsichtsrats der Flughafengesellschaft. Es wird erwartet, dass ein Konzept zur Finanzierung der Mehrkosten von 1,17 Milliarden Euro vorgelegt wird. Außerdem steht der für 17. März 2013 geplante Eröffnungstermin zur Disposition.