Für Klaus Wowereit gab es eindeutig lustigere und erfolgreichere Zeiten. Berlins Regierungschef muss sich für das Flughafen-Debakel bundesweit als Versager prügeln lassen. Doch der Machtpolitiker will die Krise durchstehen.

Berlin. Nach der erneut verschobenen Eröffnung des Berliner Großflughafens setzen Air Berlin und die Lufthansa auf eine rasche Lösung. „Hoffentlich kommen sie schnell in die Hufe“, sagte Air-Berlin-Chef Hartmut Mehdorn am Mittwoch bei der Vorstellung der Quartalszahlen. Man warte auf einen neuen Termin, am besten im Sommer 2013 – pünktlich zur wichtigen Urlaubssaison. Auch ein Lufthansa-Sprecher sagte, je früher die Eröffnung, desto besser. Zugleich forderte die größte deutsche Fluggesellschaft, ein neuer Termin müsse verlässlich sein. Nach den mehrmals geplatzten Startterminen für den Hauptstadtflughafen wollen Lufthansa wie auch Air Berlin Regressansprüche geltend machen. „Mit dem Flughafen sind wir in einem guten Dialog, um unsere Mehrkosten erstattet zubekommen“, sagte Mehdorn.

Nach der Berliner Grünen-Fraktionsvorsitzenden Ramona Pop hat auch ihrer brandenburgischer Amtskollege Axel Vogel Flughafenchef Rainer Schwarz zum Rücktritt aufgefordert. Seit der Absage der zunächst für 3. Juni geplanten Eröffnung des Hauptstadtflughafens sei Schwarz ohnehin nur noch „Geschäftsführer auf Abruf“ gewesen, sagte der Fraktionschef im Brandenburger Landtag am Mittwoch in Potsdam der Nachrichtenagentur dapd. Angesichts der neuen Spekulationen über eine erneute Verschiebung der Inbetriebnahme des Airports sei Schwarz nun überfällig.

Ohnehin sei der Flughafenchef nur noch im Amt belassen worden, um Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (beide SPD) aus der Schusslinie zu halten, sagte Vogel. „Er hätte schon zusammen mit Technik-Geschäftsführer Manfred Körtgen gehen müssen.“ Dieser hatte im Mai seinen Job bei der Flughafengesellschaft verloren.

Wowereit antwortete geduldig auf alle bohrenden Fragen. Kurz vor der auch für ihn so wichtigen Aufsichtsratssitzung zum Flughafen-Desaster an diesem Donnerstag spult der 58-Jährige routiniert seine Sichtweise ab. Dabei backt er momentan kleine Brötchen. Der manchmal arrogante bis wurstige Ton ist sachlicher Argumentation gewichen, denn Wowereits Ansehen ist arg lädiert.

Die Einschätzung, ein zum dritten Mal verschobener Start des neuen Hauptstadtflughafens könnte auch seine Zukunft als Chef des Roten Rathauses, zumindest aber des Flughafen-Aufsichtsrats besiegeln, weist Wowereit von sich. „Ich glaube nicht, dass der Aufsichtsratschef dafür verantwortlich ist, welcher Termin technisch umsetzbar ist“, sagt er der Nachrichtenagentur dpa.

Die Eröffnung musste bereits zweimal wegen Problemen mit der Brandschutzanlage verschoben werden. Inzwischen sickerte durch, dass der Flughafen im Juni erst zu 56 Prozent betriebsbereit gewesen wäre. Die Kosten explodierten um 1,17 Milliarden auf 4,5 Milliarden Euro, Gerüchte von der Pleite der Flughafengesellschaft machen schon die Runde. Und voraussichtlich wird an diesem Donnerstag auch der avisierte neue Starttermin 17. März 2013 nicht bestätigt.

Jeder Bauherr müsse darauf setzen, „dass die Fachleute Vorgaben machen, die einhaltbar sind“. Schließlich könne man nicht erwarten, dass Politiker die Arbeit der Geschäftsführung machten, argumentiert der Chef. Doch wer Wowereit kennt, weiß, dass seine Gelassenheit aufgesetzt ist.

Kein Projekt seiner inzwischen mehr als elfjährigen Amtszeit hat der SPD-Politiker so als „sein Baby“ gefördert wie einen internationalen Flughafen für die Hauptstadt. Kübel von Häme und Spott wurden in den Medien wie von der Opposition über Wowereit ausgegossen. Berlin habe immer eine große Klappe wie sein Regierungschef, halte sich für sexy, bringe aber nichts zustande.

Das tropft an dem bisher so beliebten Regierungschef nicht einfach ab. Dafür ist er auch hinter seiner oft als lust- und inspirationslos kritisierten „laissez-faire“-Haltung zu ehrgeizig. Höhen und Tiefen hat es viele in Wowereits Karriere gegeben. Aber noch nie ist der Bundes-SPD-Vize in ein so tiefes Tal gestürzt wie jetzt. Um 18 Punkte rutschte der Berliner Senatschef in der Sympathieskala ab.

Politische Vertraute erzählen, wie wütend und fassungslos Wowereit über die so kurzfristige zweite Verschiebung war. Die Ohnmacht, die Abhängigkeit vom Wissen und Wort anderer, schmecken dem knallharten Machtpolitiker gar nicht, denn am liebsten bestimmt er selbst den Kurs. Doch ein Eingeständnis, nicht hartnäckig genug nachgefragt und kontrolliert zu haben, kommt Wowereit nicht über die Lippen. Fehler gesteht der Jurist nicht gerne ein. Dennoch verzichtete er in diesem Jahr auf einen Sommerurlaub, um jederzeit beim Flughafen eingreifen zu können.

Als Aufsichtsratschef mit dem Ruf eines politischen Paradiesvogels ist es Wowereit, dem die gesamte Verantwortung für die so kostenträchtige Verschiebung im 15-köpfigen Gremium angelastet wird. Die anderen beiden Gesellschafter in Gestalt von Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) und Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) kommen bemerkenswert unbeschadet heraus. „Die verstecken sich hinter Wowereits breitem Rücken und machen sich einen schlanken Fuß“, schimpfen nicht nur empörte Genossen. Das stellt auch Ex-Linke-Chefin Gesine Lötzsch fest.

Doch Wowereit wäre nicht Wowereit, wenn er jetzt alles hinschmeißen würde, wie einige in der Berliner SPD-Spitze befürchten. Bevor nicht die ersten Flugzeuge vom neuen Airport abheben, verlässt er als Steuermann nicht die Kommandobrücke. Der Mann, der sich ähnlich wie Alt-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) aus ärmlichsten Verhältnissen hochgekämpft hat, beharrt in solchen Krisensituationen. Heftige Attacken wecken regelmäßig seinen Kampfgeist.

Diesen Kampfgeist, seine Sturheit, seinen unbändigen Aufstiegswillen, aber auch seinen Pragmatismus in vielen politischen Fragen – das alles habe ihm seine Mutter, die Putzfrau Hertha Grüner, mit auf den Lebensweg gegeben, schrieb der SPD-Politiker 2007 in seiner Autobiografie. Nur so ist zu erklären, dass der sich gern als links gerierende SPD-Politiker erst zehn Jahre mit der Linken regiert hat und dann zur konservativen CDU gewechselt ist, um die Berliner SPD und sich an der Macht zu halten.

„Dämmern wollten mich schon viele“, spottete Wowereit unlängst bei einem SPD-Parteitag in Anspielung auf die von der Opposition für ihn ausgerufene „Götterdämmerung“. „Gelungen ist es noch keinem.“

Mit Material von dpa und rtr