Für Klaus Wowereit gab es eindeutig lustigere und erfolgreichere Zeiten. Berlins Regierungschef muss sich für das Flughafen-Debakel bundesweit als Versager prügeln lassen. Doch der Machtpolitiker will die Krise durchstehen.
Berlin. Für sein Pokerface ist er bekannt. Im Gesicht von Klaus Wowereit (SPD) spiegeln sich weder Unsicherheit noch Ärger oder Selbstzweifel. Berlins Regierender Bürgermeister gibt sich gelassen, obwohl er wegen der verschobenen Flughafen-Eröffnung mächtig unter Druck steht. Geduldig antwortet er im Interview auf alle bohrenden Fragen. Kurz vor der auch für ihn so wichtigen Aufsichtsratssitzung zum Flughafen-Desaster an diesem Donnerstag spult der 58-Jährige routiniert seine Sichtweise ab. Dabei backt er momentan kleine Brötchen. Der manchmal arrogante bis wurstige Ton ist sachlicher Argumentation gewichen, denn Wowereits Ansehen ist arg lädiert.
Die Einschätzung, ein zum dritten Mal verschobener Start des neuen Hauptstadtflughafens könnte auch seine Zukunft als Chef des Roten Rathauses, zumindest aber des Flughafen-Aufsichtsrats besiegeln, weist Wowereit von sich. „Ich glaube nicht, dass der Aufsichtsratschef dafür verantwortlich ist, welcher Termin technisch umsetzbar ist“, sagt er der Nachrichtenagentur dpa.
Die Eröffnung musste bereits zweimal wegen Problemen mit der Brandschutzanlage verschoben werden. Inzwischen sickerte durch, dass der Flughafen im Juni erst zu 56 Prozent betriebsbereit gewesen wäre. Die Kosten explodierten um 1,17 Milliarden auf 4,5 Milliarden Euro, Gerüchte von der Pleite der Flughafengesellschaft machen schon die Runde. Und voraussichtlich wird an diesem Donnerstag auch der avisierte neue Starttermin 17. März 2013 nicht bestätigt.
Jeder Bauherr müsse darauf setzen, „dass die Fachleute Vorgaben machen, die einhaltbar sind“. Schließlich könne man nicht erwarten, dass Politiker die Arbeit der Geschäftsführung machten, argumentiert der Chef. Doch wer Wowereit kennt, weiß, dass seine Gelassenheit aufgesetzt ist.
Kein Projekt seiner inzwischen mehr als elfjährigen Amtszeit hat der SPD-Politiker so als „sein Baby“ gefördert wie einen internationalen Flughafen für die Hauptstadt. Kübel von Häme und Spott wurden in den Medien wie von der Opposition über Wowereit ausgegossen. Berlin habe immer eine große Klappe wie sein Regierungschef, halte sich für sexy, bringe aber nichts zustande.
Das tropft an dem bisher so beliebten Regierungschef nicht einfach ab. Dafür ist er auch hinter seiner oft als lust- und inspirationslos kritisierten „laissez-faire“-Haltung zu ehrgeizig. Höhen und Tiefen hat es viele in Wowereits Karriere gegeben. Aber noch nie ist der Bundes-SPD-Vize in ein so tiefes Tal gestürzt wie jetzt. Um 18 Punkte rutschte der Berliner Senatschef in der Sympathieskala ab.
Politische Vertraute erzählen, wie wütend und fassungslos Wowereit über die so kurzfristige zweite Verschiebung war. Die Ohnmacht, die Abhängigkeit vom Wissen und Wort anderer, schmecken dem knallharten Machtpolitiker gar nicht, denn am liebsten bestimmt er selbst den Kurs. Doch ein Eingeständnis, nicht hartnäckig genug nachgefragt und kontrolliert zu haben, kommt Wowereit nicht über die Lippen. Fehler gesteht der Jurist nicht gerne ein. Dennoch verzichtete er in diesem Jahr auf einen Sommerurlaub, um jederzeit beim Flughafen eingreifen zu können.
Als Aufsichtsratschef mit dem Ruf eines politischen Paradiesvogels ist es Wowereit, dem die gesamte Verantwortung für die so kostenträchtige Verschiebung im 15-köpfigen Gremium angelastet wird. Die anderen beiden Gesellschafter in Gestalt von Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) und Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) kommen bemerkenswert unbeschadet heraus. „Die verstecken sich hinter Wowereits breitem Rücken und machen sich einen schlanken Fuß“, schimpfen nicht nur empörte Genossen. Das stellt auch Ex-Linke-Chefin Gesine Lötzsch fest.
Doch Wowereit wäre nicht Wowereit, wenn er jetzt alles hinschmeißen würde, wie einige in der Berliner SPD-Spitze befürchten. Bevor nicht die ersten Flugzeuge vom neuen Airport abheben, verlässt er als Steuermann nicht die Kommandobrücke. Der Mann, der sich ähnlich wie Alt-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) aus ärmlichsten Verhältnissen hochgekämpft hat, beharrt in solchen Krisensituationen. Heftige Attacken wecken regelmäßig seinen Kampfgeist.
Diesen Kampfgeist, seine Sturheit, seinen unbändigen Aufstiegswillen, aber auch seinen Pragmatismus in vielen politischen Fragen – das alles habe ihm seine Mutter, die Putzfrau Hertha Grüner, mit auf den Lebensweg gegeben, schrieb der SPD-Politiker 2007 in seiner Autobiografie. Nur so ist zu erklären, dass der sich gern als links gerierende SPD-Politiker erst zehn Jahre mit der Linken regiert hat und dann zur konservativen CDU gewechselt ist, um die Berliner SPD und sich an der Macht zu halten.
„Dämmern wollten mich schon viele“, spottete Wowereit unlängst bei einem SPD-Parteitag in Anspielung auf die von der Opposition für ihn ausgerufene „Götterdämmerung“. „Gelungen ist es noch keinem.“ aus Sicht des Fraktionschefs der Brandenburger Grünen, Axel Vogel, sind die Nachrichten sowohl für Platzeck als auch für Wowereit „äußerst peinlich“. Schließlich belegten sie, „dass die handelnden Politiker im Aufsichtsrat über die aktuelle Lage auf der BER-Baustelle jeden Überblick verloren haben“, sagte Vogel.