Thilo Sarrazin hatte die Entlassung bereits geahnt. Jetzt ist Bundespräsident Wulff am Zug: Er muss über den Abberufungsantrag bestimmen.
Hamburg/Berlin. Dass die Deutsche Bundesbank ihn als Vorstand entlassen würde, das hatte Thilo Sarrazin (65) bereits vor Millionen Fernsehzuschauern eingestanden. „Ich bin am Ende meines Berufslebens. Ich bin materiell unabhängig“, sagte er in Frank Plasbergs Talkshow „Hart aber fair“ bereits am Mittwochabend. Am Donnerstagnachmittag war es dann soweit. Nach einer weiteren Krisensitzung in Frankfurt/Main zog der Vorstand die Konsequenzen aus Sarrazins Provokationen in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“, in zahlreichen Interviews und aus den heftigen Reaktionen aus Politik und Gesellschaft.
Die Bundesbank teilte einsilbig mit: Der Vorstand habe „einstimmig beschlossen, beim Bundespräsidenten die Abberufung von Dr. Thilo Sarrazin als Mitglied des Vorstandes zu beantragen“, sagte ein Sprecher. Zuletzt hatte auch noch EZB-Präsident Jean-Claude Trichet gesagt: „Als Bürger war ich entsetzt über diese Äußerungen, als Präsident der Europäischen Zentralbank habe ich volles Vertrauen in die Entscheidungen der Bundesbank.“
Jetzt muss Bundespräsident Christian Wulff über den Antrag bestimmen. Bundesbankpräsident Axel Weber kann ein Vorstandsmitglied nicht einfach entlassen. Vor Ablauf ihrer Amtszeit können die Vorstandsmitglieder nach geltendem Recht nur abberufen werden, wenn sie die Voraussetzungen zur Ausübung ihrer Tätigkeit nicht mehr erfüllen. Das wäre etwa bei schwerer Krankheit der Fall oder bei einer schweren Verfehlung. Was als Verfehlung gilt, ist nicht klar definiert, also Interpretationssache. Sarrazin gehört dem Vorstand erst seit dem 1. Mai dieses Jahres an, seine Amtszeit läuft bis 2014.
Weber hatte schon im Herbst letzten Jahres Interviewäußerungen als Verstoß gegen den Verhaltenskodex der Bundesbank bezeichnet. Diesen Ehrenkodex hat sich das Institut im Juli 2004 nach dem Streit über die kostenlose Übernachtung von Expräsident Ernst Welteke bei einer Silvesterfeier in Berlin gegeben. Darin heißt es im ersten Kapitel: Die Vorstandsmitglieder „verhalten sich jederzeit in einer Weise, die das Ansehen der Bundesbank und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Bundesbank aufrecht erhält und fördert“.
Die Grünen im Bundestag nannten eine schnelle Abberufung Sarrazins „überfällig“. Der finanzpolitische Sprecher Gerhard Schick sagte, der frühere Berliner Finanzsenator habe das Geldinstitut mit seinen kritischen Äußerungen über Muslime und zur Integrationspolitik beschädigt.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) warf Sarrazin in der „Stuttgarter Zeitung“ sinngemäß geistige Brandstiftung vor: „Was jetzt aktuell passiert, das kommt mir so vor, als würde einer eine Fackel an einen Heuhaufen halten, um darauf hinzuweisen, dass es brennen könnte. Das ist verantwortungslos“, sagte de Maizière (CDU). Sarrazin (SPD) wolle mit einer „für ihn finanziell einträglichen Provokation eine Debatte zerstören“.
Der Vorsitzende des Islamrats, Ali Kizilkaya, sagte dem „Hamburger Abendblatt“, er finde es „sehr bedauerlich und fast schon beängstigend, dass die Islamophobie in Gestalt von Herrn Sarrazin langsam in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein scheint“. Sarrazins Äußerungen seien kein Beitrag zur Integration, sondern zur Ausgrenzung. Kizilkaya forderte auch Sarrazins Ausschluss aus der SPD. Das kann Sarrazin jetzt noch bevorstehen. Sein Buch allerdings soll sich glänzend verkaufen.