Eine umfassende Reform des Bundesamtes für Verfassungsschutz sei notwendig, denn die Bedrohung z. B. durch Extremismus nehme zu.
Berlin. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich will das Bundesamt für Verfassungsschutz gegenüber den Landesämtern stärken. Dies kündigte der CSU-Politiker am Mittwoch bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2011 in Berlin an. Bis zum Herbst werde er Eckpunkte für eine umfassende Reform vorlegen. Zugleich wies Friedrich Forderungen nach einer Abschaffung der krisengeschüttelten Behörde zurück. „Der Verfassungsschutz ist ein unverzichtbares Frühwarnsystem.“ Die Bedrohung Deutschlands durch Extremismus, Terrorismus und Cyber-Angriffe nehme zu.
Nach der Pannenserie im Fall des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) sei das Ansehen des Verfassungsschutzes beschädigt, räumte Friedrich ein. Nunmehr gelte es, das Vertrauen in die Behörde wieder herzustellen. Daher solle nach der Erarbeitung der Eckpunkte eine Reform „zügig“ vorangetrieben werden. Der Minister erwartet, dass der neue Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, die Veränderungen „konsequent“ durchsetzt.
+++ Kabinett beruft Maaßen zum neuen Verfassungsschutzchef +++
Friedrich nahm den designierten Chef gegen Vorwürfe in Schutz. Politiker von Linken und Grünen hatten Maaßen unterstellt, er sei als Referatsleiter im Innenministerium mit Schuld daran gewesen, dass dem Deutsch-Türken Murat Kurnaz seinerzeit eine frühzeitige Rückkehr aus dem US-Gefangenenlager Guantanamo nach Deutschland verwehrt wurde. Die politischen Konsequenzen „hätte die damalige rot-grüne Regierung ziehen müssen, aber nicht ein Beamter im Ministerium“, sagte der Innenminister. 2001 war Kurnaz von den USA festgenommen worden. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erwirkte dann 2006 seine Freilassung. Zwischenzeitlich war Kurnaz’ Aufenthaltserlaubnis in Deutschland erloschen.
Der 49-jährige Maaßen, der bisher Stabschef für Terrorismusbekämpfung im Innenministerium war, folgt am 1. August dem langjährigen Präsidenten des Verfassungsschutzes, Heinz Fromm, im Amt. Das beschloss am Mittwoch das Bundeskabinett. Fromm hatte seinen vorzeitigen Rückzug angekündigt, als bekannt wurde, dass ein Beamter seines Amtes wichtige Akten zur Zwickauer Terrorzelle geschreddert hatte, noch nachdem die Terrororganisation im November 2011 aufgeflogen war.
Dies sei kein gewöhnlicher Fehler gewesen, sagte Fromm am Mittwoch zu dem brisanten Vorgang und ging mit seiner Behörde erneut hart ins Gericht: „Die Besonderheit war, dass der Fehler über ein halbes Jahr vertuscht worden ist.“ Laut dem scheidenden Geheimdienstler ist das Disziplinarverfahren gegen jenen Referatsleiter noch nicht abgeschlossen. Verfahren seien auch gegen zwei ihm Vorgesetzte eingeleitet worden.
Fromm stand zwölf Jahre an der Spitze des Amts. Friedrich dankte ihm für seine Arbeit und Loyalität. Er betonte, der Verfassungsschutz habe maßgeblichen Anteil daran, dass seit 2001 sieben Anschlagsvorbereitungen mit islamistischem Hintergrund vereitelt werden konnten. Zudem habe man durch Erkenntnisse der Geheimdienstler vermocht, Vereine von gewaltbereiten Muslimen, aber auch rechtsextremistische Organisationen zu verbieten.
„Es gab aber auch Misserfolge“, räumte der Innenminister ein. Der „größte“ sei das „Nichtentdecken des NSU“ gewesen. Tatsächlich enthält der Verfassungsschutzbericht 2010 noch keinen Hinweis auf die Gefahr des Rechtsterrorismus. In dem neuen Bericht warnt die Sicherheitsbehörde nun vor möglichen Nachahmern des NSU. Es sei nicht auszuschließen, „dass Einzelne diese Taten sich zum Vorbild nehmen könnten und ähnlich agieren könnten“, sagte Fromm. „Hier ist hohe Aufmerksamkeit gefordert.“ Laut dem Bericht nimmt die Zahl von Neonazis und gewaltbereiten Rechtsextremisten zu. Die Mitgliederzahl rechtsextremistischer Parteien gehe hingegen zurück.
Auch in der linksautonomen Szene gebe es eine zunehmende Gewaltbereitschaft, sagte Fromm. Die Bedrohung durch islamistische Extremisten bestehe zudem unverändert fort – „von ihr geht die größte Gefahr aus“. Insbesondere sei ein starker Zulauf bei den radikalen Salafisten zu verzeichnen, die in Deutschland inzwischen 3.800 teils gewaltbereite Anhänger hätten.