Merkel berät bereits mit Interims-Präsident Seehofer im Kanzleramt über einen Nachfolger, der bis zum 18. März feststehen muss. Wulff ist in sein Haus nach Großburgwedel zurückgekehrt, das vor zehn Wochen Anstoß für die Affäre um den Bundespräsidenten war. Ab Sonnabend will die Staatsanwaltschaft strafrechtlich gegen ihn ermitteln.
Berlin/Hamburg. Eine Erklärung ist am Abend nicht mehr geplant, dennoch ist anzunehmen, dass bei dem Gespräch, das Merkel mit dem Interims-Präsidenten Seehofer im Kanzleramt führt, bereits wichtige Weichen gestellt werden. Schon wenige Stunden nach dem Rücktritt Wulffs ist die Nachfolgedebatte bereits in vollem Gange. Dis ist auch nötig, denn am 18. März muss Deutschlands neuer Bundespräsident feststehen. Und die Suche wird nicht leicht werden. Wulff ist derweil in sein Haus nach Großburgwedel zurückgekehrt, das Anstoß für die fast zehn Wochen dauernde Debatte über gewisse Vorteile war, die Wulff in seinem Amt als Ministerpräsident Niedersachsens in Anspruch genommen haben soll. Dort harrt er der Dinge, die nun kommen mögen: Ab Sonnabend wird außerdem die Staatsanwaltschaft Hannover strafrechtlich gegen ihn ermitteln: Es geht um den Anfangsverdacht auf Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung. Am Freitag war Wulff noch durch die Immunität seines Amtes geschützt. Mit seinem Rücktritt am Freitag endete die kürzeste Amtsperiode eines deutschen Bundespräsidenten.
Der 52-Jährige gab seinen Rücktritt am Freitag in einer persönlichen Erklärung bekannt, zu der er kurzfristig ins Schloss Bellevue geladen hatte. Wulff wies an der Seite seiner Frau Bettina alle Vorwürfe wegen möglicher Begünstigungen durch befreundete Unternehmer nochmals zurück, räumte aber Fehler rein. Zugleich gab er zu, dass er das Präsidentenamt nicht mehr so wahrnehmen könne, „wie es notwendig ist“.
Merkel zollte dem bislang jüngsten bundesdeutschen Staatsoberhaupt „größten Respekt“. Zugleich kündigte die CDU-Chefin an, über die Parteigrenzen hinweg nach einem Nachfolger zu suchen. Am Freitagabend kam sie zu einem ersten Gespräch mit FDP-Chef Philipp Rösler zusammen. Später traf auch der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer im Kanzleramt ein. Am Samstag sollen bei einem weiteren Treffen die schwarz-gelben Fraktionsspitzen Volker Kauder (CDU), Gerda Hasselfeldt (CSU) und Rainer Brüderle (FDP) dazukommen. Auch SPD und Grüne sollen ins Boot geholt werden. Dies wurde aber nicht vor Sonntag erwartet. Nur die Linkspartei soll außen vor bleiben.
In der Bundesversammlung, die das neue Staatsoberhaupt wählt, hat Schwarz-Gelb nur eine knappe Mehrheit von derzeit mindestens vier Stimmen. Im Gespräch für die Nachfolge sind unter anderem Verteidigungsminister Thomas de Maizière, der ehemalige Umweltminister Klaus Töpfer (beide CDU) und auch der frühere DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck, der 2010 als rot-grüner Kandidat gegen Wulff nur knapp verloren hatte. Gauck sagte am Abend, er habe noch nicht über eine erneute Kandidatur entschieden.
Ausschlaggebend für Wulffs Rücktritt dürfte letztlich die Staatsanwaltschaft Hannover gewesen sein, die wegen der möglichen Annahme von Vergünstigungen durch den befreundeten Film-Unternehmer David Groenewold ermitteln will. Nach Angaben aus Wulffs Umgebung hatte sich der frühere niedersächsische Ministerpräsident und CDU-Vize bereits am Donnerstagabend dazu entschlossen, nachdem die Staatsanwaltschaft die Aufhebung seiner Immunität beantragt hatte.
+++Die Rücktrittserklärung des Bundespräsidenten im Wortlaut+++
+++Live: Christian Wulff ist zurückgetreten+++
Den vorzeitigen Abgang begründete Wulff insbesondere mit einem Vertrauensverlust in der Bevölkerung. Der Präsident müsse „vom Vertrauen nicht nur einer Mehrheit, sondern einer breiten Mehrheit“ getragen werden. „Die Entwicklung der vergangenen Tage und Wochen hat gezeigt, dass dieses Vertrauen und damit meine Wirkungsmöglichkeiten nachhaltig beeinträchtigt wird.“ Leider könne er sein Amt „nach innen und nach außen“ nicht mehr so wahrnehmen wie erforderlich. Die Berichterstattung habe ihn und seine Frau „verletzt“.
+++Staatsanwaltschaft hat Aufhebung von Wulffs Immunität beantragt+++
+++Die Mitteilung der Staatsanwaltschaft im Wortlaut+++
Wulff äußerte sich überzeugt, dass die Ermittlungen gegen ihn zu einer „vollständigen Entlastung“ führen werden. „Ich habe mich in meinen Ämtern stets rechtlich korrekt verhalten. Ich habe Fehler gemacht. Aber ich war immer aufrichtig.“
Zur Nachfolgesuche sagte die Kanzlerin: „Wir wollen Gespräche führen mit dem Ziel, in dieser Situation einen gemeinsamen Kandidaten für die Wahl des nächsten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland vorschlagen zu können.“ Von der FDP wurde aber betont, dass die Entscheidung innerhalb der Koalition falle.
SPD und Grüne erklärten sich zu Gesprächen bereit. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sagte „bild.de“: „Die SPD steht bereit für einen Neuanfang. Für die SPD ist entscheidend, eine Persönlichkeit zu finden, die dem schwer angeschlagenen Amt des Staatsoberhaupts angemessenen Respekt und Würde zurückgibt.“ Grünen-Chef Cem Özdemir sagte: „Ich begrüße, dass die Bundeskanzlerin einen offensichtlichen Lernprozess durchgemacht hat.“
Aus den Reihen der Union wurden auch Finanzminister Wolfgang Schäuble und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (beide CDU) als mögliche Nachfolger genannt. Im Gespräch sind auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, und die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt. Bis zur Wahl des neuen Staatsoberhaupts nimmt nun Bayerns Ministerpräsident Seehofer als amtierender Präsident des Bundesrats die Aufgaben des Staatsoberhaupts wahr.
Wulff ist innerhalb von zwei Jahren bereits der zweite Bundespräsident, der vorzeitig das Amt verlässt. Vorgänger Horst Köhler hatte im Mai 2010 überraschend seinen Rücktritt erklärt, nachdem er mit Äußerungen zum Afghanistan-Einsatz eine Diskussion ausgelöst hatte. Strittig ist nun, ob Wulff wie die vier anderen lebenden Ex-Präsidenten künftig einen „Ehrensold“ in Höhe von annähernd 200 000 Euro pro Jahr bekommt. (dpa)