Guttenberg kritisiert die CSU scharf, Seehofer poltert zurück. Die Absichten und Pläne von “KT“ scheinen momentan nicht sehr durchsichtig.
München/Usti. Will er zurückkommem oder sich erst endgültig ins Abseits stellen? Guttenbergs Kritik an der CSU scheint nicht glücklich gewählt zu sein. Ein Comeback Karl-Theodor zu Guttenbergs auf die politische Bühne würde derzeit nicht nur das Wahlvolk in zwei Lager spalten, sondern auch seine eigene Partei. Zwar hat die CSU im heimischen Oberfranken den Bundestagsstimmkreis Kulmbach-Lichtenfels bislang faktisch für Guttenberg reserviert: Er hat noch ein halbes Jahr Zeit, sich zu erklären. Doch der rote Teppich für „KT“ würde an der oberfränkischen Bezirksgrenze enden. An der CSU-Basis im restlichen Bayern ist eine Wiederkehr Guttenbergs nach Angaben von CSU-Politikern derzeit kein Thema.
Guttenberg war vor neun Monaten wegen der Plagiatsaffära Plagiatsaffäre als Verteidigungsminister zurückgetreten. Es hatte sich herausgestellt, dass er zahlreiche Passagen seiner Doktorarbeit von anderen Autoren übernommen hatte, ohne dies kenntlich zu machen. Seine Comeback-Chancen in der CSU hat er nun gerade selbst erheblich verkleinert: Er spricht der CSU in einem Interview mit der „Zeit“ den Anspruch ab, Volkspartei zu sein und liebäugelt mit einer neuen Partei – die der Union Konkurrenz machen würde. „Ich glaube, ... dass eine solche Gruppierung am ehesten in der Mitte Erfolg haben könnte, nicht an den Rändern des politischen Spektrums.“
Parteichef Horst Seehofer ist höchst verärgert. Am Rande seines Tschechien-Besuchs nennt er Guttenbergs Parteienkritik „völlig daneben“. Es sei kein guter Stil, wenn alles und jeder herabgesetzt werde, um selbst erhöht zu werden.
Dabei sind Guttenbergs Parteifreunde im Nordosten Bayerns eigentlich mehr als bereit, die Wiederkehr des Barons zu ermöglichen. „In Oberfranken gibt es eine tiefe Sehnsucht“, erklärte der Kulmbacher Landtagsabgeordnete Martin Schöffel am Donnerstag – vor Bekanntwerden des Interviews. Der künftige Lichtenfelser Landrat Christian Meißner – einst Büronachbar Guttenbergs – sagte: „Wenn er wiederkommen mag, darf er. Und ich bin überzeugt, er würde auch gewählt.“ Bisher habe in der örtlichen CSU auch kein anderer Interesse an dem verwaisten Bundestagssitz bekundet.
Sollte Guttenberg von seinen oberfränkischen Parteifreunden tatsächlich wieder für den Bundestag nominiert werden, könnte Seehofer dagegen gar nichts machen, wie CSU-Politiker sagen. Die Gliederungen der CSU sind in der Kandidatenaufstellung autonom. Doch was aus einem Bundestagsrückkehrer Guttenberg werden könnte, steht auf einem ganz anderen Blatt. Ein sofortiger Spitzenposten jedenfalls wäre nicht in Sicht – eher die Hinterbank.
Manche CSU-Schwergewichte sind beim Thema Guttenberg ohnehin ziemlich wortkarg. „Ich sehe überhaupt keinen großen Anlass, darüber zu diskutieren“, sagt etwa Bayerns Innenminister Joachim Herrmann. An der CSU-Basis in Mittelfranken sei Guttenberg in den vergangenen Wochen gar kein Thema gewesen – „weder negativ noch positiv“. Ähnlich äußert sich Umweltminister Marcel Huber: „Wir haben so viele andere Themen, dass über Guttenberg kaum diskutiert wird.“
Mehrere CSU-ler geben in unterschiedlichen Formulierungen zu bedenken, dass die „Abklingphase“ aus ihrer Sicht noch viel zu kurz sei. „Er bringt sich selber ins Gespräch, aber das ist viel zu früh“, meint ein bayerisches Kabinettsmitglied.
So scharfe Kritik an Guttenberg wie in Tschechien hat Seehofer öffentlich noch nie geäußert. Bislang sandte der Parteichef in- und außerhalb der Partei unterschiedliche Botschaften aus. Öffentlich betonte der CSU-Chef in den vergangenen Monaten mehrfach, Guttenberg gehöre zur Familie. Intern dagegen sagt Seehofer auch andere Dinge. So machte der Vorsitzende nach Angaben von Parteifreunden kein Geheimnis aus seiner Kritik an der Bundeswehr-Reform.
In einer Sitzung der CSU-Landtagsfraktion betonte Seehofer am Mittwoch nach Teilnehmerangaben, dass die Partei derzeit gut aufgestellt und nicht auf Guttenberg angewiesen sei. Manche CSU-Politiker glauben, dass Guttenberg in diesem Jahr ohnehin in Schwierigkeiten gekommen wäre – wenn er die ungeliebte Bundeswehr-Reform hätte selbst vertreten müssen.
Seehofer ist zudem umringt von einem Kreis potenzieller Kronprinzen und -prinzessinnen, die sämtlich von Guttenberg überstrahlt wurden. Ein Comeback-Versuch würde sie demzufolge nicht übermäßig begeistern.
Chronologie der Plagiatsaffäre von Guttenberg
15. Februar 2011: Die "Süddeutsche Zeitung“ berichtet vorab über mögliche Plagiate in der Doktorarbeit von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Die Arbeit "Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU“ wurde 2006 an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth eingereicht. Guttenberg hatte dafür die Bestnote summa cum laude erhalten.
16. Februar: In der "Süddeutschen Zeitung“ stehen erste Plagiatsbeispiele, die der Bremer Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano festgestellt hat. Guttenberg weist die Vorwürfe noch als „abstrus“ zurück.
Kurz darauf berichtet die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ in ihrer Online-Ausgabe, dass die Einleitung der Doktorarbeit aus einem Artikel in dem Blatt abgeschrieben sein soll. Der einleitende Absatz der Arbeit decke sich fast wortwörtlich mit einem 1997 erschienenen Text der Politikwissenschaftlerin Barbara Zehnpfennig.
17. Februar: Während Guttenberg die deutschen Truppen in Nordafghanistan besucht, werden in Deutschland fast stündlich neue Plagiatsvorwürfe laut. Erstmals werden Rufe nach einem Rücktritt laut. Im Internet wird eine Webseite für die Schummel-Recherche eröffnet. Unter "Guttenplag-Wiki“ sollen die Vorwürfe gegen den CSU-Politiker gesammelt und bewertet werden. Die Uni Bayreuth gibt Guttenberg 14 Tage Zeit für eine schriftliche Stellungnahme.
18. Februar: Erstmals gehen Strafanzeigen gegen Guttenberg wegen der Plagiatsvorwürfe ein. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagt ihrem Minister Unterstützung für den Fall zu, dass er sich zu den Vorwürfen erkläre. In einem eilig einberufenen Pressestatement entschuldigt sich Guttenberg am Mittag für "Fehler“ und erklärt, er werde seinen Doktortitel bis zur Aufklärung durch die Uni Bayreuth nicht führen. Zugleich versichert er erneut: "Meine von mir verfasste Dissertation ist kein Plagiat.“
21. Februar: Die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen wollen die Plagiatsvorwürfe zum Thema im Bundestag machen. „Guttenplag-Wiki“ legt einen Zwischenbericht vor: Danach stehen 271 Seiten der Dissertation oder knapp 70 Prozent unter Plagiatsverdacht.
22. Februar: Der Wissenschaftsverlag Duncker und Humblot will Guttenbergs Doktorarbeit künftig weder ausliefern noch neu auflegen.
23. Februar: Die Universität Bayreuth entzieht Guttenberg den Doktortitel.
28. Februar: Wissenschaftler übergeben einen von 23.000 Doktoranden unterzeichneten offenen Brief an Merkel, in dem sie der CDU-Politikerin in der Plagiatsaffäre eine "Verhöhnung“ aller wissenschaftlichen Hilfskräfte vorwerfen. Ihre Haltung in der Debatte lege nahe, "dass es sich beim Erschleichen eines Doktortitels um ein Kavaliersdelikt handele“.
Auch Guttenbergs Doktorvater Häberle geht nun auf Distanz zu ihm. Mit sehr großem Bedauern habe er zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Umstände geeignet seien, den Ruf der Universität Bayreuth in Misskredit zu bringen.
1. März: Guttenberg gibt seine politischen Ämter auf, wie er in einem kurzfristig anberaumten Statement erklärt. "Das ist der schmerzlichste Schritt meines Lebens“, sagt er. Hintergrund ist die Kritik aus Wissenschaft und Politik in der Plagiatsaffäre.
3. März: Guttenberg legt auch sein Bundestagsmandat nieder.
7. März: Die Staatsanwaltschaft Hof nimmt Ermittlungen gegen Guttenberg auf.
8. April: Die "Süddeutsche Zeitung“ berichtet, dass die Universität offenbar davon ausgeht, dass Guttenberg absichtlich getäuscht hat. Der "Nordbayerische Kurier“ schreibt, dass Guttenberg die Veröffentlichung des Universitäts-Berichts offenbar verhindern will.
15. April: Guttenberg hat kein politisches Mandat mehr. Der Kreistag des oberfränkischen Landkreises Kulmbach stimmt einstimmig Guttenbergs Antrag auf Niederlegung seines Amtes zu.
6. Mai: Jetzt ist es amtlich: Die Universität Bayreuth geht in ihrem Abschlussbericht davon aus, dass Guttenberg absichtlich getäuscht habe. "Nach eingehender Würdigung der gegen seine Dissertationsschrift erhobenen Vorwürfe stellt die Kommission fest, dass Herr Freiherr zu Guttenberg die Standards guter wissenschaftlicher Praxis evident grob verletzt und hierbei vorsätzlich getäuscht hat“.
11. Mai: Die Universität stellt den über 80 Seiten langen Abschlussbericht inklusive einer Übersicht einiger der Zitierverstöße Guttenbergs in Bayreuth vor. "Evidente Plagiate“ hätten sich über die ganze Arbeit verteilt gefunden, erklärt der Vorsitzende der Kommission "Selbstkontrolle in der Wissenschaft“, Stephan Rixen.
23. November: Die Staatsanwaltschaft Hof gibt bekannt, dass die Ermittlungen gegen Guttenberg gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 20.000 Euro eingestellt wurden.
Mit Material von dpa, rtr und dapd