Ex-Verteidigungsminister zahlt an Kinderkrebshilfe, im Gegenzug stellt Staatsanwaltschaft Verfahren wegen Doktorarbeit ein.
Hof. Der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) muss wegen der Plagiatsaffäre nicht vor Gericht – und schließt prompt ein Comeback vor der Bundestagswahl
2013 nicht aus. Er halte sich alles offen, sagte er in einem Interview der Wochenzeitung „Die Zeit“. „Aber es gibt bislang noch keine konkrete Intention.“ Die Hofer Staatsanwaltschaft stellte am Mittwoch das Ermittlungsverfahren gegen den 39-jährigen Politiker gegen Zahlung von 20 000 Euro an die Deutsche Kinderkrebshilfe ein.
Die Behörde erkannte in der Doktorarbeit 23 Passagen mit strafrechtlich relevanten Urheberrechtsverstößen. Der wirtschaftliche Schaden der Urheber sei aber sehr gering. Zu einer gerichtlichen Hauptverhandlung kommt es nun nicht. „Damit ist das Verfahren mit einem guten Ergebnis rechtskräftig erledigt“, teilten Guttenbergs Anwälte mit.
Der CSU-Politiker selbst wies abermals Vorwürfe zurück, beim Schreiben der Doktorarbeit vorsätzlich getäuscht zu haben: „Wenn ich die Absicht gehabt hätte zu täuschen, dann hätte ich mich niemals so plump und dumm angestellt, wie es an einigen Stellen dieser Arbeit der Fall ist.“ Die zahlreichen ungekennzeichneten Zitate in seiner Arbeit erklärte er mit Überforderung angesichts der politischen und wissenschaftlichen Herausforderungen. Spekulationen über einen Ghostwriter wies er zurück: „Ich habe den Blödsinn wirklich selber verfasst, und ich stehe auch dazu.“
Guttenberg war vor neun Monaten wegen der Plagiatsaffäre zurückgetreten. Es hatte sich herausgestellt, dass er zahlreiche Passagen seiner Doktorarbeit von anderen Autoren übernommen hatte, ohne dies kenntlich zu machen. Die Universität Bayreuth bescheinigte ihm Vorsatz und erkannte ihm den Doktortitel ab. Inzwischen lebt Guttenberg mit seiner Familie in den USA.
In dem Interview, das am Dienstag in voller Länge auf 208 Seiten als Buch erscheint, meldete sich Guttenberg zum ersten Mal seit seinem Rücktritt wieder zur Plagiatsaffäre und zu seinen Zukunftsplänen zu Wort. „Ich werde mit Sicherheit in mein Heimatland zurückkehren und ein politischer Kopf bleiben“, sagte er der „Zeit“.
CSU-Chef Horst Seehofer hält eine rasche Rückkehr Guttenbergs in die deutsche Politik allerdings für nicht nötig. In einer Sitzung der CSU-Landtagsfraktion betonte der bayerische Ministerpräsident nach Teilnehmerangaben, dass die Partei derzeit gut aufgestellt und nicht auf Guttenberg angewiesen sei. Auch ohne Guttenberg könne die CSU erfolgreich Politik machen – das sei Seehofers Botschaft gewesen, hieß es aus der Fraktion. Zugleich erklärte Seehofer: „Er gehört zu uns.“
Wegen des Verdachts auf Verstöße gegen das Urheberrecht waren 199 Strafanzeigen in Hof eingegangen. Allerdings stammte nach Angaben der Staatsanwaltschaft lediglich eine von einer betroffenen Rechte-Inhaberin. Monatelang durchforsteten Polizisten und Staatsanwälte Guttenbergs rechtswissenschaftliche Abhandlung unter dem Titel „Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU“.
+++ Guttenberg soll an neuer Doktorarbeit schreiben +++
Die Staatsanwaltschaft überprüfte auch, "ob eine Untreue oder ein Betrug zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland durch Inanspruchnahme der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages“ vorlag. Ein strafbares Verhalten habe man hier nicht feststellen können, hieß es weiter. Immer wieder waren Vorwürfe laut geworden, Guttenberg habe beim Verfassen seiner Doktorarbeit die Hilfe der Bundestags-Wissenschaftler in Anspruch genommen.
Laut Strafprozessordnung kann der Staatsanwalt auf eine Anklage verzichten und zugleich dem Beschuldigten Auflagen erteilen. Voraussetzung ist, dass Gericht und der Betroffene zustimmen. Der Vorteil für Guttenberg ist, dass er als nicht vorbestraft gilt und auch keinen Eintrag ins polizeiliche Führungszeugnis bekommt. Die Schuldfrage bleibt nach Einstellung des Verfahrens - juristisch gesehen - offen.
+++ Guttenberg meldet sich in 5.500 Kilometern Entfernung zurück +++
Nach seinem Rücktritt als Verteidigungsminister war Guttenberg im Sommer mit seiner Familie in die USA ausgewandert. Dort nahm er ehrenamtlich einen Job bei der Denkfabrik für Strategische und Internationale Studien CSIS an.
Chronologie der Plagiatsaffäre von Guttenberg
15. Februar 2011: Die "Süddeutsche Zeitung“ berichtet vorab über mögliche Plagiate in der Doktorarbeit von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Die Arbeit "Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU“ wurde 2006 an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth eingereicht. Guttenberg hatte dafür die Bestnote summa cum laude erhalten.
16. Februar: In der "Süddeutschen Zeitung“ stehen erste Plagiatsbeispiele, die der Bremer Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano festgestellt hat. Guttenberg weist die Vorwürfe noch als „abstrus“ zurück.
Kurz darauf berichtet die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ in ihrer Online-Ausgabe, dass die Einleitung der Doktorarbeit aus einem Artikel in dem Blatt abgeschrieben sein soll. Der einleitende Absatz der Arbeit decke sich fast wortwörtlich mit einem 1997 erschienenen Text der Politikwissenschaftlerin Barbara Zehnpfennig.
17. Februar: Während Guttenberg die deutschen Truppen in Nordafghanistan besucht, werden in Deutschland fast stündlich neue Plagiatsvorwürfe laut. Erstmals werden Rufe nach einem Rücktritt laut. Im Internet wird eine Webseite für die Schummel-Recherche eröffnet. Unter "Guttenplag-Wiki“ sollen die Vorwürfe gegen den CSU-Politiker gesammelt und bewertet werden. Die Uni Bayreuth gibt Guttenberg 14 Tage Zeit für eine schriftliche Stellungnahme.
18. Februar: Erstmals gehen Strafanzeigen gegen Guttenberg wegen der Plagiatsvorwürfe ein. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagt ihrem Minister Unterstützung für den Fall zu, dass er sich zu den Vorwürfen erkläre. In einem eilig einberufenen Pressestatement entschuldigt sich Guttenberg am Mittag für "Fehler“ und erklärt, er werde seinen Doktortitel bis zur Aufklärung durch die Uni Bayreuth nicht führen. Zugleich versichert er erneut: "Meine von mir verfasste Dissertation ist kein Plagiat.“
21. Februar: Die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen wollen die Plagiatsvorwürfe zum Thema im Bundestag machen. „Guttenplag-Wiki“ legt einen Zwischenbericht vor: Danach stehen 271 Seiten der Dissertation oder knapp 70 Prozent unter Plagiatsverdacht.
22. Februar: Der Wissenschaftsverlag Duncker und Humblot will Guttenbergs Doktorarbeit künftig weder ausliefern noch neu auflegen.
23. Februar: Die Universität Bayreuth entzieht Guttenberg den Doktortitel.
28. Februar: Wissenschaftler übergeben einen von 23.000 Doktoranden unterzeichneten offenen Brief an Merkel, in dem sie der CDU-Politikerin in der Plagiatsaffäre eine "Verhöhnung“ aller wissenschaftlichen Hilfskräfte vorwerfen. Ihre Haltung in der Debatte lege nahe, "dass es sich beim Erschleichen eines Doktortitels um ein Kavaliersdelikt handele“.
Auch Guttenbergs Doktorvater Häberle geht nun auf Distanz zu ihm. Mit sehr großem Bedauern habe er zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Umstände geeignet seien, den Ruf der Universität Bayreuth in Misskredit zu bringen.
1. März: Guttenberg gibt seine politischen Ämter auf, wie er in einem kurzfristig anberaumten Statement erklärt. "Das ist der schmerzlichste Schritt meines Lebens“, sagt er. Hintergrund ist die Kritik aus Wissenschaft und Politik in der Plagiatsaffäre.
3. März: Guttenberg legt auch sein Bundestagsmandat nieder.
7. März: Die Staatsanwaltschaft Hof nimmt Ermittlungen gegen Guttenberg auf.
8. April: Die "Süddeutsche Zeitung“ berichtet, dass die Universität offenbar davon ausgeht, dass Guttenberg absichtlich getäuscht hat. Der "Nordbayerische Kurier“ schreibt, dass Guttenberg die Veröffentlichung des Universitäts-Berichts offenbar verhindern will.
15. April: Guttenberg hat kein politisches Mandat mehr. Der Kreistag des oberfränkischen Landkreises Kulmbach stimmt einstimmig Guttenbergs Antrag auf Niederlegung seines Amtes zu.
6. Mai: Jetzt ist es amtlich: Die Universität Bayreuth geht in ihrem Abschlussbericht davon aus, dass Guttenberg absichtlich getäuscht habe. "Nach eingehender Würdigung der gegen seine Dissertationsschrift erhobenen Vorwürfe stellt die Kommission fest, dass Herr Freiherr zu Guttenberg die Standards guter wissenschaftlicher Praxis evident grob verletzt und hierbei vorsätzlich getäuscht hat“.
11. Mai: Die Universität stellt den über 80 Seiten langen Abschlussbericht inklusive einer Übersicht einiger der Zitierverstöße Guttenbergs in Bayreuth vor. "Evidente Plagiate“ hätten sich über die ganze Arbeit verteilt gefunden, erklärt der Vorsitzende der Kommission "Selbstkontrolle in der Wissenschaft“, Stephan Rixen.
23. November: Die Staatsanwaltschaft Hof gibt bekannt, dass die Ermittlungen gegen Guttenberg gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 20.000 Euro eingestellt wurden.
Mit Material von dpa und dapd