Linken-Chef fordert überparteiliche Resolution für NPD-Verbotsverfahren. Alle zwei Tage griffen Rechte Büros seiner Partei an, sagt Ernst.
Hamburg/Berlin/Köln. Während Taten und Struktur der rechtsextremistischen Terrororganisation "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) nach und nach aufgeschlüsselt werden, entzündet sich an der Zwickauer Neonazi-Zelle eine Debatte über ein neues Verbotsverfahren gegen die rechtspopulistische Partei NPD. Und auch der Verfassungsschutz rückt angesichts des von vielen als unzulänglich erachteten Ermittlungsverfahrens in den politischen Fokus.
Der Parteichef der Linken, Klaus Ernst, hat sich vor dem Hintergrund der rechtsextrem motivierten Mordserie für eine parteiübergreifende Initiative für ein neues NPD-Verbotsverfahren ausgesprochen. "Ich bin dafür, dass wir den Versuch machen, im Bundestag eine überparteiliche Resolution für ein neues NPD-Verbotsverfahren auf die Beine zu stellen", sagte Ernst dem Hamburger Abendblatt (Dienstag-Ausgabe). Je breiter die Zustimmung dafür werde, desto schwerer wäre die Initiative zu ignorieren. "In allen Parteien wächst der Konsens, dass wir die NPD als legalen Arm der braunen Zellen verbieten müssen", betonte der Parteichef.
Ernst erklärte zudem, seit der Bundestagswahl 2009 habe es rund 150 gewalttätige Angriffe auf Büros seiner Partei gegeben. "Mittlerweile wird im Schnitt alle zwei Tage eins unserer Parteibüros von Rechten angegriffen, Tendenz weiter steigend." Es müsse Schluss sein mit der Verharmlosung der Gefahr von rechts.
+++ Mordserie von Neonazis wird zur Staatsaffäre +++
Die zuständigen Ermittler griff Ernst scharf an. "Alles sieht danach aus, als ob der Verfassungsschutz nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems ist. Es ist ja absurd, dass man die NPD wegen der V-Leute in ihren Strukturen nicht verbieten kann, während der Verfassungsschutz offenbar nicht in der Lage ist, Terrorgruppen zu enttarnen, wenn sie vor den Augen der eigenen V-Leute operieren", sagte Ernst dem Abendblatt.
Wegen der rechtsextremen Mordserie hatte sich bereits der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) für ein neues Verfahren zum NPD-Verbot ausgesprochen. Herrmann sagte am Sonntagabend in der ARD-Sendung "Günther Jauch“, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe müsse die rechtlichen Hürden dafür überdenken.
Der Bundesvorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, forderte ebenfalls, "ernsthaft über das NPD-Verbot nachzudenken“. Er warnte aber vor zu hohen Erwartungen. Ein Verbot könne vom eigentlichen Thema ablenken. "Wir müssen darüber reden, dass NPD und Rechtsradikale in manchen Teilen Deutschlands, vor allem im Osten unserer Republik, hegemonial geworden sind“, also eine Vormachtstellung anstrebten.
Haftbefehl gegen Beate Z. erlassen
Am Sonntag hatte der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs (BGH) Haftbefehl gegen die 36-jährige Beate Z. wegen des dringenden Verdachts der Mitgliedschaft in der NS erlassen. Damit gab der BGH-Richter einem Antrag der Bundesanwaltschaft statt, wie die Strafverfolgungsbehörde am Sonntagabend in Karlsruhe mitteilte.
Die als "Brandstifterin von Zwickau“ bekannte Beate Z. soll 1998 gemeinsam mit den am 4. November 2011 nahe Eisenach tot aufgefundenen Uwe B. und Uwe M. eine rechtsextremistische Gruppierung gegründet haben, die sich zuletzt als NSU bezeichnet habe. Das Haus in Zwickau, in dem Uwe B. und Uwe M. mit Beate Z. lebten, wurde am 4. November bei einer Detonation zerstört. Die Frau soll die Wohnung in Brand gesetzt haben, "um Beweismittel zu vernichten“.
Nach den bisherigen Erkenntnissen sei die NSU für die sogenannten Döner-Morde an acht türkischstämmigen Männern und einem Griechen in den Jahren 2000 bis 2006 und dem Mord an der Heilbronner Polizistin Michèle K. im April 2007 verantwortlich. Die Döner-Mordserie an insgesamt neun ausländischen Ladenbesitzern geschah in Nürnberg, Hamburg, München, Rostock, Dortmund und Kassel.
Während Uwe M. und Uwe B. tot in einem ausgebrannten Wohnmobil bei Eisenach aufgefunden wurde, stellte sich Komplizin Beate Z. der Polizei. Möglicherweise wird die 36-Jährige als Kronzeugin gegen ihre Mittäter aussagen. Zu den mutmaßlichen Komplizen des Trios gehört auch der 37-jährige Holger G. , den die Polizei am Wochenende in der Nähe von Hannover festnahm. G. soll am heutigen Montag dem Haftrichter in Karlsruhe vorgeführt werden.
Bosbach skeptisch zu NPD-Verbostverfahren
Während sich auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) für ein Verbot der NPD ausspricht, das den Sicherheitsbehörden sehr helfen würde, äußerte sich der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU) skeptisch. "Die dramatischen Erkenntnisse der letzten Tage ändern nichts daran, dass sich der Staat seit dem plötzlichen Aus des NPD-Verbotsverfahrens 2003 dank Karlsruhe in einem echten Dilemma befindet“, sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger“ (Montagsausgabe).
Das Gericht verlange, dass vor einem neuen Antrag alle V-Leute abgezogen werden, so Bosbach. Doch seien die Behörden zur Gefahrenabwehr dringend auf Infos aus dem Innenleben der Partei angewiesen. Ein erneutes Verfahren würde Jahre dauern: "Und deshalb wäre der Erkenntnisverlust gerade wegen der Gefährlichkeit der NPD höchst riskant.“
Der GdP-Vorsitzender Bernhard Witthaut sagte der "Passauer Neuen Presse“ (Montagsausgabe), die Frage des NPD-Verbots stelle sich jetzt um so dringender. Die GdP fordere dies seit längerem. Die NPD könnte dann keine regulären Parteitage mehr abhalten. Sie hätte "von einem Tag auf den anderen ihre finanzielle Basis verloren“, sagte Witthaut: "Eine braune Terrorzelle wird man mit einem neuen Verfahren sicherlich nicht verhindern können. Ein NPD-Verbot wäre aber ein schwerer Schlag für die gesamte rechtsextreme Szene in Deutschland.“
Zuvor hatte bereits die frühere Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, ein NPD-Verbot gefordert. Alle juristischen Möglichkeiten müssten ausgelotet werden, "um die Verherrlichung des Nationalsozialismus auf unseren Straßen zu verhindern“, sagte Knobloch bei einer Gedenkfeier zum Volkstrauertag am Sonntag in München.
Bundesjustizministerin will Verfassungsschutz umstrukturieren
Derweil fordert Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wegen der Terror-Serie der Zwickauer Neonazi-Zelle eine Umstrukturierung des Verfassungsschutzes. Die Aufklärung habe "überhaupt nicht funktioniert“ und Neonazis hätten mit für Deutschland "fürchterlichen Folgen“ agieren können, sagte die FDP-Politikerin am Montag im Deutschlandfunk.
Es müsse darüber geredet werden, ob der Verfassungsschutz mit 16 Landes- und einer Bundesbehörde "optimal organisiert“ ist, forderte sie. Eventuell könnten mehrere Landesbehörden zusammengelegt werden. Eines neues Verfahren wegen eines NPD-Verbot schloss sie aus, solange die Rolle der V-Männer nicht geklärt ist.
Muslime: Rechtsterrorismus "chronisch unterschätzt“
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland beklagt eine "lange Kette“ von Gewalt gegen Muslime. Seit mindestens 20 Jahren werde der Rechtsterrorismus in Deutschland "chronisch unterschätzt“, sagte der Zentralrats-Vorsitzende Aiman Mazyek der "Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Montagsausgabe).
Allein in diesem Jahr habe es bereits 20 Anschläge auf Moscheen gegeben, außerdem auf muslimische Gemeindehäuser und Wohnhäuser von Migranten, sagte Mazyek. Die Vorfälle reichten von Farbschmierereien über Sachbeschädigungen bis zu Körperverletzungen und Morden. "Die Serie der Gewalt gegen Migranten nahm ihren Anfang mit den schlimmen Brandanschlägen in Mölln und Solingen Anfang der 90er und ist seither nie wirklich zum Stillstand gekommen“, so der Zentralratsvorsitzende.
"Offensichtlich konnte der Rechtsterrorismus in Deutschland unbehelligt grassieren, weil die Behörden zu sehr in Richtung religiös motivierter Täter geblickt haben“, kritisierte er. Sicherheits-, Antiterror- und Überwachungsgesetze seien in den vergangenen Jahren permanent verschärft worden, ohne dass die Zwickauer Täter von dem Netz erfasst worden wären. "Da fragen wir uns, warum diese Maßnahmen beim Rechtsterrorismus versagt haben.“ Angeblich seien die Antiterror-Gesetze doch nie gezielt gegen Muslime, sondern gegen Bandenkriminalität und Terror jeglicher Art erlassen worden.
Wie am Wochenende bekannt wurde, soll Erkenntnissen der Polizei eine Zwickauer Neonazi-Gruppe aus zwei Männern und einer Frau für eine Mordserie an neun ausländischen Ladenbesitzern in mehreren deutschen Städten zwischen 2000 und 2006 verantwortlich sein. Das Trio wird auch verdächtigt, den Mord an einer Polizistin in Heilbronn 2007 begangen zu haben. Die Bundesanwaltschaft ermittelt.
Mit M a terial von dpa, dapd und epd