Innenpolitiker fordern Aufklärung: Wie konnten die Mitglieder der Neonazi-Bande jahrelang unerkannt bleiben? NPD-Verbot gefordert.
Hamburg/Berlin. Fassungslosigkeit - das ist die Gemütslage der führenden deutschen Innenpolitikern. "Es ist ein unfassbares Desaster für die deutschen Sicherheitsbehörden, dass drei rechtsterroristische Gewalttäter 13 Jahre lang in Deutschland unerkannt ihr Unwesen treiben konnten", sagte Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, dem Hamburger Abendblatt. "Das macht mich absolut sprachlos", ergänzte der Sozialdemokrat.
Diese Sprachlosigkeit begann, als Ermittler in den Trümmern eines explodierten Hauses im sächsischen Zwickau Beweise fanden, mit denen sie vermutlich mehrere Verbrechen aufklären können: eine Serie von Morden an Dönerbuden-Besitzern, tödliche Schüsse auf eine Heilbronner Polizistin und mehrere Bankraube. Alle Taten gehen nach bisherigen Erkenntnissen auf das Konto einer rechtsextremen Terrorzelle. Deren Mitglieder heißen Beate Z., Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt. Die beiden Männer haben sich vor einer Woche offenbar selbst getötet. Z. hat sich der Polizei gestellt und will nur aussagen, wenn sie als Kronzeugin Strafmilderung erhält.
Das Trio war bereits in den Neunzigerjahren dem Verfassungsschutz aufgefallen. 1998 waren die Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) untergetaucht. Die Bundesanwaltschaft stuft diese Vereinigung inzwischen als rechtsextrem und terroristisch ein.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sprach am Sonntag von "einer neuen Form des rechtsextremistischen Terrors". Noch Ende Juli, nach den verheerenden Anschlägen des Rechtsextremisten Anders Behring Breivik in Norwegen, hatte Friedrich erklärt, es gebe keine Hinweise auf rechtsterroristische Aktivitäten in Deutschland.
"Vertreter von Polizei und Verfassungsschutz haben uns Parlamentariern immer wieder gesagt, dass es gewaltbereite Extremisten gibt, dass aber keine Verdichtung hin zum Terrorismus drohe", sagte SPD-Experte Wiefelspütz. Er wolle niemanden vorverurteilen, "aber Verfassungsschutz und Polizei sind jetzt in einer Bringschuld zu klären, welche Rolle sie gespielt haben".
Dieser Auffassung ist auch Wolfgang Bosbach, innenpolitischer Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion. "Man sollte zwar keine voreiligen Schuldzuweisungen vornehmen, aber der gesamte Tatkomplex ist derart gravierend, dass er so bald wie möglich rückhaltlos aufgeklärt werden muss. Es darf erst gar nicht der Eindruck entstehen, als wenn irgendeine Behörde mauert." Es gelte jetzt zu klären, welche Behörde wann was gewusst habe, und wie man auf diese Informationen reagiert habe, sagte Bosbach dem Abendblatt. "Die Beantwortung dieser Frage ist von so großem öffentlichen Interesse, dass man sie nicht allein einem parlamentarischen Kontrollgremium überlassen sollte."
Hamburgs Innensenator Michael Neumann (SPD) sagte, auch Hamburg müsse seine Lehren ziehen. "Ich bin mir zwar sicher, dass es solche Zellen in Hamburg nicht gibt. Aber tatsächlich kann man sich nie sicher sein." Dass der Verfassungsschutz das Thema Rechtsextremismus in den vergangenen Jahren unterschätzt hat, glaubt Neumann jedoch nicht. Hamburgs Verfassungsschutzchef Manfred Murck sagte, er gehe nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen nicht davon aus, dass es in Hamburg Hintermänner der mutmaßlichen Serientäter aus Zwickau geben könnte. "Um dies aber weiter zu prüfen, sind aber auch wir auf weitere Erkenntnisse des BKA angewiesen", so Murck.
Schleswig-Holsteins SPD-Chef Ralf Stegner sprach sich für ein Verbot der NPD aus: "In Deutschland kommt die Gefahr offenbar wieder von rechts. Die Erkenntnisse der letzten Tage schockieren und stellen eine neue Dimension rechtsextremer Gewalt dar." Zuvor hatte der Zentralrat der Juden in Deutschland ein Verbot gefordert. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe warnte dagegen vor zu schnellen Forderungen nach einem NPD-Verbot. Ein Verbotsantrag dürfe erst dann gestellt werden, "wenn man sicher ist, dass man ausreichend belastbares Material hat", betonte Gröhe.