Der Außenminister hält sich zurück. Bei der Uno in New York führt er viele Gespräche hinter den Kulissen und meidet Akzente.
New York. Wenn ein Redner erst einmal auf dem Podium der Generalversammlung angekommen ist, dann sind die Vereinten Nationen großzügig. Zwar beginnt nach einer Viertelstunde ein rotes Lämpchen zu blinken. Aber selbst wenn der Vortragende seine Redezeit, was nicht selten vorkommt, um das Vierfache überschreitet, wird niemand ihn unterbrechen.
Wann man allerdings in der jährlichen Sitzungswoche vor die Delegationen der 193 Uno-Mitgliedstaaten treten darf, das ist streng geregelt, nach Macht und einem komplizierten Länderschlüssel: Erst dürfen die Staatsoberhäupter sprechen, es folgen die Regierungschefs. Danach kommen die Außenminister, die nebenbei stellvertretende Regierungschefs sind, schließlich die gemeinen Außenminister und sonstige Diplomaten. Da Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das Jahrestreffen der Weltorganisation wie üblich ignorierte - wegen des Papstbesuchs wäre eine Reise nach New York in diesem Jahr auch besonders umständlich gewesen - und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) seit einigen Monaten nicht mehr ihr Vizekanzler ist, musste Deutschland diesmal ziemlich lange warten: Vorige Woche Montag war Westerwelle in New York angekommen, erst gestern durfte er ans Pult.
Die Hauptdarsteller dieser Uno-Sitzungswoche, deren alles überlagerndes Thema der Nahost-Konflikt war, hatten da schon längst wieder die Koffer gepackt: allen voran Israels Premierminister Benjamin Netanjahu und der Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, die sich im Plenum ein historisches Rededuell zum Nahost-Konflikt geliefert hatten. Oder die Präsidenten Barack Obama, USA, und Nicolas Sarkozy, Frankreich, sowie der britische Premier David Cameron, die mit ihren Vorträgen das diplomatische Vorspiel für diesen Showdown geliefert hatten. Für Westerwelle blieb nur der Abspann.
Das war ein bisschen ungerecht, denn zuvor hatte der deutsche Außenminister sich gemeinsam mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton sehr um das Zustandekommen einer Erklärung des Nahost-Quartetts aus USA, Russland, der EU und der Uno verdient gemacht hatte, die die aufgeheizte Lage nach dem rhetorischen Clash zwischen Abbas und Netanjahu abkühlen sollte. In der Generalversammlung aber spielte sich Sarkozy als Konstrukteur der Erklärung auf. Und als Westerwelle nun zu Nahost sprechen durfte, da hatten die beiden Parteien schon sehr deutlich gemacht, was sie von der Quartett-Erklärung halten, die im Wesentlichen eine Aufforderung zu Friedensgesprächen mit klarem Zeitrahmen umfasst: herzlich wenig.
Westerwelle blieb in seiner Rede also nur der Appell an Israelis und Palästinenser, die Chance des Verhandlungsfahrplans zu nutzen. Deutschland habe sich "intensiv für diese Quartett-Erklärung eingesetzt", sagte der Minister, sie setze "Meilensteine", und deshalb seien beide Seiten aufgefordert, "umgehend in direkte Verhandlungen" mit dem Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung einzutreten. Ansonsten wiederholte Westerwelle lediglich die bekannte deutsche Position: Man unterstütze die Gründung eines palästinensischen Staates, andererseits sei die Sicherheit Israels für die Bundesrepublik "Staatsräson".
Zum Schluss erinnerte er an seinen ersten FDP-Vorgänger im Außenamt, Walter Scheel, in dessen Amtszeit die damals beiden deutschen Staaten Bundesrepublik und DDR 1973 Uno-Mitglied wurden. Und äußerte Bedauern, dass es bei der Reform der Vereinten Nationen bislang keine "entscheidenden Fortschritte" gab.
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Keine Worte fand der Außenminister zu dem heiklen Antrag der Palästinenser auf Vollmitgliedschaft in der Uno. Als sich der Weltsicherheitsrat am Abend erstmals mit dem Thema befasste, saß Westerwelle schon im Flugzeug auf dem Heimweg nach Berlin. Entscheidungen wurden in der Sitzung, an der für Deutschland Uno-Botschafter Peter Wittig teilnahm, ohnehin nicht erwartet. Und auch keine deutsche Positionierung: Westerwelle hinterließ die Vorgabe, vorzeitige Festlegungen schränkten nur den diplomatischen Spielraum ein.
Allerdings fuhr ihm bei dieser Strategie sein Staatsminister in die Parade: Werner Hoyer ließ aus Berlin verlauten, ein "aufgewerteter Beobachterstatus für die Palästinenser" in der Uno sei denkbar. Das Modell habe sich etwa zur Zeit der deutschen Teilung bewährt. Hoyer, von dem bekannt ist, dass er sich selbst für den besseren Außenminister hält, konterkarierte damit die Linie seines Chefs, der in den Tagen von New York die Vorzüge der stillen Diplomatie für sich entdeckt hatte: viele Gespräche hinter den Kulissen, aber keine öffentlichen Akzente, statt inhaltlicher Statements nur nichtssagende Floskeln. Im komplexen Nahost-Dossier ist das keine unkluge Vorgehensweise. Und sie hat nebenbei den Vorteil, dass man wenig Angriffsfläche bietet. Für Westerwelle, der von den westlichen Verbündeten seit seiner Libyen-Enthaltung im Sicherheitsrat skeptisch beäugt wird, ist das ein durchaus bedeutungsvolles Kriterium. Zumal nicht wenige Kollegen in New York durch die Kabelberichte ihrer Vertretungen in Berlin mitbekommen haben, dass Westerwelle zuletzt sogar von seinem eigenen Parteichef Philipp Rösler (FDP) zum "Minister auf Bewährung" degradiert wurde.
Und so lieferte er in seiner Rede vor der Generalversammlung selbst zu weniger heiklen Themen nichts Überraschendes. Er stellte das Programm der Bonner Afghanistan-Konferenz im Dezember vor, erneuerte seine Forderung nach einer Uno-Resolution gegen Syriens Diktator Assad, sagte den Ländern des Arabischen Frühlings Unterstützung beim Staatsaufbau zu und sprach sich für eine Reform der Vereinten Nationen aus. Akzente, die auf der Bühne der Uno wahrgenommen werden, klingen anders.
Ihm gehe es eben " in einer solchen Lage zuerst um Fortschritte in der Sache", erklärte Westerwelle der "Welt am Sonntag", und "nicht um Öffentlichkeitsarbeit". Das immerhin ist eine Neuigkeit.