Die israelische Regierung fordert die Welt auf, das iranische Atomprogramm zu stoppen. Es sei eine Bedrohung für den Weltfrieden.
Tel Aviv/Wien/Teheran/Berlin. Israel fordert die Welt auf, entschiedene Schritte gegen den Iran einzuleiten. Nach der Veröffentlichung des alarmierenden IAEA-Berichts zum iranischen Atomprogramm sieht Israel den Frieden im Nahen Osten und der Welt gefährdet. In einer am Mittwoch veröffentlichten ersten Reaktion der Regierung in Jerusalem auf den Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien hieß es, die IAEA habe die Annahme Israels und der internationalen Gemeinschaft bestätigt, dass der Iran Atomwaffen entwickele.
„Die Bedeutung des Berichts besteht darin, dass die internationale Gemeinschaft dem iranischen Streben nach Nuklearwaffen, die den Frieden in der Welt und im Nahen Osten gefährden, ein Ende setzen muss“, heißt es in der Erklärung. Israel hatte sich nach der Veröffentlichung des IAEA-Berichts zunächst in Schweigen gehüllt. Die israelische Zeitung „Haaretz“ schrieb unter Berufung auf Regierungskreise in Jerusalem, Israel wolle erst die internationalen Reaktionen auf die neuen Informationen abwarten. Man wolle nicht den Anschein erwecken, dass Israel die Führungsrolle bei den Bemühungen um stärkeren Druck auf Teheran übernehme. Israel betont immer wieder, das iranische Atomwaffenprogramm sei ein Problem für die ganze Welt.
Die Weltgemeinschaft ist angesichts des jüngsten Berichts der IAEA in Sorge. Deutschland und Frankreich sprachen sich als Reaktion auf den Bericht aus Wien für schärfere Sanktionen gegen Teheran aus, während China den Report weiter prüfte. Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad hingegen will am derzeitigen Kurs für das Atomprogramm seines Landes festhalten. Die Bundesregierung will mit einer deutlichen Verschärfung der Sanktionen den Druck auf den Iran wegen des Atomprogramms des Landes erhöhen. Nach den Worten von Regierungssprecher Steffen Seibert bleibt der Iran aufgefordert, seine Verpflichtungen gegenüber dem UN-Sicherheitsrat und der IAEA zu erfüllen und an den Verhandlungstisch zurückkehren. Der IAEA-Bericht verstärke "ganz erheblich“ die seit langem bestehende Besorgnis über Irans Atomprogramm und seinen möglichen wahren Charakter. Beim Treffen des IAEA-Gouverneursrat in der kommenden Woche werde Deutschland auf eine "deutliche Resolution“ dringen, sagte er.
Nach Ansicht von Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sollte eine Verschärfung der Iran-Sanktionen international möglichst breit angelegt sein. Gleichzeitig betonte er am Mittwoch in Berlin: "Eine Diskussion über militärische Optionen lehnen wir ab.“ Wenn das iranische Nuklearprogramm tatsächlich eine militärische Dimension habe, wäre dies ein "eklatanter Verstoß“ gegen den Atomwaffensperrvertrag, sagte Westerwelle. Deshalb könne die internationale Gemeinschaft nicht zur Tagesordnung übergehen, sondern müsse sich über neue Sanktionen verständigen. Die detaillierten Hinweis der IAEA auf eine "mögliche militärische Dimension des iranischen Atomprogramms sind alarmierend“, sagte Westerwelle. Falls sich Teheran weiter ernsthaften Verhandlungen verweigere, würden "neue, schärfere Sanktionen unausweichlich“.
Auch nach Ansicht der SPD gibt es keine vernünftige Alternative zur Diplomatie und zu wirksamen Sanktionen. Die Bundesregierung müsse sich dabei für ein geschlossenes Vorgehen in der EU einsetzen, sagte ihr außenpolitischer Sprecher Rolf Mützenich. Die IAEA hatte in ihrem Bericht erstmals erklärt, dass sie den Iran verdächtigt, geheime Experimente zum Bau von Atomwaffen durchzuführen. Nach jetzt veröffentlichten Erkenntnissen hat der Iran zumindest bis 2010 an einer Atombombe gebastelt. Während einige der vermuteten Atombemühungen Teherans friedlichen Zwecken dienen könnten, seien andere "atomwaffenspezifisch“, heißt es.
In dem Bericht heißt es, der Iran habe offenbar Zünder entwickelt und Versuche mit hochexplosiven Stoffen durchgeführt. Zudem gebe es Hinweise darauf, dass Teheran Computermodelle vom Kern eines nuklearen Sprengkopfs programmieren ließ. Weiter heißt es in dem Bericht, es habe vorläufige Test zur Bestückung einer Rakete vom Typ Schabab 3 mit einer nuklearen Sprengladung gegeben. Der Iran hat immer betont, dass sein Atomprogramm lediglich zivilen Zwecken diene.
Frankreich zu Sanktionen bereit, Ahmadinedschad stur
Frankreichs Außenminister Alain Juppé versicherte umgehend, dass sein Land zu Sanktionen "in nie gekanntem Ausmaß“ gegen den Iran bereit sei, sollte Teheran nicht neue Fragen zu seinem Atomprogramm beantworten. In einer Erklärung äußerte Juppé am Mittwoch, dass die internationale Gemeinschaft den diplomatischen Druck auf eine neue Ebene steigern sollte, falls der Iran nicht die Besorgnisse aus dem jüngsten IAEA-Bericht ausräume, er strebe Atomwaffen an. Präsident Nicolas Sarkozy hatte sich vorige Woche für Sanktionen ausgesprochen. Für Gespräche über einen Militärschlag gegen den Iran sei es aber noch zu früh.
China hat am Mittwoch noch nicht zum IAEA-Bericht Stellung genommen, sondern prüft ihn nach eigenen Angaben noch. Der Sprecher des Außenministeriums in Peking, Hong Lei, forderte den Iran auf, "ernsthaft und flexibel“ zu sein und mit der IAEA zusammenzuarbeiten. Die Behörde solle im Gegenzug objektiv sein. Gegenwärtig müssten alle Seiten mehr für einen Dialog und die Zusammenarbeit tun, erklärte Hong.
Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad schaltet dagegen trotz eindeutiger Erkenntnisse der IAEA zum umstrittenen Atomprogramm seines Landes auf stur. Der Iran werde sein Atomprogramm auch nach dem jüngsten kritischen IAEA-Bericht unbeirrt fortsetzen, sagte Ahmadinedschad bei einer Rede in Schahr-e-Kord. "Diese Nation wird keinen Jota von ihrem Weg abweichen“, sagte der Staatschef am Mittwoch vor Tausenden Menschen in der zentraliranischen Stadt. Ahmadinedschad wies den IAEA-Bericht scharf zurück und betonte, der Iran benötige keine Atomwaffen. Zudem rügte er die Behörde. "Warum ruiniert ihr wegen absurder Vorwürfe der USA den Ruf (der IAEA)?“, sagte er. Nichts könne den Fortschritt im Land aufhalten, bekräftigte der Präsident.
Ahmadinedschad sagte am Mittwoch, sein Land strebe nicht nach Atomwaffen. „Die iranische Nation ist weise. Sie wird nicht zwei Bomben bauen gegen die 20.000 Bomben, die ihr habt“, sagte er offenbar an die bisherigen Atommächte gerichtet. „Aber sie baut etwas anderes, auf das ihr reagieren könnt: Ethik, Anständigkeit, Monotheismus und Gerechtigkeit“, erklärte Ahmadinedschad in seiner Rede, die im staatlichen Fernsehen übertragen wurde.
Israel fühlt sich bestätigt
Bei aller Sorge über das iranische Atomwaffenprogramm herrscht in Israel eine gewisse Genugtuung. Erstmals hat eine unabhängige internationale Organisation laut und deutlich bestätigt, wovor Israel seit Jahren warnt: Teheran arbeitet heimlich an Atomwaffen. Mit ihrem dramatischen Bericht habe die IAEA "eine Bombe abgeworfen“, titelte die israelische Zeitung "Jediot Achronot“ am Mittwoch in fetten roten Lettern. Es bedeute "das Ende der Unklarheit“, schrieb ein Kommentator.
Aus israelischer Sicht ist der Inhalt des Berichts allerdings keine Überraschung. "Die meisten Informationen waren Israel und den westlichen Geheimdiensten schon seit Jahren bekannt“, sagte der israelische Iran-Experte Eitan Livne am Mittwoch. Der frühere IAEA-Chef Mohammed el Baradei habe sie jedoch stets unter dem Deckel gehalten oder weichgespült. "Dieser Bericht hätte schon vor Jahren veröffentlicht werden können, aber El Baradei hat es vorgezogen, die belastenden Beweismittel nicht preiszugeben“, sagte Livne. Auf diese Weise sei kostbare Zeit vergeudet worden.
Der neue Bericht verändert aus Sicht des Experten nun grundlegend die Spielregeln bei der Debatte über das iranische Atomprogramm. "Der Streit über die iranischen Absichten ist entschieden und damit vorbei“, sagte er. "Wer sich von diesem Bericht nicht überzeugen lässt, will offenbar einfach nicht überzeugt werden.“ Im Rennen gegen eine atomare Aufrüstung des Erzfeinds in Teheran steht der Zeiger für Israel auf fünf vor zwölf. Es sieht jetzt besonders den wichtigsten Bündnispartner, die USA, unter Zugzwang. Immer wieder betonen israelische Politiker, ihr Land könne beim Kampf gegen eine nukleare Aufrüstung des Mullah-Regimes nicht die Speerspitze bilden.
"Dies ist nicht nur ein Problem Israels“, sagte die israelische Oppositionsführerin Zipi Livni (Kadima) am Mittwoch. Die ganze Welt müsse vereint gegen Teheran vorgehen. "Nur wenn ganz deutlich wird, dass für die Weltöffentlichkeit alle Optionen auf dem Tisch liegen, wird der Iran noch einmal abwägen, ob er nicht besser zurückweicht“, sagte Livni. Bisher hätten sich viele Länder damit herausgeredet, dass es keine klaren Beweise für ein iranisches Atomwaffenprogramm gebe. Dies sei nur vorbei.
Israel bezweifelt jedoch den Willen der internationalen Gemeinschaft, ausreichend harte Sanktionen gegen Teheran zu verhängen - insbesondere angesichts des Widerstands von russischer und chinesischer Seite. "Russland und China sind die Schlüsselstaaten“, sagte Experte Livne. Auch sie müssten begreifen, dass das iranische Atomprogramm "eine Gefahr für den Weltfrieden“ darstelle. Niemand habe ein Interesse an einem Militärschlag gegen den Iran und auch für Israel sei es nur "die letzte Option“.
Besondere Kopfschmerzen bereitet israelischen Experten die Möglichkeit, das iranische Atomwaffenprogramm könnte noch viel weiter entwickelt sein, als es sich in dem Bericht darstellt. "Es ist zu befürchten, dass es noch viele Dinge gibt, von denen wir gar nichts wissen“, sagte Livne. Immerhin habe Teheran systematisch gelogen und bisher alles versucht, um die internationalen Inspektoren in die Irre zu führen. "Es kann sehr gut sein, dass es noch eine geheime Atomanlage gibt.“
IAEA-Chef: Arbeiten zur Entwicklung nuklearen Sprengkörpers
In einem 13 Seiten umfassenden Anhang zum Bericht werden detaillierte Angaben zu Untersuchungen von Geheimdiensten und der IAEA gemacht, denen zufolge sich Teheran mit jeglichen Aspekten der Forschung zum Bau einer Atomwaffe beschäftigt, darunter der Ausstattung einer Rakete mit einem Sprengkopf.
"Die Informationen weisen darauf hin, dass der Iran Arbeiten zur Entwicklung eines nuklearen Sprengkörpers durchgeführt hat", schreibt IAEA-Chef Yukiya Amano in dem 25-seitigen Bericht. Danach erhielt die Regierung in Teheran die Konstruktionspläne für Atomwaffen von einem Schmuggelnetzwerk um den pakistanischen Atomwissenschaftler Abdul Qadeer Khan. Er habe auch Libyens geheimes Atomprogramm beliefert.
Noch vor der Veröffentlichung des IAEA-Berichts zeigte sich Ahmadinedschad weiter unnachgiebig. Amano sei ein Handlanger der USA, erklärte Ahmadinedschad. Die USA hätten ihr Budget für Nuklearwaffen kürzlich um 81 Milliarden Dollar aufgestockt. Das sei 300-mal so viel wie der Etat des iranischen Atomprogramms. Ahmadinedschad bekräftigte, sein Land sei nicht mit dem Bau einer Atombombe beschäftigt.
Entsprechende Forschungen zum Aufbau einer Atombombe könnten auch weiterhin unternommen werden, heißt es dagegen im jüngsten IAEA-Bericht. Die Erkenntnisse, die auch die Islamische Republik selbst als politisch motiviert und unausgewogen zurückwies, dürften die Spannungen im Nahen Osten verschärfen. Medienberichten zufolge gibt es in Israel Pläne für einen Militäreinsatz gegen iranische Atomanlagen.
Quelle für die Einschätzungen der Internationalen Atomenergiebehörde sind nach Angaben der Wiener UN-Behörde "vertrauenswürdige Informationen“, etwa aus Mitgliedsstaaten. Die waffen-relevanten Arbeiten seien Teil eines "strukturierten Programms“ bis 2003 gewesen.
Den Erkenntnissen der IAEA zufolge hat der Iran bei seinen Arbeiten an Atomwaffen auch Komponenten getestet. Unter anderem seien Experimente mit starkem Sprengstoff ein wesentliches Indiz für diese Waffenentwicklungen. Besonders beunruhigt sei die IAEA über Studien zu atomaren Bauteilen aus den Jahren 2008 und 2009.
Nachfolgend eine Übersicht über Irans bekannteste Nuklearanlagen:
Natans: In der unterirdischen Fabrik südöstlich von Teheran wird schwach angereichertes Uran produziert. Es wird für die Stromgewinnung, aber in hoch angereicherter Form auch für Atomwaffen benötigt. Für den Bau einer Atombombe müsste Uran auf 80 Prozent und mehr angereichert werden. GHOM: 2009 gab Teheran die Existenz einer weiteren, lange geheim gehaltenen Anreicherungsanlage südlich von Teheran zu, die noch nicht in Betrieb ist. Die Fabrik in einem Tunnelsystem auf einem früheren Militärgelände nahe der Schiiten-Hochburg Ghom bietet Platz für 3000 Zentrifugen zur Urananreicherung.
Buschehr: Nach der islamischen Revolution von 1979 zog sich die deutsche Kraftwerk Union (KWU) aus dem Projekt zurück. Später stiegen die Russen in Buschehr ein. In den beiden Atomreaktoren im Südwesten des Landes wurden im Oktober 2010 die ersten aus Russland gelieferten Brennelemente geladen – 35 Jahre nach Baubeginn. Im September 2011 ging Irans erstes Atomkraftwerk offiziell in Betrieb.
Isfahan: Im Zentrum der iranischen Kernforschung gibt es eine Anlage zur Produktion von Kernbrennstäben. Auch das in Zentrifugen zur Urananreicherung benötigte Hexafluoridgas wird südlich von Teheran hergestellt. ARAK: Den USA ist seit 2002 die Existenz des unfertigen Schwerwasserreaktors im Westen des Landes bekannt. Hier fällt Plutonium an, das für die Bombenproduktion verwendet werden könnte.
Teheran: Der kleine Leichtwasserreaktor in der Hauptstadt wurde noch zu Zeiten des 1979 gestürzten Schahs mit US-Hilfe gebaut. Er soll Material für medizinische Zwecke produzieren. Dazu benötigt er angereichertes Uran.
Karadsch: Seit den 1990er Jahren arbeitet nahe der Hauptstadt ein Nuklearforschungszentrum, das vor allem medizinischen Zwecken dienen soll.
Mit Material von dpa, rtr und dapd