Nach Ansicht von Tübingens OB Palmer hat die Bahn beim Stresstest für Stuttgart 21 geschummelt. Annäherung nahezu unmöglich.
Stuttgart. Der Streit um das Milliardenprojekt scheint nicht mehr zu schlichten. Und Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer lässt nicht ab von seiner Kritik. Die Bahn hat nach Ansicht des Grünen-Verkehrsexperten beim Stresstest für Stuttgart 21 geschummelt. Das Gutachten habe die Note „wirtschaftlich optimal“ ergeben, woraus die Bahn geschlossen habe, dass Stuttgart 21 den Test bestanden habe. In der Schlichtung sei aber vereinbart worden, dass die Note „gut“ erreicht werden müsse, sagte der Tübinger Oberbürgermeister am Freitag im Stuttgarter Rathaus. „Wirtschaftlich optimal“ sei nur befriedigend, weil der geplante Tiefbahnhof keine Verspätungen abbauen könne. „Das lassen wir Ihnen einfach nicht durchgehen“, sagte Palmer an die Adresse von Bahn-Vorstand Volker Kefer. Stuttgart 21 habe den Stresstest nicht bestanden.
Zuvor hatte der Chef der Schweizer Verkehrsberatung sma, Werner Stohler, das Gutachten erläutert. „Das Gesamtresultat ist stabil“, bilanzierte er. Die Studie hatte ergeben, dass mit der geplanten Durchgangsstation die Verspätungen leicht abgebaut werden können. Es sei aber eine gute Idee, wegen einiger „Kleinigkeiten“ einen weiteren Simulationsdurchlauf zu machen.
Gegner und Befürworter des Projekts „Stuttgart 21“ stehen sich auch zum Ende des Schlichtungsverfahrens unversöhnlich gegenüber. Vertreter der Deutschen Bahn AG warben am Freitag im Stuttgarter Rathaus erneut für den geplanten Tiefbahnhof und sprachen von einem gut durchdachten Vorhaben. Die Projektgegner lehnten den Neubau hingegen weiter strikt ab und erhoben schwere Vorwürfe gegen die Bahn. Mit der Vorstellung des sogenannten Stresstests endete das Schlichtungsverfahren, das am 22. Oktober 2010 unter Leitung des früheren CDU-Generalsekretärs Heiner Geißler begonnen hatte.
Hannes Rockenbauch vom Aktionsbündnis der Projektgegner sagte, der geplante Durchgangsbahnhof werde von der Bevölkerung mehrheitlich nicht akzeptiert. Zudem werde mit dem alten Bahnhof ein Kulturdenkmal zerstört. Der Kopfbahnhof in Stuttgart gehöre im Übrigen zu den besten, leistungsfähigsten und pünktlichsten Bahnhöfen in ganz Deutschland. Der Deutschen Bahn warf der Stadtrat vor, seit Jahren mit nicht haltbaren Werbeversprechen zu operieren.
Auch andere Projektgegner kritisierten den in der Schlichtung vereinbarten Leistungstest. Dieser sollte zeigen, ob der neue Durchgangsbahnhof um wenigstens 30 Prozent leistungsfähiger sein wird als der jetzige Kopfbahnhof. Konkret soll der Tiefbahnhof in der Lage sein, in der Spitzenzeit 49 Züge pro Stunde abzufertigen. Dies Prämisse wurde von den Projektgegnern zwischenzeitlich aber infrage gestellt. Der Leistungstest wurde auf Vorschlag des Schlichters Heiner Geißler von der Bahn erarbeitet und vom Schweizer Ingenieursbüro SMA überprüft. Geißler bescheinigte der Bahn und SMA eine hohe Professionalität. Der Test verlief offiziell erfolgreich.
Die Sprecherin des Aktionsbündnisses, Brigitte Dahlbender, kritisierte jedoch, untersucht worden sei lediglich ein „Schönwetterbetrieb mit leichten Störungen“. Palmer warf SMA zusätzlich Befangenheit vor. Die Bahn habe jüngst einen Großauftrag für ein von „Stuttgart 21“ unabhängiges Fahrplanungssystem ausgeschrieben, auf den sich das Schweizer Ingenieursbüro SMA bewerben wolle. „Da gibt es einen Zielkonflikt“, sagte Palmer. Geißler wies die Vorwürfe zurück. Palmer stelle Behauptungen auf, ohne diese zu belegen.
Die Deutsche Bahn wies Vorhaltungen zurück, sich nicht an Absprachen gehalten zu haben. Bahnvorstand Volker Kefer sagte, das Vorgehen sei einvernehmlich in der Schlichtung vereinbart worden. Er kritisierte die Debatte über die Frage, ob 49 abzuwickelnde Züge „die richtige Zahl“ sei. Diese Diskussion sei erst aufgekommen, als das Ergebnis des Testats bereits vorgelegen habe. Kefer wies außerdem den Vorwurf zurück, nur durch eine Reduktion der Zug-Haltezeiten im Bahnhof auf eine minimale Dauer von zwei Minuten sei der Erfolg der Simulation möglich gewesen. Vielmehr hielten in der Simulation die Züge durchschnittlich etwa fünf Minuten.
Der frühere Vorsteher des Stuttgarter Hauptbahnhofs und Gegner von „Stuttgart 21“, Egon Hopfenzitz, wies darauf hin, dass die „praktische Höchstleistung des Kopfbahnhofs“ derzeit bei 54 Zügen liege und somit das Potenzial des Tiefbahnhofs übertreffe. Die Vertreter der Bahn wiesen auch dieses Argument zurück. Der Platz im Bahnhof dürfe nicht isoliert betrachtet werden. Berücksichtigt werden müssten auch die Gleisstrecken, auf denen die Züge den Bahnhof erreichen und verlassen. Im Projekt „Stuttgart 21“ sind Veränderungen an diesen sogenannten Zulaufstrecken vorgesehen.
Mit Material von dpa und dapd