Die Kanzlerin will bei der Wahl 2013 erneut antreten. Wer sie herausfordert , ist offen. Die SPD hadert mit ihrem Personal, die Grünen zaudern.
Berlin. Etwas nervös scheint Angela Merkel doch zu werden. Sie beginnt, sich ernsthaft dafür zu interessieren, auf welchen Gegner sie sich einstellen muss. Bis zur nächsten Bundestagswahl sind es zwar zwei Jahre, aber die Äußerungen der Kanzlerin am Wochenende ließen eine Spur Ungeduld erkennen. Sie hoffe doch, dass sie einen Gegenkandidaten von der SPD bekomme, sagte die CDU-Chefin. Es waren Worte, die die Sozialdemokraten ärgern sollten. Tatsächlich beschreiben sie einen Umstand in der SPD, den die Partei lange nicht kannte: Bei der K-Frage hat sie die Auswahl. Merkel könnte bei der nächsten Wahl sogar ein Novum erleben: Vielleicht stellen auch die Grünen ihren eigenen Kandidaten auf.
Dass sich die Kanzlerin per Selbstausrufung zur Spitzenkandidatin der Union gekürt hat, ging bei all den Sticheleien fast unter. Die CSU signalisierte Unterstützung, die CDU reagierte verhalten. Merkel sei nun einmal alternativlos. Euphorie hört sich anders an, zumal eine Neuauflage von Schwarz-Gelb unrealistisch erscheint. Aber kann die Opposition davon profitieren, wenn Merkel ein drittes Mal antritt? Das Abendblatt beleuchtet die Chancen der vier möglichen Gegenkandidaten.
Sigmar Gabriel müsste eigentlich der natürliche Kontrahent der Kanzlerin sein. Doch weil die SPD ihren Parteichef mitnichten als automatischen Herausforderer betrachtet, hat die K-Debatte erst an Fahrt gewonnen. Gabriels Umfragewerte liegen deutlich hinter den Werten von Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und denen des früheren Finanzministers Peer Steinbrück. Als Ex-Umweltminister und Ex-Ministerpräsident von Niedersachsen weist er zwar genügend Erfahrung in Staatsämtern auf, doch die Deutschen zweifeln an seiner Seriosität. "Gabriel ist ein glänzender Rhetoriker, der aber über seine Partei hinaus bisher nicht punkten kann. Er ist nicht besonders beliebt, und er wird auch nicht von politisch Andersdenkenden sonderlich geachtet", ist der Mainzer Parteienforscher Jürgen Falter überzeugt.
Der Parteichef sucht noch das richtige Thema für die SPD, und mitunter verwirrt er sie. Im Frühjahr verkündete er, jeder gewählte Ministerpräsident sei grundsätzlich als Kanzlerkandidat denkbar. Auf einmal gehörten auch Erwin Sellering aus Mecklenburg-Vorpommern und Hamburgs gerade erst gewählter Regierungschef Olaf Scholz zum Kandidatenkreis. Letzterer dementierte umgehend, ersterer reagierte erst gar nicht auf die Gedankenspiele. Geht es nach Gabriel, werden diese Gedankenspiele bis Ende 2012 andauern. Frühestens dann will er den Kandidaten festlegen lassen. Momentan spricht wenig dafür, dass er selbst antritt.
Frank-Walter Steinmeier weiß, wie es sich anfühlt, gegen Merkel zu verlieren. Und er weiß, dass seine Marktplatzauftritte im Wahlkampf 2009 nicht die rhetorische Stärke und Wucht seines Vorbilds Gerhard Schröder erreichten. Die Konsequenz: 23 Prozent, das schlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte. "Er hat der SPD nichts gebracht", sagt Falter über den Fraktionschef und erkennt einen weiteren Nachteil Steinmeiers: "Er ist der Kanzlerin in seiner Art des sachlichen, politischen Diskurses viel zu ähnlich." Genügend Gründe gäbe es also, den Oppositionsführer im Bundestag nicht ein zweites Mal ins Rennen zu schicken. Wären da nicht die herausragenden Beliebtheitswerte. In der Bevölkerung genießt er inzwischen ein höheres Vertrauen als Merkel. Einer gestern veröffentlichten Studie des Zukunftsforschers Horst Opaschowski von Ende Mai zufolge halten 41 Prozent der Befragten den Fraktionschef für ehrlich und vertrauenswürdig. Kein anderer Politiker erreicht diesen Wert - und Merkel sogar nur 35 Prozent. Die Deutschen haben Steinmeier seit 2009 offenbar besser kennengelernt. Auch die Nierenspende an seine Frau hat dazu beigetragen. Steinmeier hätte nichts gegen eine zweite Chance. Ob die SPD ihm diese gibt, wird von den Umfragen in einem Jahr abhängen.
Peer Steinbrück polarisiert. In Ostdeutschland ist er eher unbeliebt, im Westen besonders gefragt, die SPD-Pragmatiker feiern ihn als Heilsbringer, die SPD-Linken wollen ihn nie mehr oben sehen. Fest steht: Der Ex-Finanzminister ist der Hauptgrund für die aufgeregte Kandidatendebatte. Zu gern ätzt der nur noch einfache Abgeordnete gegen die eigene Partei und bringt sich so bei der K-Frage ins Spiel. Nur wie viel Ernst steckt dahinter? "Steinbrück kommt in den Medien besonders gut an, weil er auch gern mal einige Attacken ohne Rücksicht auf Verluste reitet", sagt Falter. Steinbrück sei der klare Gegenentwurf zu Merkel. "Das könnte ihm nützen. Er wäre wählbar bis in die politische Mitte hinein." Er sei deutlich mehr Helmut Schmidt als SPD-Linker. Falter ist überzeugt: "Er hat die größere Strahlkraft, er brilliert bei Talkshows, er kann die Kanzlerin glaubwürdiger angreifen." 2013 wäre der Kandidat Steinbrück 66 Jahre alt. Seine Gegner sagen: Das kann nicht der Aufbruch der SPD sein. Seine Anhänger halten dagegen: Er sehe doch viel jünger aus. Würde bereits in diesem Jahr gewählt, er wäre sicher der heißeste Kandidat.
Jürgen Trittin ist lieber Koch als Kellner. Längst sieht er sich auf Augehöhe mit den SPD-Granden. Ob Rot-Grün oder Grün-Rot - laut Trittin sind die Grünen sowieso der Hauptgegner der Kanzlerin. Das Wort des Fraktionschefs wird am Ende besonderes Gewicht haben bei der Entscheidung, ob die Grünen das Wagnis einer Kanzlerkandidatur eingehen. Die Mehrheit der Grünen-Anhänger fordert schon heute einen Kandidaten. Die meisten hätten zwar lieber den Politpensionär Joschka Fischer, aber danach folgt bereits Trittin auf der Wunschliste. Politikwissenschaftler Falter schätzt dessen Chancen, Kanzler zu werden, dennoch sehr gering ein. "Trittin dürfte es als möglicher Kanzlerkandidat schwer haben. Mit seinem ironischen, besserwisserischen, bisweilen regelrecht arrogant wirkenden Auftreten dürfte er außerhalb der Grünen-Wählerschaft wenig Anklang finden." Ein Joschka Fischer werde er mit Sicherheit nicht werden. Noch dämpft der mögliche Auserkorene die Erwartungen: Man müsse erst die Landtagswahlen 2012 abwarten. Sollten die Grünen danach weiter bei 20 Prozent stehen, müssten sie dem Wunsch der Anhänger wohl folgen. Wenn Trittin dann der Kandidat sein will, wird er es wohl auch werden.