Schlagabtausch bei der Schlichtung. Bahnvorstand Kefer wirbt für Stuttgart 21. Gegner Palmer listet Fehler auf. Geißler: „Wir wollen kein Predigten hören.“
Stuttgart. Es ist eine Lehrstunde in Sachen Demokratie und Großprojekte. Die öffentliche Schlichtung um Stuttgart 21 , live im Internet und bei Phoenix sowie im SWR-Fernsehen, zeigt, wie der Volkswille rechtmäßig zustandegekommene Entscheide doch noch beeinflussen kann. Doch kann die Schlichtung das milliardenteure Bahnprojekt noch aufhalten? Es war ein bemüht sachlicher, aber harter Schlagabtausch der Argumente, den sich Gegner und Befürworter lieferten.
Die Gegner von Stuttgart 21 haben die erste Runde der Schlichtung zu einer Abrechnung mit der Deutschen Bahn und der CDU/FDP-Landesregierung genutzt. „Wir sind der Meinung, dass Ihre Planung ein Rückschritt und kein Fortschritt ist“, sagte Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) am runden Tisch im Stuttgarter Rathaus. Es sei viel wichtiger, die Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und Basel auszubauen. „Stuttgart 21 ist schlicht die falsche Priorität.“ Palmer sagte auch: „Wenn ein Parlament einen ICE bestellt und dann zum doppelten Preis eine Dampflok geliefert bekommt, dann darf man noch mal fragen, ob man die Bestellung rückgängig machen darf.“
Palmer sagte zu Bahnvorstand Volker Kefer: „Wenn ihre Prämissen wahr wären, kann auch nur so ein Projekt herauskommen. Schon der bestehende Kopfbahnhof ist leistungsfähiger als Stuttgart 21. Nur die clevere Verknüpfung des Vergrabens des Bahnhofs mit der Neubaustrecke erlaubt ihnen, die Vorteile herauszustreichen.“ Palmer richtete auch an Geißler besonnene Worte: „Herr Geißler, rügen Sie mich, wenn ich zu polemisch werde.“
Heiner Geißler (80) machte einen guten Job. Der erfahrene Schlichter sagte zu Beginn: „Wir wollen hier keine Predigten hören und keine Glaubensbekenntnisse.“ Geißler sagte: „Wir können keinen neuen Bahnhof erfinden. Wir können Stuttgart nicht zu einer ebenen Stadt machen.“ Und er bekräftigte: „Wir machen einen Faktencheck, wir werden alle Fakten auf den Tisch legen.“ Und Geißler beklagte sich zwischenzeitlich über zu viel Fach-Chinesisch: „Da schauen ein paar Menschen zu, denken Sie dran!“
Bahn-Technikvorstand Volker Kefer vertrat die Position der Projektträger. Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) hielt sich bisher zurück. Kefer erläuterte, dass der Bau des Tiefbahnhofs und die Anbindung an die geplante ICE-Trasse nach Ulm die Reisezeit um 26 Minuten verkürze. Das sei extrem wichtig, um die Menschen zum Umstieg auf die Schiene zu bewegen: „Wir geizen um die Minuten.“
Kefer sagte, ein Durchgangsbahnhof habe wichtige Vorteile gegenüber einem Kopfbahnhof, wie ihn Stuttgart derzeit hat. Die Kapazität könne um mehr als 200 Züge pro Tag erhöht werden – bei „gleichzeitiger Halbierung“ der Gleiszahl. Man setze durch den „Lückenschluss im Südwesten“ auf einen Zuwachs von zwei Millionen Reisenden pro Jahr, die von der Straße auf die Schiene wechseln. Dies bedeute auch eine „erhebliche Entlastung der Umwelt“.
Kefer: „Wir haben keine Einzelstrecken mehr, wir haben ein Netz. Der Wettbewerber ist nicht mehr die Postkutsche, sondern das Flugzeug und das Auto.“ Kefer sagte, es gebe immer weniger Kopfbahnhöfe, er vergaß aber die Großbahnhöfe in Frankfurt/Main und München. Kefer sagte zum Zeitgewinn auf der Neubaustrecke: „Es geht nicht nur um eine halbe Stunde, sondern dass wir dadurch enorme Zugewinne an Fahrgastzahlen bekommen.“
Palmer verglich verschiedene Neubauprojekte und listete die Fehler der Politik und der Bahn auf. Wegen der geplanten Transrapidstrecke zwischen Hamburg und Berlin habe man jahrelang nichts an der bestehenden Bahnverbindung gemacht und dann plötzlich in großem Tempo eine schnelle Verbindung gebaut. „Eine Alternativplanung ist schneller fertig, als sie das darstellen“, sagte Palmer. „Stuttgart 21 schwächt den Schienenverkehr.“ Das größte Problem auf den deutschen Autobahnen sei der Güterverkehr, der auf die Schiene gehöre. Und deshalb müsse man die Bahn im Rheintal nach Basel vierspurig ausbauen.
„Dazu hat sich Deutschland vertraglich verpflichtet“, so Palmer. Bei Stuttgart 21 sei man zu nichts verpflichtet. „Anders, als die Bundeskanzlerin dargestellt hat.“ Beim Durchbruch im Gotthard-Tunnel sehe man: „Die Schweiz durchquert die Alpen, wir schaffen es nicht, in der Ebene auf vier Spuren zu kommen.“
Die Schlichtung soll bis zum 3. Dezember jeden Freitag fortgesetzt werden. Vermittler Heiner Geißler mahnte beide Seiten, keine parteipolitische Auseinandersetzung zu führen. „Wir wollen hier kein Predigten hören und keine Glaubensbekenntnisse“, sagte der frühere CDU-Generalsekretär. Weder Kritiker noch Befürworter sollten ständig darauf verweisen, was in der Vergangenheit von der Gegenseite gesagt worden sei.
Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU) setzt sich unterdessen gegen öffentliche Kritik an der Polizei nach deren hartem Einsatz zur Wehr. „Ich stehe uneingeschränkt zur Polizei und es wäre gut, wenn dies alle tun würden“, sagte Rech. „Dabei verbieten sich öffentliche Ferndiagnosen, denn sie nützen niemanden und desavouieren die aktiven Polizisten, denen viel Aggression entgegenschlägt.“ Der Polizei-Einsatz am 30. September mit Hunderten Verletzten hatte viel Kritik ausgelöst.
Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) sieht in Stuttgart 21 eine „städtebauliche Jahrhundertchance“ für die baden-württembergische Landeshauptstadt. Auf einer Tagung in Rostock warnte er davor, das Projekt zu stoppen.