Am Beispiel von Angelika Beer - eine Geschichte über Treue und Zweifel in der Politik. Sie tritt für die Piraten bei der Wahl in Schleswig Holstein an.
Neumünster. Angelika Beers Rückkehr in die Politik beginnt an Baum Nummer 57. "Mein Jahrgang", sagt Beer. Sie lacht. Kann ja nur Gutes heißen. Gerade erst vor ein paar Minuten wurde sie im Rathaus von Neumünster zur Landtagswahl in Schleswig-Holstein in gut einem Monat zugelassen. Wahlkreis 12, Listenplatz 6, Piratenpartei Deutschland.
+++Partei im Dauerstreit+++
Beer schaut noch einmal auf die Straßenkarte, die sie vom Ordnungsamt bekommen hat, ein paar Punkte hier am Marktplatz von Neumünster sind gelb markiert, auch Baum 57, gegenüber vom Obststand Lüders. "Hier dürfen wir", sagt Beer. Also holen ihre beiden Helfer an diesem Tag, Frank und Michael, die Kabelbinder und die Plakate. "Trau keinem Plakat, informiere Dich", steht dort, schwarz auf orange. Oder: "Ich will so leben, wie ich bin". Darauf ist ein Mädchen mit zotteligen Haaren und Piercing in der Lippe gedruckt.
+++Piraten gehen auf Stimmenfang im Norden+++
Angelika Beer schiebt das Plakat den Baum hoch und zurrt an den Kabelbindern. Sie trägt eine Jeansjacke, sie hat kurzes Haar und einen dünnen langen Zopf, gebunden mit roten, grünen und gelben Bändern. Eine Freundin schenkte ihr die Bänder, als sie beide 1994 im Nordirak waren. Die Freundin wurde kurz darauf erschossen, Beer war schon in Deutschland. Seitdem trägt sie die Bänder. Es sind die Farben der kurdischen Guerillaorganisation PKK.
Es gibt viele Geschichten über Angelika Beer, vor allem die aus ihrer Vergangenheit. Mit 20 Jahren im Kommunistischen Bund, Mitgründerin der Grünen, später sogar Parteichefin und Abgeordnete im Europaparlament. Für die Partei sprach sie über Verteidigung und Sicherheit. Dann, Ende der 1990er, begann der Krieg im Kosovo - und Beer drängte die Basis der einstigen pazifistischen Partei auf den Kurs von Außenminister Joschka Fischer und der Nato. Später, nach 2001, folgte der Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Beer musste wieder überzeugen. Die Olivgrüne, so nannten sie manche Kollegen, für Autonome war sie eine Kriegstreiberin. Fischer habe sie unter Druck gesetzt, seine Macht missbraucht, sagt Beer heute.
Der Wandel der Grünen spiegelt sich auch im Leben von Angelika Beer, es war immer auch eine Geschichte von Glaubwürdigkeit, von Zweifel und Kurswechsel. Der Kopf, sagt Beer, ist doch deshalb rund, damit das Denken die Richtung ändern kann. Es ist ein Spruch des Schriftstellers Francis Picabia. Beer hat ihn sich zurechtgelegt, wenn Reporter nach Wandel, Zweifel und Glaubwürdigkeit fragen.
Beer und ihre Helfer sind angekommen an Baum Nummer 92 in Neumünster. Ein Kamerateam vom Fernsehen begleitet Beer an diesem Tag. Sie filmen die Plakate, sie waren dabei im Rathaus, als Beer im Sitzungssaal 2.5 saß und der Kreiswahlleiter ihre Unterlagen prüfte. Sie drehten im Raucherzimmer vom Rathaus, als Beer ihren Laptop anwarf und den Journalisten Programme zum Twittern, Doodeln und Mumblen erklärte. Wenn man den Piraten den Server beschlagnahmt, sagt sie, sei das wie die Stürmung der Parteizentrale. Beer, die Olivgrüne, 54 Jahre alt, klingt manchmal schon sehr piratisch.
2009 war es zu Ende mit Beer und den Grünen, da hatte Beer mit der Partei längst gebrochen, nicht mit den Grünen in Europa, wie sie betont. Aber mit der Parteispitze in Berlin. Und die Partei brach mit ihr. Die Wehrexpertin hatte sich in Uniform ablichten lassen, 2003 heiratete sie einen Offizier. Einigen Grünen war das zu viel. Beer verlor Rückhalt in der Partei. Mehrere Male kandidierte sie 2009 wieder für das Europaparlament und fiel durch. Unter Tränen trat sie aus der Partei aus. Sie und die Grünen, sagt Beer, das habe sich auseinandergelebt wie eine lange Ehe.
Die Deutschen treten aus der Kirche aus, sie wechseln das Unternehmen oder lassen sich scheiden. Aber der Deutsche hat seine Partei, die er nicht verlässt. Er ist Genosse oder Liberaler, Konservativer oder Grüner. Es geht um politische Haltung, um Ideale. Und die wechselt man nicht wie die Automarke. Treue nehmen die Deutschen wichtig, vor allem in der Politik. Den Grünen ist Beer nicht treu geblieben, sich selbst aber schon. So sieht sie es.
Ein halbes Jahr nach dem Austritt aus den Grünen hängt Angelika Beer Plakate der Piraten auf, für den Bundestagswahlkampf 2009. Ausgerechnet. Beer wechselt zu der Partei, die jetzt vor allem die Grünen ärgert. Jung, internetaffin, eine Alternative. "Die Grünen sind nur noch an Machtpolitik interessiert", sagt Beer. Bei den Piraten finde sie, was sie bei den Grünen vermisse, Solidarität und Transparenz.
Beer will das hinter sich lassen mit den Grünen und rechnet doch wieder mit der Parteispitze ab, mit den Grünen unter Fischer, unter Roth, die Beers Nachfolgerin als Parteichefin wurde.
Beer könne nicht einfach nur auf dem Sofa sitzen, sie wolle die Gesellschaft verändern, mit Politik. Bei den Grünen konnte sie das nicht mehr. Und die jungen Piraten freuten sich über eine erfahrene Politikerin wie Beer.
Sie beklage sich über die Machtpolitik der Grünen, dabei habe Beer selbst immer auf Ämter geschaut, hört man heute von manchen Grünen in Berlin. "Angelika Beer hat die Grünen aus persönlichen Gründen verlassen. Diese Entscheidung jetzt politisch umzudeuten hilft weder ihr noch der Wahrheit", sagt Grünen-Politiker Robert Habeck in Schleswig-Holstein. Beer sei Basispiratin, dränge sich nicht in den Vordergrund, heißt es bei den Piraten in Kiel. Es bringe Spaß, mit ihr zu arbeiten.
Seit der Wahl im Saarland rufen auch in der Parteizentrale in Kiel täglich Journalisten an. Die Partei landete im Saarland bei mehr als sieben Prozent. Klar vor den Grünen. Wie sie nun alle reden über die Piraten, das habe sie diebisch gefreut, sagt Beer.
Wer mit Beer über Politik spricht, erfährt wenig über Kita-Ausbau oder Wirtschaftsförderung, dafür aber viel über Stabilität in Afghanistan, den Aufbau von Sicherheit in Südwestasien und über den Einsatz der Bundeswehr. "Ich bin Außenpolitikerin durch und durch", sagt Beer. Sie fährt gerade mit dem Auto raus in Richtung Bönebüttel. Dorthin, wo ihr Pferd im Stall steht. Auch die Piraten hätten Initiativen gestartet, um Stellung zu nehmen zu Afghanistan. Aber man habe bisher nichts beschließen können. Beer hofft auf den Parteitag Ende April in Neumünster.
Dreimal in der Woche reitet Beer ihr Pferd aus. Sie habe wieder angefangen, als sie für die Grünen ins Europaparlament ging. Brüssel, Berlin, Neumünster, da brauchst du Ablenkung, sonst wirst du maddelig im Kopf, sagt sie. Auf dem Hof geht Beer langsam auf ihre Stute zu. "Psssst, na, du", flüstert sie. In der einen Hand hält sie eine Möhre, und den Schlüssel für den Pferdestall in der anderen. Der Anhänger ist grün, das Logo der Grünen in Europa ist da draufgedruckt. Ganz am Anfang vom Wahlkampf, erzählt Beer, habe eine Frau auf dem Markt in Neumünster gefragt, wo sie denn nun hingehöre. Zu den Grünen oder den Piraten? "Zu den Piraten natürlich", hat sie geantwortet. Beer hat jetzt auch einen orangen Schlüsselanhänger.