Zum vierten Mal innerhalb kurzer Zeit kommt es zu vorzeitigen Neuwahlen. Die Folgen der landespolitischen Bahnen reichen bis nach Berlin.
Berlin. Das Timing stimmt. Die Republik ist ja ohnehin gerade im Wahlkampfmodus: Das Saarland ist am 25. März dran, Schleswig-Holstein wegen der notwendig gewordenen Wahlrechtsreform am 6. Mai. Es trifft das politische Berlin also nicht völlig unvorbereitet, dass nun auch noch ein dritter Termin hinzukommt. Überhaupt konnte man sich in den Parteizentralen nach dem vergangenen Superwahljahr an den Zustand permanenter Gefechtsbereitschaft gewöhnen – waren doch immerhin sieben Landtage 2011 neu zu besetzen.
Dabei hätte 2012 eigentlich ein ruhiges Jahr werden sollen. Und auch 2011 wäre um eine Wahl ärmer gewesen, hätte Schwarz-Grün in Hamburg gehalten. Doch in kurzer Zeit musste die Bundesrepublik nun mehrfach erleben, dass einmal geschmiedete Koalitionen es nicht schafften, eine volle Wahlperiode zu überdauern. Politische Bündnisse sind instabiler geworden. Nervosität ist fast ein Dauerzustand. Auffällig ist, dass es gerade in der jüngsten Vergangenheit nur selten ein konkretes Sachthema war, das eine Regierung ins Aus katapultierte – anders als in Nordrhein-Westfalen, wo die rot-grüne Minderheitsregierung von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) überraschend keine Mehrheit für ihren Haushaltsentwurf gefunden hatte.
Vielfach hatten Streit und Querelen Bündnispartner zermürbt und sie voneinander entfremdet, bis man eben keinen anderen Ausweg mehr sah – so wie in Schleswig-Holstein im Sommer 2009. Zwar hatte es auch immer wieder heftige Debatten über einzelne Vorhaben der schwarz-roten Koalition gegeben. Vor allem aber war das zerrüttete Verhältnis von SPD-Chef Ralf Stegner und Ministerpräsident Peter-Harry Carstensen (CDU) zur unerträglichen Belastungsprobe geworden. Dass Stegner sogar aus dem Kabinett ausschied und stattdessen den Fraktionsvorsitz übernahm, half nichts. Die Frage, ob der damalige Vorstandschef der gebeutelten HSH Nordbank, Dirk Jens Nonnenmacher, eine Sonderzahlung von 2,9 Millionen Euro erhalten solle, setzte schließlich den endgültigen Bruch der Großen Koalition in Gang.
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„Wenn man eine Koalition festgezurrt hat, sollte man mit ihr auch bis zum Ende der Legislaturperiode arbeiten“, meint Politikwissenschaftler Gerd Langguth von der Uni Bonn im Gespräch mit dem Abendblatt. Zwar habe es in jedem Bundesland eine spezifische Ausgangslage und einen jeweils eigenen Grund für die vorzeitig ausgerufenen Neuwahlen gegeben – dennoch sei es problematisch, „wenn eine Regierung an den Nerven der Protagonisten oder an persönlichen Animositäten“ scheitere, wie es etwa auch im Saarland oder in Hamburg der Fall war.
In der Hansestadt bildete sich 2008 die erste und bis heute einzige schwarz-grüne Koalition in einem Bundesland. Zwar arbeitete das Bündnis aus der GAL und der von Bürgermeister Ole von Beust geführten CDU rund zweieinhalb Jahre weitgehend friedlich zusammen. Als sich aber von Beust im Spätsommer 2010 aus der Politik zurückzog, begann es hinter den Kulissen zu kriseln. Sein Nachfolger Christoph Ahlhaus hat es nie geschafft, das Vertrauen der Grünen zu erobern. Vor allem nach der gescheiterten Schulreform begannen beide Partner, ihr jeweiliges Profil zu schärfen. Das Kohlekraftwerk Moorburg, der Etat der Kulturbehörde und die Zukunft von Ex-HSH-Chef Nonnenmacher wurden zu massiven Streitpunkten. Der menschliche Faktor tat sein Übriges. Die Koalition platzte im November 2010.
Doch es war damit nicht nur eine Landesregierung gescheitert, sondern eben auch ein bis dato einmaliges politisches Experiment. Wie im Saarland, wo am 6. Januar 2012 die erste und einzige Jamaika-Koalition zerbrach. „Für Koalitionen ist es heute schwieriger geworden, weil die Parteienlandschaft deutlich bunter als früher ist“, so Politikwissenschaftler Langguth. „Wir haben nicht mehr ein Dreiparteiensystem, sondern fünf und sechs Parteien, die in den Ländern aktiv sind.“ Das bringe auch die politische Stabilität in Gefahr. „Mehrheiten zu finden ist deutlich schwieriger geworden.“ Und genauso kam 2009 auch das schwarz-grün-gelbe Bündnis an der Saar zustande.
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Ähnlich wie in Hamburg war es der Rückzug von Ministerpräsident Peter Müller (CDU), der den Stein ins Rollen brachte. Seine Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer, erst im August 2011 zur Regierungschefin gewählt, haderte mit innerparteilichen Querelen bei der FDP. Die Liberalen hatten eine Dienstwagenaffäre zu verkraften und waren seit Wochen auf der Suche nach einem neuen Fraktionschef. Das war der neuen Ministerpräsidentin zu viel, sie warf das Handtuch.
Die seismischen Wellen all dieser landespolitischen Beben haben bis nach Berlin gereicht. Vor allem Nordrhein-Westfalen kommt nun eine besondere Bedeutung zu. Denn was im bevölkerungsreichsten Bundesland vor sich geht, hat für Politstrategen gern Signalwirkung. Übersetzt heißt das: Schafft Rot-Grün, wie die Umfragen vermuten lassen, dieses Mal eine eigene stabile Mehrheit, wird die CDU geschwächt und fliegt die FDP aus dem Landtag, hat auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein großes Problem. Vor allem das fortschreitende Siechtum der Liberalen wird mehr als bisher zur Belastung ihrer Bundesregierung. Hinter vorgehaltener Hand überlegt man in der Union längst, ob man in einer Großen Koalition mit der SPD nicht besser über die Runden kommen würde.
Merkels Vorgänger Gerhard Schröder stellte 2005 nach einer schmerzlichen Wahlniederlage für seine Partei in NRW sogar die Vertrauensfrage. Dass es jetzt auch zu einem Koalitionsbruch in Berlin kommt, glaubt Langguth, der auch Merkel-Biograf ist, allerdings nicht. Weder die Kanzlerin noch die FDP hätten derzeit ein Interesse daran. Und, was er für wichtig hält: „Angela Merkel ist kein Mensch, der schnell die Nerven verliert.“