Bundespräsident Wulff gibt um 11 Uhr eine Erklärung im Schloss Bellevue ab. Kanzlerin Merkel will sich um 11.30 Uhr äußern. Die Staatsanwaltschaft Hannover hat gestern die Aufhebung der Immunität Wulffs beantragt, um strafrechtlich gegen das Staatsoberhaupt ermitteln zu können.
Hannover/Berlin. Der angeschlagene Bundespräsident will nach Angaben gut informierter Kreise noch am Freitag seinen Rücktritt erklären. Damit werde Christian Wulff die Konsequenzen aus dem Antrag der Staatsanwaltschaft in Hannover ziehen, die am Donnerstag eine Aufhebung seiner Immunität und die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gefordert hat. Um 11 Uhr will sich das deutsche Statsoberhaupt äußern.Unmittelbar nach Wulffs Erklärung will Bundeskanzlerin Angela Merkel um 11.30 Uhr vor die Öffentlichkeit treten. Dafür hat sie ihren für Freitag geplanten Italien-Besuch verschoben.
In einem beispiellosen Schritt hat die Staatsanwaltschaft Hannover gestern die Aufhebung der Immunität von Bundespräsident Christian Wulff beim Bundestag beantragt, um strafrechtliche Ermittlungen einleiten zu können. Die Behörde sieht beim früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten (CDU) einen Anfangsverdacht auf Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung. Auch aus der CDU kommen unterdessen kritische Stimmen zu Wulff.
Die Staatsanwaltschaft teilte mit, nach umfassender Prüfung neuer Unterlagen und der Auswertung weiterer Medienberichte gebe es nun diesen Anfangsverdacht gegen das Staatsoberhaupt. Ermittelt wird in dem Zusammenhang auch gegen den Filmfondsmanager David Groenewold, der mit Wulff 2007 auf Sylt Urlaub machte. Groenewold hatte dabei die Hotelkosten zunächst bezahlt. Wulff will den Betrag später in bar beglichen haben. Die niedersächsische Landesregierung hatte einer Firma Groenewolds knapp ein Jahr zuvor eine Bürgschaft von vier Millionen Euro gewährt, die aber nie in Anspruch genommen wurde. Wulffs Anwalt Gernot Lehr wollte sich zu der Entscheidung der Ermittler nicht äußern.
+++ Die Vorwürfe gegen Christian Wulff +++
+++ Die Mitteilung der Staatsanwaltschaft im Wortlaut +++
+++ Entscheidung des Bundestages noch in diesem Monat? +++
Unions-Fraktionsvize Michael Meister erwartet, dass der Bundestag die Immunität von Bundespräsident Christian Wulff aufheben wird. Er gehe davon aus, dass der Immunitätsausschuss und das Plenum dem Antrag der Staatsanwaltschaft Hannover zustimmen würden, wenn dieser ein Aufklärungsbedürfnis hinreichend deutlich mache, sagte der CDU-Politiker am Freitag im Deutschlandradio Kultur. Immunität sei nicht dazu da, um Einzelpersonen vor Strafverfolgung zu bewahren, sondern die Funktionsfähigkeit der demokratischen Instanzen zu wahren. Für Wulff gelte immer noch die Unschuldsvermutung. Die Entscheidung über seinen Rücktritt könne Wulff aber nur selber fällen. Der Bundespräsident wisse, inwieweit der Verdacht Vorteilsnahme seitens der Staatsanwaltschaft Substanz habe oder nicht. Die zweite Frage sei, ob man solche Ermittlungen mit der Amtsführung verbinden könne oder nicht. „Auch dazu muss der Bundespräsident selbst eine Einschätzung haben.“ Er selbst sehe Wulff aktuell aber noch handlungsfähig. Zur Suche eines überparteilichen Kandidaten äußerte sich Meister zurückhaltend: „Wir haben eine Demokratie, und da sollte die Mehrheit einen geeigneten Kandidaten finden.“
Der Vorsitzende der CDU-Landesgruppe Niedersachsen im Bundestag, Michael Grosse-Brömer, schließt einen Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff nicht mehr aus. „Der Bundespräsident muss jetzt seine Schlüsse ziehen“, sagte er der in Halle erscheinenden „Mitteldeutschen Zeitung“. „Kein anderer kann ihm diese Entscheidung abnehmen.“ Grosse-Brömer ist zugleich Justiziar der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Jürgen Trittin, hat den Bundespräsidenten aufgefordert, ab sofort seine Amtsgeschäfte ruhen zu lassen. Das sei das Mindeste, sagte Trittin am Freitag im Deutschlandfunk. Er hält es unter den gegenwärtigen Umständen für undenkbar, dass die für nächste Woche geplante Gedenkstunde für die Opfer neonazistischen Terrors mit Wulff stattfindet. Der Grünen-Politiker sprach im Zusammenhang mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Aufhebung der Immunität Wulffs von einem beispiellosen Vorgang. Das Amt des Bundespräsidenten drohe beschädigt zu werden, sagte Trittin. Für den Fall eines Rücktritts Wulffs wären die Grünen zu einer Verständigung über den Nachfolge-Kandidaten bereit, der von möglichst viele politischen Kräften getragen werden sollte, wie Trittin sagte.
Grünen-Chefin Claudia Roth hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aufgefordert, zur Situation von Bundespräsident Christian Wulff Stellung zu beziehen. Die Kanzlerin könne nicht schweigen in einer Situation, in der das höchste und wichtigste Amt im Staate in einem unvorstellbaren Maße an Autorität und Respekt verloren habe, sagte sie am Freitag im „Morgenmagazin“ der ARD. Den Bundespräsidenten forderte Roth auf, sein Amt ruhen zu lassen. Sie sprach sich dafür aus, dass der Immunitätsausschuss des Bundestags Wulffs Immunität schnell aufhebe, damit die Staatsanwaltschaft zügig ermitteln könne. „In dieser Zeit glaube ich, dass Herr Wulff definitiv sein Amt ruhen lassen muss.“
Auch Grünen-Politiker Christian Ströbele forderte Wulff zum sofortigen Rücktritt auf. Es sei unvorstellbar, dass demnächst Staatsanwälte das Schloss Bellevue durchsuchten. "Christian Wulff sollte die Konsequenzen ziehen", sagte Ströbele dem "Tagesspiegel". "Jetzt reicht's." Auch in der FDP nehmen die Zweifel an Wulff immer mehr zu. Bei den Liberalen werde Wulffs Verhalten mit "wachsender Sorge" beobachtet, hieß es aus Parteikreisen. "Ich glaube, das war's", zitiert die "Welt" ein Mitglied der FDP-Führung. Offizielle Stellungnahmen gab es nicht.
Die SPD verlangt, dem Antrag der Staatsanwaltschaft stattzugeben und die Immunität Wulffs aufzuheben. Dies müsse umgehend erfolgen, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, der "Welt". Die SPD werde den Antrag befürworten. "Ich rechne damit, dass auch die Koalition dem zustimmen wird. Der Bundestag muss schließlich sicherstellen, dass alle Bürger vor dem Gesetz gleich sind." Oppermann hält Wulff für „eigentlich nicht mehr tragbar“, sagte er am Freitag im Deutschlandfunk. Wulff habe die Grenzen nicht eingehalten, was von jedem Amtsträger gefordert werde. „Wir brauchen in Schloss Bellevue keinen Heiligen, sondern einen, der sich an Recht und Gesetz hält“, sagte der SPD-Politiker. Zur Frage eines potenziellen Wulff-Nachfolgers sagte Oppermann, das Angebot des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, einen überparteilichen Kandidaten mitzutragen, gelte nach wie vor. Joachim Gauck sei eine ganz ausgezeichnete Persönlichkeit, ob er aber noch einmal ins Rennen ginge, darüber müssten SPD und Grüne und Gauck selbst noch einmal nachdenken, erklärte Oppermann. Generalsekretärin Andrea Nahles sagte: "Dass eine Staatsanwaltschaft gegen das Staatsoberhaupt ermitteln will, hat es noch nie gegeben. In meinen Augen ist eine staatsanwaltliche Ermittlung mit dem Amt des Bundespräsidenten unvereinbar." Die Partei bietet Kanzlerin Angela Merkel seit Wochen an, gemeinsam nach einem überparteilichen Nachfolgekandidaten zu suchen.
+++ Zeitpunkt verpasst +++
+++ Christian Wulff im Umfragetief: Deutschland will den Rücktritt +++
Wulff sieht sich zahlreichen Vorwürfen ausgesetzt, Vorteile angenommen zu haben. Angelastet werden ihm unter anderem die Inanspruchnahme eines günstigen Privatkredits für sein Haus, billiges Autoleasing und kostenlose Urlaube bei Unternehmern, mit denen er auch geschäftlich in seiner Zeit als Regierungschef in Niedersachsen zu tun hatte. Wulff regierte in Hannover zwischen 2003 und 2010.
Bei den strafrechtlichen Ermittlungen gegen Wulffs ehemaligen Sprecher Olaf Glaeseker gibt es noch kein Ergebnis. Der frühere Vertraute des Präsidenten soll als Regierungssprecher in Hannover dafür gesorgt haben, dass ein Wirtschaftstreffen des Eventmanagers Manfred Schmidt von Niedersachsen finanziell und organisatorisch unterstützt wurde. Gegen Schmidt wird wegen Bestechung ermittelt.