Union und FDP beraten auf einer zweitägigen Klausurtagung über die Zukunft der Krankenkassen. Ärzte warnen vor Insolvenzen.
Berlin. Wochenlang tobte der Streit zwischen den Partnern der schwarz-gelben Koalition um die Zukunft des Gesundheitssystems und um die Frage, wie sich das Milliardendefizit im Gesundheitswesen reduzieren lässt. Durch Zusatzbeiträge für die Versicherten, wie vor allem die FDP fordert? Oder durch einen strikten Sparkurs, wie ihn die Union verlangt? Seit gestern sind die Fachpolitiker von CDU, CSU und FDP nun zu einer zweitägigen Klausursitzung in Berlin zusammengekommen. Neben den möglichen Einsparungen soll auch über die umstrittene Kopfpauschale beraten werden, die die CSU bislang strikt abgelehnt hat.
Wie dringlich ein Zusammenraufen der Koalition ist, unterstrich der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion Jens Spahn. In der "Rheinischen Post" warnte er vor einem "Systemkollaps" der Krankenkassen. "Nichts tun ist hier keine Option. Wir müssen uns daher bis zur Sommerpause auch bei der Finanzierungsreform einigen", sagte Spahn. Eine schnelle Lösung forderte auch Jan Schulze, Präsident der Sächsischen Landesärztekammer: "In der gesetzlichen Krankenversicherung baut sich das größte Defizit der Geschichte auf, wenn bis zur Sommerpause nichts geschieht." Dann sei mit Insolvenzen von Krankenkassen zu rechnen.
Nach den Auseinandersetzungen der letzten Wochen gaben sich die Teilnehmer der Sitzung daher nun betont kompromissbereit. "Ich bin überzeugt, dass wir einen tragfähigen Kompromiss erarbeiten werden", sagte der CSU-Abgeordnete Max Straubinger dem Hamburger Abendblatt. Vorrangig müsse nach Einsparmöglichkeiten gesucht werden, forderte Straubinger. Er räumte aber zugleich ein: "Wenn man alles durchgerechnet hat und es trotzdem noch notwendig werden sollte, muss man auch über die Beitragsfrage reden." Dass die Meinungsverschiedenheiten auf der Sitzung eskalieren könnten, schloss der Gesundheitspolitiker aus: "Hier geht es ausschließlich um Sachfragen. Die Koalitionsfrage stellt hier niemand, auch nicht die FDP."
Auch Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) gab sich zuversichtlich: "Ich bin fest davon überzeugt, dass wir uns alle der Regierungsverantwortung stellen werden." Mit Blick auf das Defizit im Gesundheitswesen, das für 2011 auf elf Milliarden Euro veranschlagt wird, fügte er hinzu: "Nichts tun ist keine Lösung." Rösler will mit der von ihm verlangten einkommensunabhängigen Kopfpauschale die Einnahmen der gesetzlichen Krankenkassen verbessern.
Den Startschuss zur Sparrunde gab gestern der Bundestag. Mit den Stimmen von Union und FDP beschloss er, befristet bis Ende 2013 den Pharma-Zwangsrabatt auf verschreibungspflichtige Medikamente von sechs auf 16 Prozent zu erhöhen. Die Preise sollen rückwirkend auf dem Stand vom 1. August 2009 eingefroren werden. Die Koalition will mit den ab August startenden Regelungen in diesem Jahr rund 500 Millionen Euro und ab 2011 pro Jahr 1,15 Milliarden Euro bei den Krankenkassenausgaben sparen.
Bei der Gesundheitsklausur wird dagegen nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums noch mit keinen endgültigen Entscheidungen gerechnet. Aus der CDU liegen Pläne vor, wonach 2,2 Milliarden Euro bei Ärzten, Krankenhäusern, Apotheken und dem Arzneimittel-Großhandel eingespart werden könnten. Die Parteivorsitzenden der Koalition haben ein Einsparziel von vier Milliarden Euro vorgegeben. Es sei das gemeinsame und "glasklare Ziel" der Koalition, das 2011 im Gesundheitswesen drohende Elf-Milliarden-Defizit zu verhindern, sagte der CSU-Gesundheitsexperte Johannes Singhammer. Auf der Klausur mit Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler werde man "den gepflegten Doppelpass spielen", betonte Singhammer.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach erwartet dagegen, dass sich FDP und CSU weiter als "Wildsau" und "Gurkentruppe" beschimpfen. In der Gesundheitspolitik gebe es unter Schwarz-Gelb nur Stillstand: "Neun Monate fruchtlose Diskussion um kleine Kopfpauschalen, um große Kopfpauschalen", sagte Lauterbach
Auf der Klausur müssten jetzt vier Milliarden Euro eingespart werden, nur um die CSU zu befrieden, meinte der SPD-Experte. Die Nullrunde im Krankenhaus, wie sie in der Liste der CDU-Experten Jens Spahn und Rolf Koschorrek stehe, sei "der dümmste Sparvorschlag, den es gibt". Lauterbach warf den Koalitionspolitikern vor: "Sie machen nur Vorschläge zulasten der Kranken und der kleinen Leute."