Am Tag nach Köhlers Rücktritt suchen die Parteien fieberhaft nach einem Nachfolger - oder einer Nachfolgerin. Angela Merkel macht sich für Ursula von der Leyen als Nachfolgerin von Horst Köhler stark
Berlin. Auf den ersten Blick ist es ein Arbeitstag wie jeder andere: Um neun Uhr empfängt Angela Merkel Horst Seehofer und Guido Westerwelle im Kanzleramt. Dieses Treffen ist lange verabredet, denn noch immer sind die Grundzüge des großen Sparpakets, das am Wochenende beschlossen werden soll, nicht festgelegt. Die Zeit drängt. An dieser Haushaltsklausur, sagen politische Beobachter, hängt der Erfolg der schwarz-gelben Koalition. Die Parteivorsitzenden haben kaum Zeit, sich mit dem Paukenschlag vom Vortag zu befassen, der gerade das Land beschäftigt.
Während draußen diskutiert wird, wer das Zeug dazu haben könnte, dem zurückgetretenen Bundespräsidenten Horst Köhler nachzufolgen, geht es in Merkels Büro um drastische Sparmaßnahmen im Umfang von zehn Milliarden Euro für den Haushalt 2011 - eine Herkulesaufgabe. Und nun noch das: ein Bundespräsident, der den Bettel hingeworfen hat, weil er die Kritik an seinen jüngsten Äußerungen zu deutschen Bundeswehreinsätzen nicht ertragen wollte.
Diesen Mann hat die Kanzlerin am Tag zuvor vergeblich bekniet, seine Entscheidung noch einmal zu überdenken. Nicht mal 24 Stunden ist es her, dass Köhler die Appelle der Kanzlerin, seiner Verantwortung dem Land gegenüber gerecht zu werden, telefonisch abgeblockt hat. Das öffentliche Echo auf seinen Rücktritt ist vernichtend. Von Fahnenflucht ist die Rede.
Merkel muss angesichts der doppelten Staatskrise alle Termine absagen, die jetzt nur noch von nachgeordneter Bedeutung sind. Ihre Teilnahme am Ostseeratsgipfel in Wilna hat die Kanzlerin bereits am frühen Morgen abgesagt. Angela Merkel weiß, dass ihre Anwesenheit in Berlin jetzt unverzichtbar ist. Der Spargipfel darf nicht scheitern, und das Vertrauen der Bürger in die Institutionen des Staates, das durch Köhlers abrupten Abgang schwer erschüttert worden ist, muss schnellstens wiederhergestellt werden.
Merkel ist entschlossen, die Köhler-Nachfolge rasch zu regeln, auch wenn sie einen ihrer engsten Vertrauten, den Unionsfraktionsvorsitzenden Volker Kauder, im ZDF verkünden lässt, es könne noch ein paar Tage dauern. Das ist eine Vorsichtsmaßnahme für den Fall, dass Union und Liberale das Köhler-Problem nicht schnell und einvernehmlich lösen können. Merkel, Seehofer und Westerwelle wollen gemeinsam durchs Ziel gehen und nicht um die Stimmen der SPD buhlen, heißt es später übereinstimmend aus den Parteizentralen.
Um halb zwölf geht man auseinander. Doch da scheinen die ersten Weichen bei der Suche nach einem neuen Staatsoberhaupt längst gestellt: In den frühen Nachmittagsstunden verdichten sich die Hinweise auf eine Nominierung von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen. Merkel favorisiere die niedersächsische CDU-Politikerin als Nachfolgerin für Horst Köhler, heißt es in Koalitionskreisen. Dies stoße bei CDU und CSU auf breite Zustimmung. Von einer "sehr starken Präferenz" für jene Frau, die erst Familienministerin gewesen ist und dann das Bundesarbeitsministerium übernahm, ist die Rede.
Auch der "Kölner Stadt-Anzeiger" meldet unter Berufung auf führende Unions-Kreise, die Kanzlerin habe sich in der Koalitionsrunde für von der Leyen starkgemacht. Der Arbeitsministerin, so die Spekulation, könnten im Kabinett der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers oder Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (beide CDU) nachfolgen.
Merkel können solche Meldungen nicht recht sein. Zu groß ist die Gefahr, dass ein Name durch Indiskretionen verbrannt wird, bevor man den Koalitionspartner ins Boot geholt hat. Und noch ist nicht ganz sicher, ob die Liberalen darauf verzichten werden, einen eigenen Kandidaten auf den Schild zu heben.
FDP-Chef Westerwelle hält sich am Nachmittag bedeckt: Es sei nur über das Verfahren gesprochen worden. "Es gibt überhaupt gar keine Vorfestlegung oder inhaltliche Besprechungen", sagte er. Das FDP-Präsidium wollte noch am Abend in der Parteizentrale an der Berliner Reinhardtstraße zusammenkommen, um über die Köhler-Nachfolge zu beraten.
Als Kandidaten für das Präsidentenamt waren im Laufe des Tages auch etliche andere Namen genannt worden. Dazu gehört Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Im Gespräch waren auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sowie die beiden CDU-Ministerpräsidenten Christian Wulff (Niedersachsen) und Roland Koch (Hessen).
Ursula von der Leyen selbst vermied eine Stellungnahme zu ihrer Favoritenrolle. "Also zu der Nachfrage nach einem spezifischen Arbeitsplatz gilt die gute Regel, das ist jetzt zwar die Zeit der Spekulation, aber es muss jetzt unter hohem Zeitdruck eine gute Lösung für dieses Land gefunden werden, und deshalb gilt für mich einfach ... so", sagte sie - und hielt sich den Finger vor den Mund.