Bremens Bürgermeister Böhrnsen (SPD) macht sich zurzeit mit der Präsidentenrolle vertraut. Er will dabei nur die nötigsten Pflichten erfüllen.
Bremen. Jens Böhrnsen lässt sich nicht beirren. Er denkt nicht daran, auch nur einen Termin an seinem Tag eins als offizielles Staatsoberhaupt abzusagen. Also gibt der amtierende Bundespräsident erst die Gewinner des Bremer Stadtmusikanten-Preises bekannt, dann empfängt Böhrnsen 20 Hochschullehrer, die in diesem Semester an der Bremer Hochschule ihren Dienst angetreten haben. Für die Gäste lässt sich der SPD-Politiker viel Zeit. Er führt sie durch das 600 Jahre alte herrschaftliche Rathaus, er erzählt ihnen von der "städtischen Freiheit gegenüber der kirchlichen Hegemonie im 15. Jahrhundert" und berichtet begeistert über die Zeit der Hanse. Nach 20 Minuten fällt ihm auf, dass er den Termin längst überzogen hat. "Ich könnte noch Stunden erzählen, aber das lass ich jetzt mal lieber", sagt der Bürgermeister lächelnd.
Jens Böhrnsen ist entspannt, so entspannt, dass er all das, was nun auf ihn zukommt, mit auffallender Distanz zur Kenntnis nimmt. Am Donnerstag möge er bitte in Berlin sein, hat man ihm im Bundespräsidialamt mitgeteilt. Ein Staatsgast aus Somalia müsse empfangen werden. Später wird der Termin doch noch abgesagt. Böhrnsen scheint die Hektik nicht sonderlich zu berühren. Der derzeitige Bundesratspräsident will gar nicht erst in Versuchung geraten, Gefallen am Amt des Bundespräsidenten zu finden. "Mein Leben wird sich nicht verändern", sagt er. Er macht dabei nicht den Eindruck, als ob ihn der Rücktritt Horst Köhlers sonderlich beschäftigt. Doch so ist es nicht.
Später am Tag, in einem ersten ruhigen Moment nach mehreren Terminen, zieht er sich in sein Amtszimmer zurück. Es ist Zeit für einen Kaffee mit viel Milch. Seit dem Anruf Köhlers sind nun mehr als 24 Stunden vergangen. Das Telefonat geht Böhrnsen noch durch den Kopf. Er rekapituliert: "Ich dachte, der Bundespräsident wollte mit mir sprechen, um einen Termin in Bremen abzusagen. Das war meine Befürchtung." Er hatte fest mit Köhler am 14. Juni in Bremen gerechnet. Der Bundespräsident sollte die Special Olympics National Games eröffnen. "Er war Schirmherr der Veranstaltung", sagt Böhrnsen. Um 12.30 Uhr rief Köhler an, aber nicht wegen des Termins. "Ich habe sofort gespürt, dass er in seiner Entscheidung absolut festgelegt war", sagt der Bürgermeister. Anders als Angela Merkel und Guido Westerwelle versuchte er nicht, Köhler umzustimmen.
Über die Gründe des Rücktritts will er nicht rätseln. "Für mich zählt, was der Bundespräsident mir am Telefon als Grund für seinen Rückzug genannt hat." Dann muss Böhrnsen lachen. Im Endeffekt habe Köhler den Besuch in Bremen doch abgesagt. Seine Befürchtung habe also gestimmt.
Schnell wird Böhrnsen wieder ernst. Die Zeit bis zum 30. Juni ist doch recht lang. Auch er kann natürlich Fehler machen. "Ich werde die Verantwortung, die mit dieser Stellvertretung verbunden ist, sehr ernst nehmen. Das Amt des Bundespräsidenten muss handlungsfähig bleiben", sagt er. Er hat eine Liste mit den Terminen Köhlers erhalten - und dazu Empfehlungen des Präsidialamtes. Eines ist für ihn schon jetzt klar: Ins Ausland will er nicht reisen. Nicht einmal zur Fußball-WM nach Südafrika. "Es geht vor allem darum, die notwendigen, unaufschiebbaren Termine wahrzunehmen." Und die sind in Deutschland. Er will sogar versuchen, vieles in seinem Bremer Amtszimmer zu erledigen. Das passt zu dem stets bescheiden auftretenden 60-Jährigen. Böhrnsen ist unter den 16 Ministerpräsidenten derjenige, den es am wenigsten in die bundesweite Öffentlichkeit drängt. Vorgänger Henning Scherf war weitaus bekannter. Schlagartig hat sich das nun geändert. Ausgerechnet der Regierungschef des kleinsten, unwichtigsten Bundeslandes, zumal der einzige Vertreter eines rot-grünen Bündnisses, darf sich vorerst Deutschlands amtierendes Staatsoberhaupt nennen. So will es der Föderalismus. Böhrnsen bekennt: "Niemand hat eine Vorstellung davon, was eigentlich geschieht, wenn ein Bundespräsident zurücktritt. Auch ich muss mich darin einfinden."
Natürlich hat auch er sich schon gefragt, wer die echte Nachfolge Köhlers antreten könne. "Warum sollten wir nicht versuchen, jenseits parteipolitischer Zuordnung eine geeignete Kandidatin oder einen Kandidaten zu finden?", fragt er. "Das Amt des Bundespräsidenten sollte nicht ein Ergebnis parteipolitischer Festlegungen sein."
Der Pausenkaffee ist beendet. Es geht zum nächsten Termin, natürlich erst mal in Bremen. Oft wird er jetzt gefragt, wie man ihn denn anreden müsse. Der Bürgermeister sagt: "Es gibt keine speziellen Titel für meine neue Aufgabe. Man kann mich auch einfach mit ,Herr Böhrnsen' ansprechen." So wie das die Bremer auch tun. Von ihnen will er im Amt bestätigt werden und das rot-grüne Bündnis fortsetzen. Im Mai nächsten Jahres stellt er sich zur Wahl. Seine Chancen stehen gut. Und die vier Wochen als Staatsoberhaupt werden ihm einen Popularitätsschub geben, davon ist man im Rathaus überzeugt.