Der SPD-Chef und sein Freudscher Versprecher befeuern die Kampagne in Nordrhein-Westfalen. Was will die SPD wirklich?
Berlin. Seit Sigmund Freud gelten Versprecher als sprachliche Fehltritte, bei denen der eigentliche Gedanke ohne Absicht entschlüpft. So gesehen goss SPD-Chef Sigmar Gabriel reichlich Wasser auf die Mühlen der Wahlkämpfer von CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen. In einem seltenen Auftritt mit den Spitzen der Grünen wollte der wortgewaltige SPD-Vorsitzende für eine rot-grüne Mehrheit bei der Landtagswahl am 9. Mai werben. Stattdessen entglitt ihm ein Versprecher, der nach Überzeugung von CDU und FDP ein Licht auf die wirklichen Pläne der SPD wirft: „Die Wahl ist entschieden, wenn die Wahlbeteiligung hoch ist“, sagte Gabriel. „Dann hat Rot-Rot-Grün eine eigene Mehrheit.“
Knapp drei Wochen vor der Landtagswahl konterkarierte Gabriel damit den Zweck des gemeinsamen Auftritts der Spitzen von Grünen und SPD aus Bund und Land. Die SPD wollte damit ihre politischen Gegner Lügen strafen, die den Sozialdemokraten vorwerfen, sie steuerten in Nordrhein-Westfalen auf ein Dreierbündnis mit Grünen und Linkspartei zu. Ähnliche rot-grüne Schulterschlüsse hatte es auf Bundesebene zuletzt 2002 zwischen Kanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer gegeben, in Nordrhein-Westfalen vor der Landtagswahl 2005.
„Da saß die Angst im Nacken bei mir“, versuchte Gabriel seinen Versprecher nach Zurufen von Journalisten zu verbessern. Grünen-Chefin Claudia Roth assistierte beim Rettungsversuch mit der Bemerkung, das zweite Rot sei auf sie gemünzt: „Damit meinte er mich.“ Gabriel bekräftigte, er wolle eine rot-grüne Parlamentsmehrheit. Die einzigen, die Freude am Einzug der Linkspartei in den Landtag hätten, seien Union und FDP.
Die nordrhein-westfälische SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft zog sich auf die Position zurück, dass sie die Linken nicht für regierungsfähig halte. Auf Fragen, ob sie ein Bündnis mit ihnen ausschließe, sagte sie: „Erst mal machen sie das selbst.“ Weitere Nachfragen dazu beschied sie mit den Worten: „Ich glaube, ich habe alles Notwendige dazu gesagt.“ Sie widersprach aber Fragenstellern nicht, die unterstellten, sie habe ein Bündnis mit den Linken ausgeschlossen.
Der Eiertanz um die Koalitionsoptionen in Düsseldorf liegt nicht zuletzt in den Umfragen begründet. Darin liegen Schwarz-Gelb und Rot-Grün etwa gleichauf. Beide Zweierbündnisse hätten zurzeit aber keine eigene Mehrheit, wenn auch die Linkspartei in den Landtag einzöge – was die Umfragen derzeit voraussagen. „Unsere Perspektive ist es, die Linkspartei aus dem Parlament herauszuhalten“, bekräftigte Kraft denn auch.
Den Grünen war daran gelegen, der eigenen Klientel zu versichern, dass eine Stimme für Rot-Grün auch bei ihnen gut aufgehoben sei. Die Partei hat sich als Zweitoption eine Koalition auch mit der CDU offengehalten – für die es in Umfragen derzeit reichen würde. Parteistrategen befürchten, Teile der grünen Wählerschaft könnten sich daher der SPD zuwenden. Grünen-Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann sagte, es sei „in greifbarer Nähe, dass wir unsere Erstoption erreichen“. Über „unsere Zweitoption“ werde jetzt nicht gesprochen.
Gabriel und Roth warben für einen Politikwechsel. Bei einer Abwahl der schwarz-gelben Regierung in Düsseldorf verlöre die Bundesregierung ihre Mehrheit im Bundesrat. Über die Länderkammer werde die SPD dann die „wahnwitzigen Steuerpläne“ der Koalition und die „Zerschlagung der gesetzlichen Krankenversicherung“ stoppen, sagte Gabriel. Seine Grünen-Kollegin Roth nannte die Wahl ein „Referendum über den Plan von Schwarz-Gelb, den Atomkonsens zurückzudrehen“.
FDP-Generalsekretär Christian Lindner nannte den Auftritt von SPD und Grünen eine Show-Veranstaltung: „Dieses Signal ist unglaubwürdig, denn es fehlt der notwendige dritte Partner, die Linkspartei.“ CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt sagte: „Rot-Grün ist tiefste politische Vergangenheit, und ohne die Linkspartei gibt's da keine Wiederbelebung.“ (rtr)