Angela Merkel spricht zwar nicht mehr von “privilegierter Partnerschaft“, sie hält aber zur Enttäuschung ihrer Gastgeber daran fest.
Berlin/Istanbul. Sachfragen sind wichtig, aber manchmal sind Stilfragen wichtiger. Deshalb hat die Kanzlerin den Begriff von der "privilegierten Partnerschaft" während ihres zweitägigen Türkeibesuchs nicht benutzt. Sie habe begriffen, dass diese Formulierung "keine gute Konnotation" habe, hat Angela Merkel (CDU) gesagt. Am Bosporus wurde das registriert. Hoffnungen darauf, dass die deutsche Kanzlerin ihre ablehnende Haltung zum EU-Beitritt der Türkei ändern würde, machte man sich dort auch gestern allerdings nicht. Die Enttäuschung sitze tief, sagte Manuel Sarrazin dem Abendblatt, "denn die Türken wissen, dass die Kanzlerin nur von dem Begriff abgerückt ist, dass sich an ihrer Haltung aber nichts geändert hat."
Der europapolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion gehörte zu der Parlamentariergruppe, die Merkel nach Ankara und Istanbul begleitete. Im Prinzip seien die Gespräche alle gleich verlaufen, berichtete Sarrazin. "Die Türken wissen, dass der Weg nach Europa noch weit sei. Sie sehen die größten Hürden allerdings nicht nur bei den Franzosen, den Griechen und den Zyprioten, die die Eröffnung neuer Beitrittskapitel mit ihren Vetos blockieren. Alle Politiker, mit denen wir hier zusammentreffen, betrachten Deutschland als ersten Ansprechpartner und als wichtigstes Partnerland der Türkei in der EU. Und sie sagen: 'Wenn Deutschland eine andere Haltung gegenüber der Türkei einnehmen würde, wäre die Lage signifikant aussichtsreicher.'"
Nach außen hin sah man von diesen Enttäuschungen am Dienstag nichts. Die Kanzlerin setzte ihre Reise in Istanbul fort, wo sie zunächst mit Herausgebern regierungskritischer Zeitungen frühstückte. Nach der Besichtigung der Hagia Sophia und der Blauen Moschee machte Angela Merkel dann einen Besuch bei der 1868 gegründeten deutschen Schule, wo sie die Schüler ausführlich ins Gespräch zog, nach Schulwegen und Lieblingsfächern fragte. Was Johannes Kahrs (SPD) mit dem Seufzer quittierte: "Ich fahre seit fünf Jahren mit ihr durch die Welt, und es ist immer das Gleiche: Vorher markiert sie die Harte für die Menschen zu Hause, und dann vor Ort versteht sie sich doch wieder mit allen gut." Auch dieses Mal habe Merkel die Situation von Berlin aus angeheizt und erst in Ankara deeskaliert, meinte der stellvertretende Vorsitzende der deutsch-türkischen Bundestags-Parlamentariergruppe. Er fügte hinzu: "Diesmal hätte sie es fast überzogen. Die deutsche Wirtschaft hat die Kanzlerin dann zurückgepfiffen." Tatsächlich gehörten zur Entourage der Kanzlerin nicht nur Politiker aller im Bundestag vertretenen Parteien, sondern auch Vorstände von ThyssenKrupp, Telekom, RWE, EnBW und Rheinmetall, die den türkischen Ministerpräsidenten beim deutsch-türkischen Wirtschaftsforum trafen. Erdogan sagte dort: "Wir wollen nicht Last sein, wir wollen die Lasten teilen."
Während Angela Merkel sich dann über die schwierige Situation der deutschsprachigen Kirchengemeinden informierte - weil die Kirchen in der Türkei keinen rechtlichen Status haben, können sie keine Immobilien erwerben oder Mitarbeiter anstellen-, wurde in Berlin weiter über den EU-Beitritt diskutiert. Auslöser waren Äußerungen des CDU-Politikers Ruprecht Polenz. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag hatte im Interview mit "Spiegel Online" Merkels Doppelstrategie kritisiert. Als Parteichefin werbe sie für das Modell der privilegierten Partnerschaft; als Kanzlerin aber binde sie der Koalitionsvertrag, der ergebnisoffene Beitrittsverhandlungen verlange. Polenz: "Ich bin mit der Kanzlerin einig, mit der Position der Parteivorsitzenden nicht."
Mehrere CDU-Ministerpräsidenten stärkten Merkel daraufhin den Rücken. Zur Pflege guter und enger nachbarschaftlicher Beziehungen sei aus seiner Sicht keine Vollmitgliedschaft der Türkei erforderlich, sagte Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer meinte, ein EU-Beitritt der Türkei sei theoretisch denkbar, aber das heiße nicht, dass er empfehlenswert sei.
Immerhin versprach die Bundeskanzlerin, dass sie sich für Einreiseerleichterungen türkischer Bürger in die EU einsetzen werde.