Die bestehenden Streitthemen zwischen Deutschland und Türkei wurden nicht ausgeräumt. Doch Merkel versuchte, den Schulstreit zu entschärfen.
Ankara/Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan haben sich trotz intensiver Gespräche in Ankara kaum angenähert. Beim Auftakt des zweitägigen Kanzlerin-Besuchs bemühten sich beide Seiten am Montag zwar um verbindliche Töne, die Streitthemen bestanden aber fort: die Integration von Türken in Deutschland, die Sanktionierung der iranischen Atompolitik und Ankaras Wunsch nach EU- Mitgliedschaft.
Zwar zeigte sich Merkel zu Erdogans Vorstoß für die Einrichtung türkischer Schulen gesprächsbereit. Die CDU-Vorsitzende bekräftigte aber, dass sich junge Türken integrieren müssten, um gleiche Chancen in Schule und Beruf zu haben.
Als größtes Problem für eine weitere Annäherung der Türkei an die EU bezeichnete Merkel den Streit um das geteilte Zypern, dessen Norden die Türkei besetzt hält. Die Beitrittsverhandlungen sollten für die Suche nach einer Lösung genutzt werden.
Die Kanzlerin hatte die Türkei bereits 2006 besucht. Vor ihrem jetzigen Besuch hatte Erdogan sie am Wochenende heftig kritisiert, weil sie seinen erneuten Vorstoß für türkische Schulen in Deutschland abgelehnt hatte: „Warum dieser Hass gegen die Türkei? Ich verstehe es nicht. Das hätte ich von der Bundeskanzlerin Merkel nicht erwartet. Ist die Türkei ein Prügelknabe?“, hatte er geschimpft.
Merkel machte nun verbal einen Schritt auf ihn zu: „Wenn Deutschland Auslandsschulen in anderen Ländern hat, zum Beispiel in der Türkei, aber überall auf der Welt, dann kann es natürlich auch die Türkei sein, die Schulen in Deutschland hat“, sagte Merkel. „Was nicht sein darf ist, dass es eine Ausrede ist für in Deutschland lebende Türken, nicht die deutsche Sprache zu lernen. Das ist der einzige Punkt.“ Es gehe nicht um Assimilation oder die Aufgabe der eigenen Kultur. Ziel sei Integration in das gesellschaftliche Leben.
Über den Zypern-Konflikt sagte die Kanzlerin nach dem Gespräch mit Erdogan: „Es ist so, dass das wichtigste aus meiner Sicht zu lösende Problem das Ankara-Protokoll ist. Denn hier ist im Augenblick ja eine Situation, wo die Zypern-Frage nicht geklärt ist.“ Im Ankara-Protokoll von 2005 wurde die Zollunion zwischen der EU und der Türkei auch auf die neuen EU-Mitglieder ausgeweitet - darunter Zypern. Die Türkei hat aber entgegen den EU-Vorschriften bis heute nicht seine Flug- und Schiffshäfen für die Republik Zypern geöffnet.
Merkel sagte: „Die Beitrittsverhandlungen setzen wir fort (...). Und unbeschadet der Auffassungen über eine Vollmitgliedschaft, die zwischen uns durchaus noch divergieren, ist es trotzdem so, dass wir diesen Weg jetzt fortsetzen wollen. Und ich glaube, wir werden auch die Zeit, die wir noch haben, noch einmal benutzen, um über die Zypern-Frage zu reden um hier zu einer Lösung auch zu kommen.“
Erdogan lehnte Sanktionen gegen den Iran wegen dessen Atomprogramm entschieden ab. „Wir glauben, dass Sanktionen keine richtige Lösung sind“, sagte er. Die wichtigste Lösungsmöglichkeit sei die Diplomatie. Er verwies auf die besonders engen Beziehungen zum Nachbarland Iran, mit dem die Türkei eine jahrhundertelange Geschichte und Freundschaft verbinde.
Der Frage nach dem türkischen Verhalten bei einer Abstimmung des UN-Sicherheitsrats über Sanktionen gegen den Iran wich Erdogan aus. Wenn dort im April über Maßnahmen beraten werde, werde die Türkei das bewerten und sich entsprechend entscheiden. Merkel wiederholte ihre Position, dass Deutschland für Sanktionen eintreten werde, „wenn der Iran nicht in der nächsten Zeit - und das Zeitfenster verkürzt sich - auch deutliche Schritte macht“.
Grünen-Bundestagsfraktionschef Jürgen Trittin forderte Merkel auf, die Türkei auf Augenhöhe zu behandeln. „Die Türkei ist auf Europa angewiesen, und wir sind als Deutsche und Europäer genauso auf die Türkei angewiesen“, sagte Trittin der Nachrichtenagentur dpa. Die Türkei spiele nicht nur beim Iran-Konflikt eine Schlüsselrolle, sondern auch im Aussöhnungsprozess zwischen Israel und Syrien.
„Eine Politik der echten Partnerschaft und nicht der arroganten Herablassung ist das Gebot der Stunde.“ Und: „Was sich in der Türkei in den letzten Jahrzehnten zum Besseren entwickelt hat, ist sehr eng verknüpft mit der Heranführung der Türkei an Europa und den Vorgaben in den Beitrittsverhandlungen.“ Merkels Position, der Türkei nur eine „privilegierte Partnerschaft“ mit der EU anzubieten, sei „unvereinbar mit den Interessen Deutschlands“.
Die Türkische Gemeinde in Deutschland verlangte von beiden Regierungschefs eine sachlichere Debatte über Integration. Türkische Schulen würden die Bildungsproblematik türkischer Kinder in Deutschland nicht lösen und seien keine Alternative zum deutschen Schulsystem, erklärte der Vorsitzende Kenan Kolat. Merkels Forderung wiederum, Türken sollten Deutsch lernen, sei selbstverständlich und werde von keiner türkischen Organisation abgelehnt.