Der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse, Norbert Klusen, unterstützt die Pläne des Gesundheitsministers.
Hamburg/Berlin. Die Kritik zum Start der Regierungskommission für das Gesundheitssystem hätte lauter nicht sein können. Nach den Attacken von Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) auf Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) demonstrierten auch Aktivisten des Kampagnennetzwerkes Campact mit einem gigantischen Aquarium in Berlin gegen die Kopfpauschale.
Doch Rösler bekam ungewöhnliche Hilfe. Als erster Chef einer großen gesetzlichen Krankenkasse hat sich der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse (TK), Norbert Klusen, hinter Rösler (FDP) und seine Kopfpauschale gestellt. Klusen sagte dem Abendblatt: "Philipp Rösler hat recht, wenn er sagt: Der Sozialausgleich kann genauso gut über das Steuersystem erfolgen." Die Attacken aus der CSU gegen die Reformpläne von Schwarz-Gelb hält Klusen für unberechtigt: "Ich setze darauf, dass man in dieser Regierung aufhört zu streiten."
Nach Berechnungen der Techniker Krankenkasse kostet ein kompletter Sozialausgleich über das Steuersystem bei einer Prämie von 140 Euro, die niemanden schlechter stellt, maximal 23 Milliarden Euro. Klusen sagte: "Als Faustformel gilt: Ein Euro Prämie kostet für den Sozialausgleich 167 Millionen Euro. Wenn man also mit 60 Euro Prämie anfängt, bräuchte man etwa zehn Milliarden Euro an Steuergeldern." Technisch sei es für die Kassen keine Schwierigkeit, eine Pauschale zu erheben.
Außerdem verteidigte Klusen die Pläne für eine Kopfpauschale gegen die Kritik von Opposition und Gewerkschaften, Niedrigverdiener würden zu Bittstellern gemacht. "Jeder hat eine Steueridentifikations- nummer in Deutschland. Diese Bittsteller-Diskussion halte ich für aberwitzig. Millionen Menschen kriegen Kindergeld, Millionen kriegen Wohngeld - natürlich müssen sie dafür einen Antrag stellen. Aber sie sind doch keine Bittsteller. Sie haben einen Anspruch darauf. Es ist nichts Schlimmes, ein Formular zu unterschreiben."
Die Gesundheitskommission will laut Rösler bis zur Sommerpause erste Ergebnisse vorlegen: "Wir wollen, dass die exzellente medizinische Versorgung auch morgen noch zur Verfügung stehen kann." Einkommensunabhängige Beiträge, die sogenannten Kopfpauschalen, werde es aber nur geben, wenn der Sozialausgleich vernünftig, bezahlbar und unbürokratisch gestaltet werden könne.
Rösler widersprach Berichten, er wolle den 2005 eingeführten Zusatzbeitrag der Arbeitnehmer in Höhe von 0,9 Prozentpunkten durch eine Pauschale in Höhe von 29 Euro ersetzen. Das sei nicht sein Modell.
Der bayerische Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) sagte dem Bayerischen Rundfunk: "Wir lehnen ein Finanzierungsmodell ab, das unsolidarisch ist. Und das ist die Form einer Kopfpauschale, ob groß oder klein."
DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach erklärte, die Einführung einer Kopfpauschale würde dazu führen, dass die 70 Millionen Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung alle Kostensteigerungen im Gesundheitswesen oder krisenbedingte Defizite allein tragen müssten. Allein im nächsten Jahr werde ein Defizit der GKV von elf Milliarden Euro befürchtet. "Eine solch ungerechte Lastenverschiebung wäre reine Abzocke der Bürger", sagte Buntenbach.
Doch das Defizit wird sogar noch höher. In der ersten Sitzung der Regierungskommission habe der neue Präsident des Bundesversicherungsamts, Maximilian Gaßner, von einer Finanzlücke von bis zu 15 Milliarden Euro im Jahr 2011 gesprochen, sagte FDP-Fraktionsvize Ulrike Flach. Sie halte diese Berechnung für realistisch. Bislang war in Kassenberechnungen für 2011 ein Defizit von rund elf Milliarden Euro prognostiziert worden. Gaßner gehört neben dem Gesundheitssachverständigen Prof. Eberhard Wille (Mannheim) als zweiter Experte zur neuen Kommission, die sich zum zweiten Mal am 21. April treffen will.