Im verzweifelten Bemühen, die zerrütteten Staatsfinanzen wieder ins Lot zu bringen, erwägt die deutsche Regierung ernsthaft, sich mit einem Verbrecher, der die Daten klaute, auf ein Millionengeschäft einzulassen. Recht ist, was dem Staate nützt. Die Gier diktiert das Recht.

Durch den Ankauf des Diebesguts, so sehen es die meisten Schweizer, macht sich Deutschland zum Hehler. Zudem schafft die Bundesrepublik Anreize für weitere Rechtsbrüche in der Schweiz. Sie stachelt immer neue Spitzel an, die für den Verrat ihrer Kunden mit Kopfgeldern aus Deutschland belohnt werden. Bisher beschränkte sich der Überwachungsstaat der Steuerschnüffler auf das eigene Territorium. Nun soll er über die Landesgrenzen hinaus exportiert werden.

Das Schweizer Bankkundengeheimnis geht auf die Zeit der deutschen Hyperinflation im letzten Jahrhundert zurück. Ein fahrlässig vom Zaun gebrochener, selbstmörderischer Weltkrieg brachte Deutschland an den Rand des wirtschaftlichen Untergangs. Gewaltige Vermögen verdampften. Zahlreiche Deutsche brachten ihr Eigentum aus Selbstschutz in die sichere Schweiz. Die Weimarer Republik sandte umgehend Spione aus, um die illegal parkierten Gelder zurückzuholen.

Erst in den Dreißigerjahren, als sich eine neue deutsche Führung mit zunehmender Militanz gegen Kapitalflüchtlinge wandte, verabschiedeten die Schweizer ein Gesetz, das die Sicherung der finanziellen Privatsphäre zementierte. Es sollte die Bankangestellten abschrecken, vertrauliche Informationen an Hitlers Denunzianten zu verkaufen. Kapitalflucht und Migration sind immer ein Misstrauensvotum gegen den Staat. Und ein Symptom der Unzufriedenheit. Es mag ja sein, dass es unter den Steuerhinterziehern handfeste Ganoven gibt. Vor allem aber ist Kapitalflucht eine Methode, sich gegen einen allzu gefräßigen Staat zur Wehr zu setzen. Und wenn der Staat durch Zwangsmethoden den Kapitalfluss hemmt, wandern früher oder später die Menschen aus. Der Versuch, die Leute daran zu hindern, mit den Füßen abzustimmen und wegzugehen, führte zur Installierung der Berliner Mauer. Es sollte die heutige Regierung beunruhigen, dass neben den deutschen Geldern immer mehr deutsche Menschen in die Schweiz abwandern. Knapp 30 000 waren es abermals im letzten Jahr.

Mehr Zwang, mehr Kontrolle, mehr Bespitzelung, mehr Datenklau schaffen keine Steuergerechtigkeit. Mehr Zwang vertreibt mehr Kapital und noch mehr Bürger. Steuergerechtigkeit lässt sich messen: Sie ist dort am größten, wo die Kapitalflucht am geringsten ist. Kapitalflucht ist dort am geringsten, wo die Leute nicht den Eindruck haben, vom Staat enteignet oder über den Tisch gezogen zu werden.

Und die Schweiz? Im Ernstfall sollte der Bundesrat die deutsche Regierung verklagen wegen Anstiftung zu Industriespionage und illegalen Handlungen. Alle deutschen Minister, welche die Schweizer Grenze überschreiten, wären zu verhaften.

Der Text erschien auch auf stern.de

Roger Köppel ist Schweizer, Verleger und Chefredakteur der Zürcher "Weltwoche". Davor war er Chefredakteur der "Welt".