Der Ministerpräsident soll seine Forderungen nach einer Arbeitspflicht nicht wiederholen. Karlsruhe urteilt am 9. Februar über Bezüge von Kindern.
Berlin. Die Debatte um die Hartz-IV-Bezüge eskaliert. Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) erhielt am Freitag eine Bombendrohung. Wie ein Regierungssprecher bestätigte, sei eine Bombenattrappe an die Wiesbadener Staatskanzlei geschickt worden. Bei mehreren Medien ging ein Bekennerschreiben der Gruppe "Morgenlicht" ein. Darin hieß es, die Rohrbombenattrappe sei ein Protest gegen Kochs Forderung nach einer Arbeitspflicht für Hartz-IV-Empfänger. Die Absender warnten den Ministerpräsidenten, sollte er seine Äußerungen wiederholen, werde eine scharfe Bombe "im Umfeld ihrer Besitztümer" gezündet. Der hessische Staatsschutz nahm Ermittlungen auf. Wie es hieß, werde der Vorgang absolut ernst genommen. Die bis dahin unbekannte Bewegung "Morgenlicht" hat sich im Herbst bereits zu zwei Brandanschlägen auf Frankfurter Banken bekannt.
Unterdessen teilte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mit, dass es sein mit Spannung erwartetes Urteil über die Hartz-IV-Sätze am 9. Februar verkünden wird. Dabei geht es insbesondere um die Höhe der Bezüge von Kindern, die zurzeit ohne eigene Bedarfsberechnung prozentual von denen der Erwachsenen abgeleitet werden. Es ist wahrscheinlich, dass Karlsruhe hier eine Änderung verlangen wird. Unionsfraktionschef Volker Kauder nahm das Urteil in einem Interview der "Rheinischen Post" indirekt vorweg: "Auf die spezifischen Lebenslagen von Kindern geben wir nicht mehr die richtigen Antworten", sagte er der in Düsseldorf erscheinenden Zeitung. "In der alten Sozialhilfe hatten wir die Hilfe zum Lebensunterhalt als Regelleistungen und daneben Hilfe in besonderen Lebenslagen. Heute wird stattdessen ein Einheitsbetrag gezahlt", so der CDU-Politiker. Als Beispiel nannte Kauder Kosten für Klassenfahrten oder für das Mittagessen in der Schule. In den heutigen Bedarfssätzen seien bereits einmalige Ausgaben für besondere Feiern abgedeckt. Die betroffenen Familien seien aber vielfach nicht in der Lage, das Geld dafür auch wirklich zurückzulegen, sagte Kauder.
Roland Koch hatte am Tag zuvor seine umstrittenen Vorschläge zu einer verschärften Arbeitspflicht für Hartz-IV-Empfänger noch einmal bekräftigt. Zwar verbiete sich eine Pauschalkritik an den Hilfeempfängern, schrieb Koch in einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". "Aber es ist völlig unbestritten, dass eine deutlich sichtbare Minderheit das bestehende System ausnutzt." Koch forderte, die Regelungen für Zusatzverdienste zu ändern, damit sich das Arbeiten lohne. "Wir müssen das Anreizsystem endlich vom Kopf auf die Füße stellen." Wenn Alleinerziehende keine Betreuung für ihre Kinder hätten, sollten anfangs die Arbeitsagenturen diese Betreuung bezahlen. Fünf Jahre nach dem Start der Hartz-IV-Reform sei es Zeit, auf einzelne Missstände hinzuweisen, betonte Koch.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisierte hingegen die Berichterstattung der "Bild"-Zeitung über Hartz-IV-Empfänger scharf. Unter der Schlagzeile "Macht Hartz IV faul?" hatte "Bild" vorgerechnet, dass viele Teilzeitbeschäftigte und Geringverdiener netto weniger Einkommen hätten als Hartz-IV-Empfänger. In der Zeitung wird die Frage aufgeworfen, ob die Langzeitarbeitslosen "wirklich alle nicht arbeiten können". Die Zeitung betreibe "Stimmungshetze mit falschen Fakten", erklärte der Verband. Das Blatt wies die Vorwürfe zurück. Der Bericht sei "sachlich korrekt". Er basiere auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit und auf Berechnungen des Bunds der Steuerzahler. Der Bericht verwies zudem darauf, dass die mögliche Erhöhung der Regelsätze für Kinder aus Hartz-IV-Familien den Abstand der Hartz-IV-Empfänger zur regulären Vollzeitarbeit weiter verringern werde.
Unterdessen distanzierte sich Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer von Hessens Regierungschef. Es gebe viele Hartz-IV-Bezieher, die Hilfe benötigen, sagte die CSU-Politikerin. "So mit ihnen umzugehen wie Koch ist aus meiner Sicht unanständig." Haderthauer warnte: "Wenn wir selbst diesen Stil pflegen, müssen wir uns nicht wundern, wenn wir das Niveau der Diskussion verderben", meinte sie. Es gebe Hartz-IV-Bezieher, die sich in ihrer Situation gut einrichteten. "Die Regelungen, mit ihnen umzugehen, haben wir. Im Vollzug hapert es da und dort."