Bundeskanzlerin Angela Merkel soll bereits mit einigen Kandidaten verhandeln. Dabei sind überraschende Namen.
Berlin. Es sollte ein Christdemokrat sein, am besten aus Hessen, mit Erfahrungen in Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik. Beinahe fieberhaft such Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach einem Kandidaten oder einer Kandidatin für den zurückgetretenen Arbeitsminister Franz Josef Jung (CDU).
Nach Angaben aus Koalitionskreisen führt Merkel bereits Gespräche. Möglicherweise entscheide sich die Personalie noch im Laufe des Freitags, erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters. In Frage kommen Hessens CDU-Fraktionschef Christean Wagner (66) und Innenminister Volker Bouffier (57). Genannt wurde aber auch die hessische Umweltministerin Silke Lautenschläger (41), die bereits als Landessozialministerin Erfahrungen mit dem Arbeitsressort gesammelt hat. Lautenschläger hat allerdings als Erste dementieren lassen, sie wechsle nach Berlin. Chancen habe zudem der langjährige hessische Wirtschaftsminister Alois Rhiel (59), hieß es.
Die SPD-Bundestagsfraktion fordert auch nach dem Rücktritt von Jung (CDU) einen Untersuchungsausschuss im Zusammenhang mit der Bombardierung der Tanklastzüge in Afghanistan. „Der Rücktritt ist folgerichtig, aber er klärt noch keine der offenen Fragen“, sagte der Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier dem Hamburger Abendblatt (Sonnabend-Ausgabe).
„Hier geht es um mehr als nur das persönliche Fehlverhalten einzelner Personen, hier geht es um eine grundsätzliche Frage der parlamentarischen Demokratie. Die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes haben ein Anrecht auf Klärung und deswegen ist die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses weiterhin unbedingt notwendig.“
Steinmeier betonte: „Diese Affäre hat eine grundsätzliche politische Dimension für unsere Demokratie. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Es ist die Lehre aus unserer Geschichte, dass in unserer Verfassung steht: kein Kanzler, kein Minister, kein General kann allein darüber entscheiden, was unsere Bundeswehr tut. Die letzte Entscheidung liegt bei den gewählten Volksvertretern. Deswegen ist es ein grundlegendes Recht des Parlaments, vollständig und wahrheitsgemäß informiert zu werden. Dieses Recht ist offenbar mit Füßen getreten worden.“
CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt hat die Rücktrittsentscheidung von Bundesarbeitsminister Jung gewürdigt. „Ich habe Franz Josef Jung persönlich immer als integren und aufrichtigen Menschen erlebt“, sagte Dobrindt dem Abendblatt. „Dass er mit seinem Rücktritt politische Verantwortung übernimmt, ist zu akzeptieren und verdient unseren Respekt.“
Jung hatte in seinem kurzen Auftritt erklärt, er übernehme die volle Verantwortung für die Informationspannen im Zusamenhang mit dem Luftangriff in Afghanistan im September und stelle sein Amt zur Verfügung. „Wie Sie wissen, war und ist es mir ein Herzensanliegen, unsere Soldaten in ihren Einsätzen für den Frieden und die Freiheit unseres Landes in Schutz zu nehmen“, erklärte Jung.
Damit ist nur vier Wochen nach der Regierungsbildung ein Posten neu zu besetzen im schwarz-gelben Kabinett. In der Zeit der Großen Koalition hatten insgesamt drei Minister ihr Amt zurückgegeben: Franz Müntefering (SPD) als Arbeitsminister, um seine todkranke Frau zu pflegen, Horst Seehofer (CSU) als Verbraucherschutzminister, um bayerischer Ministerpräsident zu werden, und Michael Glos (CSU) als Wirtschaftsminister. Ihm folgte Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der seit vier Wochen Verteidigungsminister und Nachfolger von Jung ist.
Jung dürfte mit 30 Tagen im Amt Rekordhalter sein, was die Zeit von der Vereidigung bis zum Rücktritt anbelangt. Bisher war dies Lothar de Maizière (CDU) als Minister für besondere Aufgaben. Er amtierte 77 Tage vom 3. Oktober bis zum 19. Dezember 1990.
Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hat sich betroffen über Jungs Rücktritt geäußert. „Die Ereignisse der letzten 36 Stunden und insbesondere der Amtsverzicht meines Freundes Franz Josef Jung gehen mir auch persönlich sehr nahe“, erklärte der hessische CDU-Chef. Jung, der ebenfalls der hessischen CDU angehört und als enger Vertrauter Kochs gilt, habe sich zu einem „außerordentlich respektablen Schritt“ entschieden.
Der neue Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) erklärte, insgesamt neun Berichte zum Luftangriff auf die zwei Tanklaster in Afghanistan seien ihm vorenthalten worden. Er versicherte, er werde nach Durchsicht der Berichte zu einer Neubewertung seiner Einschätzung des Bombardements vom 4. September kommen, bat sich aber Zeit aus. Unmittelbar nach Amtsantritt und nachdem er von dem Isaf-Bericht über den Luftschlag erfahren habe, bei dem laut Nato bis zu 142 Menschen getötet wurden, hatte Guttenberg ihn als „militärisch angemessen“ bezeichnet.
Er versicherte erneut, größtmögliche Transparenz bei der Aufklärung des Falles herstellen zu wollen. Nötigenfalls werde er die Geheimhaltung herabstufen, damit das Parlament die Berichte zur Kenntnis nehmen und den Vorgang bewerten könne.
Der ehemalige Bundeskanzler und Verteidigungsminister Helmut Schmidt (SPD) hat die Entlassung von Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert als verfrüht bezeichnet. „Das war ein bisschen sehr schnell. Das wird sich noch herausstellen“, sagte Schmidt bei einem Wirtschaftsforum der „Zeit“. (HA/AP/dpa)