Er ist ein Dichter und Denker. Die Belgier wollen Premierminister Herman Van Rompuy gar nicht ziehen lassen.
Brüssel. Belgiens Premierminister Herman Van Rompuy (62) ist anders. Auf seiner privaten Internetseite pflegt er die Rubrik „Das Gedicht der Woche“. Es listet auf, welche Bücher er gerade gelesen hat und welche man unbedingt lesen sollte. Er schreibt Gedichte in niederländischer Sprache, Dreizeiler nach dem strengen japanischen Haiku-Vorbild.
Nach einem Treffen mit seinem spanischen und ungarischen Kollegen zur Ausrufung der sogenannten Trio-Ratspräsidentschaft der EU schrieb er sogleich: „Drei Wellen rollen / gemeinsam in den Hafen / das Trio ist zu Hause.“
Der flämische Christdemokrat Van Rompuy ist erst seit einem Jahr Regierungschef. Er gilt als jemand, der unter schwierigsten Bedingungen Kompromisse aushandeln und Konsens erreichen kann. Wie geschaffen dafür, das Auseinanderbrechen des kleinen Königreiches unter der Last des erbitterten Streits zwischen der Mehrheit der Niederländisch sprechenden Flamen und der Minderheit der Französisch sprechenden Wallonen doch noch zu verhindern.
Als in Belgien das Gerücht waberte, Van Rompuy solle EU-Ratspräsident werden, führte das zu ängstlichen Debatten über das bevorstehende Ende Belgiens. Schließlich sei der Mann unersetzlich.
Van Rompuy ist ein Mann der leisen Töne. Klein, asketisch, drahtig und mit ganz hoher Denkerstirn kommt er daher. Er hat ein altsprachliches Gymnasium besucht, Philosophie und Betriebswirtschaft studiert. 1972 begann er seine berufliche Laufbahn bei der Nationalbank. Drei Jahre später holte ihn Premierminister Leo Tindemans in sein Kabinett. Karriere machte er nicht, weil er vorankommen wollte, sondern weil andere ihn riefen. Staatssekretär im Finanzministerium zunächst, dann bis 1999 sechs Jahre lang Budgetminister, später Parlamentspräsident.
Am auffälligsten ist Van Rompuys Unauffälligkeit. Er ist jemand, der einen Raum betreten kann, ohne dass es jemand merkt – der aber umso eindringlicher und überzeugender im direkten Gespräch ohne Scheinwerferlicht wirkt. Van Rompuy konsolidiert und integriert, er ist nicht der telegene Selbstdarsteller, sucht nicht den großen Auftritt.
Im Gegenteil: Oft nimmt er sich selbst zurück. „Wir sind nicht ewig und wir sind nicht unersetzlich. Für manche ist das ein großes Problem. Nicht für mich“, sagt er. Oder:„Ich lächle, wenn man über „kleine Machtspielchen“ redet. Noch nie hat es in der Politik so wenig Macht wie heute gegeben.“ „Ich bin weder Fundamentalist noch unflexibel“, sagt Van Rompuy. „Ich bin vor allem Pragmatiker.“
Parteimitglied der Christdemokraten wurde er mit 16 Jahren. „Ich habe immer Politik gemacht und kann mir gar nichts anderes vorstellen. Ich glaube, dass man die Politik einfach entdeckt und sie dann zur zweiten Natur wird.“ Als Politiker sei er ein anderer Mensch als der Privatmann. „Man muss die unterschiedlichen Facetten seiner Persönlichkeit organisieren können. Das ist nicht leicht, wird aber mit zunehmendem Alter leichter.“
Die Philosophie des 1274 gestorbenen Dominikaners Thomas von Aquin beschäftigt ihn seit Jahrzehnten. Wenn Herman van Rompuy Bücher schreibt, dann geht es deshalb weder um Belgien noch um die Europäische Union. Sie haben Titel wie „Abende ohne Politik“, „Erneuerung in Kopf und Herz“ oder „Das Christentum, ein moderner Gedanke“. „Wenn ich schreibe oder lese, dann gehe ich ganz darin auf“, sagt Van Rompuy. „Ich bin dann nicht mehr in der Politik. Das ist etwas völlig anderes.“ (dpa)