Der Konfliktforscher Gerhard Schwarz über das Schwinden der Zivilcourage.
Droht die Zivilcourage verloren zu gehen?
Gerhard Schwarz:
So schlimm wie in den USA ist es noch lange nicht. In Deutschland ist die Mehrheit bereit zu helfen. Die Anonymisierung der Gesellschaft bedroht diese Bereitschaft stärker, als es einzelne Ereignisse wie in München tun.
Warum?
Schwarz:
Die Humanisierung und Zivilisierung der Gesellschaft hat dazu geführt, dass wir mit Gewalt in unserer unmittelbaren Umgebung überhaupt nicht mehr umgehen können. Als das Gewaltmonopol noch nicht bei Staat und Polizei lag, war es für die Bürger selbstverständlich einzugreifen. Das Tragen von Waffen, wie es über viele Jahrhunderte üblich war, beförderte diese Haltung. Es ist eine Errungenschaft der Aufklärung, dass wir heute Institutionen haben, die uns beschützen.
Haben wir also verlernt, Zivilcourage zu zeigen?
Schwarz:
Ich gehe weiter. Von den Bürgern wird etwas eingefordert, was diese nie gelernt haben. Zivilcourage muss gelehrt werden. Am besten schon in der Schule. Es gibt in den meisten Schulen die Pflicht, an einem Erste-Hilfe-Kursus teilzunehmen. Warum nicht auch an einem Kursus zur Zivilcourage?
Was muss vermittelt werden?
Schwarz:
Zwei Dinge sind zentral: Kommunikation und Gruppenbildung. Wenn die Täter noch nicht auf ihre Opfer einschlagen, hat man gute Chancen, sie durch Fragen aus einer räumlichen Distanz von ihrem Tun abzubringen. Man sollte sie fragen, warum sie das tun.
Was meinen Sie mit Gruppenbildung?
Schwarz:
Beim Eingreifen sollte man nie allein bleiben. Bevor man die Angreifer anspricht, sollte man versuchen, andere Passanten hinzuzuziehen. Das Kollektiv ist in der Regel in der Lage, die Konfliktparteien allein durch seine Präsenz zu trennen. Wer Gewalt mit Gewalt lösen will, hat schon verloren.