Bilanz der Großen Koalition: Die Wirtschaftskrise ließ das Ziel der Haushaltskonsolidierung in die Ferne rücken.
Berlin. Deutschlands Kampf gegen die Wirtschaftskrise: Die Nachricht, dass die deutsche Wirtschaft erstmals seit einem Jahr wieder wächst, dass damit die schwerste Rezession der Bundesrepublik seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu Ende sein könnte - sie kommt für die Wahlkämpfer der Großen Koalition wie gerufen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) widerstanden zwar der Versuchung, dieses überraschende Wachstumsplus von 0,3 Prozent im zweiten Quartal als Kehrtwende und als Konsequenz ihrer Krisenbekämpfungsmaßnahmen anzupreisen. Dafür sind beide zu vorsichtig geworden, dafür wissen beide zu genau, wie wenig berechenbar die Entwicklung auf den Finanzmärkten ist, die die Krise vor knapp einem Jahr ausgelöst hat.
Aber die beruhigende Meldung vom Stopp der Rezession macht den Wahlkampf für alle Vertreter der beiden großen Parteien leichter. Schließlich wurden unter ihrer Verantwortung dreistellige Milliardenbeiträge zur Rettung des Systems bereitgestellt. Ausgaben, für die sie sich vor dem Souverän rechtfertigen müssen. Denn der Bankenrettungsschirm, der Unternehmensrettungsschirm, die Konjunkturpakete I und II haben dazu geführt, dass gigantische Budgetdefizite angehäuft wurden. Und das einst ausgerufene Ziel der Haushaltskonsolidierung nun Makulatur ist. Dennoch waren die staatlichen Interventionen unvermeidlich, um Deutschland vor einer wirtschaftlichen Katastrophe zu bewahren. Man muss der Bundesregierung bescheinigen, dass sie mit den zahlreichen, oft in Windeseile in Gesetzesform gegossenen Maßnahmen Erfolge erzielt hat.
Die von Merkel und Steinbrück kurzerhand ausgesprochene Garantie für alle Sparkonten, die Förderung der Kurzarbeit und die Bankenstützung haben jedenfalls einen Beitrag dazu geleistet, dass Europas größte Volkswirtschaft die Rezession offenbar früher als andere Länder beendet. Der Hamburger Universitätsprofessor Karl-Werner Hansmann ist zwar im Hinblick auf eine nachhaltige Erholung der Wirtschaft noch skeptisch. Aber auch er sieht Erfolge des staatlichen Handelns. Zwar sei die aktuelle Entwicklung auch auf den sogar in der Krise starken privaten Konsum zurückzuführen. "Wir haben mehr konsumiert, als wir eigentlich durften. Die berühmte ,German Angst' hat sich in dieser Rezession nicht gezeigt, vielleicht auch wegen der recht üppigen Lohnerhöhungen, die zuvor beschlossen wurden." Und der sich belebende Export spiele auch eine wichtige Rolle.
Aber: Von Bedeutung seien ohne Frage auch die öffentlichen Aufträge im Rahmen der Konjunkturprogramme: "Das Geld, das der Bund für Infrastrukturmaßnahmen bereitgestellt hat, wird zwar zu langsam von den Ländern abgerufen, zeigt jedoch schon Wirkung." Einen zentralen Anker sieht Hansmann in der vom Bund geförderten Kurzarbeit: "Dieses Instrument hat bisher sehr gut getragen. Zwar hatten manche prophezeit, dass die Arbeitslosenzahlen nach Auslaufen der Förderung dramatisch steigen. Aber wenn die Rezession sich jetzt in einen langsamen Aufschwung verwandeln sollte, dann könnte es so kommen, dass viele Unternehmen auf Entlassungen eher verzichten."
Hansmanns Fazit: "Die Große Koalition war viel besser als ihr Ruf. Sie hat mustergültig und schnell Gesetze auf den Weg gebracht. Steinbrück, Merkel und der neue Wirtschaftsminister zu Guttenberg haben die Risiken schnell erkannt und Handlungsfähigkeit demonstriert." Auch Michael Bräuninger, Leiter des Kompetenzbereichs Wirtschaftliche Trends am Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI), hat Lob für die Regierung parat. "Die Kritik aus den USA, Deutschland engagiere sich zu wenig, war nicht gerechtfertigt", sagte er dem Abendblatt. "Der deutsche Beitrag war groß und angemessen." Auch die Abwrackprämie habe zur Stabilisierung beigetragen. "Aber wenn sie ausläuft, ist mit einem negativen Gegenschlag Anfang nächsten Jahres zu rechnen. Wie groß dieser ausfällt, ob Deutschland gar noch einmal ins Minus rutscht, hängt davon ab, wie schnell die Weltwirtschaft insgesamt wieder in Gang kommt."