Nato zählt bis zu 78 Tote. Grüne nennen Verteidigungsminister “Sicherheitsrisiko“. Dieser schließt Rücktritt aus.
Hamburg/Berlin. Zwei Tage hat Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) an der Version festgehalten, bei dem von der Bundeswehr angeforderten Nato-Angriff auf Taliban-Kämpfer in Afghanistan seien keine Zivilisten ums Leben gekommen. Gestern räumte er erstmals ein, dass es bei dem Angriff durch US-Kampfjets am Kundus-Fluss doch Tote unter der Zivilbevölkerung gegeben haben könnte: "Ich habe gesagt, dass ich zivile Opfer nicht ausschließen kann." Jung ist wegen seiner Informationspolitik bezüglich des Bombenangriffs stark in die Kritik geraten; einen Rücktritt deswegen schloss der Minister gestern aber aus. "Das sehe ich nicht", sagte Jung. Er hatte zuvor behauptet, bei der Attacke auf zwei von den Taliban gekaperte Tanklastzüge seien "nach bisherigen Kenntnissen ausschließlich terroristische Taliban" getötet worden. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits Augenzeugenberichte über zivile Opfer. Der Parteichef der Grünen, Cem Özdemir, sagte in Berlin, Jung sei zum "Sicherheitsrisiko auch für unsere Soldaten geworden".
Ein vorläufiger Bericht der Nato kam indessen zu dem Ergebnis, dass bei dem von der Bundeswehr angeordneten Luftschlag 70 bis 78 Menschen ums Leben gekommen sind. Mit "sehr hoher Wahrscheinlichkeit" seien unter den Getöteten zahlreiche Zivilisten. Afghanische Angaben dazu schwanken noch stark. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will heute gegen 11 Uhr eine Regierungserklärung zu den Vorgängen abgeben. Nach ihr wollte Außenminister Frank-Walter Steinmeier dazu Stellung nehmen. Dessen designierter Innenminister im Kompetenzteam, der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, sagte dem Abendblatt: "Wir sind in Afghanistan in einer ganz kritischen Phase. Und jetzt rächt es sich, dass der Verteidigungsminister, aber noch mehr die Bundeskanzlerin in den letzten vier Jahren zu wenig getan haben, um die Bedeutung dieses Einsatzes für Deutschland und die Weltgemeinschaft zu erklären."