Während deutsche Soldaten in Afghanistan ihr Leben riskieren, streitet die Politik hierzulande über eine angemesse Strafverfolgung.
Berlin. Angesicht der Debatte um den Luftangriff auf zwei von Taliban entführte Tanklastzüge in Afghanistan will die schwarz-gelbe Bundesregierung unverzüglich mehr Rechtssicherheit für deutsche Soldaten im Auslandseinsatz schaffen. Es sei geplant, in Potsdam rasch eine zentrale Gerichtsbarkeit für die Bundeswehrsoldaten aufzubauen, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Jörg van Essen. „Das Verfahren wegen des Luftschlags belegt, dass die deutsche Justiz schlecht aufgestellt ist.“ Unterstützt wird das Vorhaben vom Verteidigungsministerium, zumal eine entsprechende Forderungauch im Koalitionsvertrag von Union und FDP genannt wird. „Es ist in unserem Sinne, Fachkompetenz an einem Ort zu bündeln“, sagte ein Sprecher der Verteidigungsminsiteriums am Sonntag.
Die SPD warnte unterdessen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) nach dessen Äußerungen zum Luftangriff bei Kundus vor einem Strategiewechsel in Afghanistan. „Wenn er glaubt, in Afghanistan ist der Abwurf von schweren Bomben auf große Menschenmassen zu rechtfertigen, dann kann die Sozialdemokratie da nicht mehr mitgehen“, sagte der SPD-Wehrexperte Rainer Arnold dem „Tagesspiegel“. „Das ist nicht gerechtfertigt und nicht angemessen.“
Guttenberg hatte den vom deutschen Oberst Georg Klein am 4. September angeordneten Luftschlag mit bis zu 142 Toten als „militärisch angemessen“ beurteilt. Der 37-Jährige forderte aber für ähnliche Situationen mehr Rechtssicherheit für die Soldaten. Besonders die Verfahren bei so komplexen Lagen seien nicht immer eindeutig, sagte der Minister der „Süddeutschen Zeitung“. „Hier muss zwingend nachgeschärft werden, dass solche Zweifel nicht entstehen, gerade wenn Entscheidungen unter Zeitdruck fallen müssen.“ Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe beschäftigt sich nun mit den möglichen strafrechtlichen Folgen des Angriffs. Die oberste deutsche Anklagebehörde muss klären, ob der von US-Kampfjets ausgeführte Angriff auf von Taliban gekaperte Tanklaster im Sinne des Völkerstrafrechts zulässig war. Die Bundeswehr hatte die Anordnung damit gerechtfertigt, dass die Taliban mit den Tanklastern einen Anschlag auf das deutsche Lager in Kundus verüben könnten.
Unabhängig von diesem bisher folgenschwersten Fall und der Frage, ob es sich um eine Kriegshandlung handelte, soll die von Union und FDP geplante Gerichtsbarkeit künftig vor allem die Fälle behandeln, die unter das deutsche Strafrecht fallen. „Die heutige Rechtslage ist eine Zumutung für die Soldaten, die in Afghanistan unter Feuer stehen“, sagte der Unions-Sicherheitsexperte Hans-Peter Uhl (CSU) der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Uhl forderte zugleich im „Spiegel“ von Guttenberg eine Strategie für einen raschen Bundeswehrabzug.
Nach den Worten von Ulrich Staudigl, Sprecher des Justizministeriums könnte eine zentrale Gerichtsbarkeit zu einer Beschleunigung der Verfahren beitragen. Bisher ist in der Regel die Staatsanwaltschaft zuständig, wo der Soldat den Wohnsitz hat. Die Juristen müssen sich dann erst in die komplexe Materie einarbeiten. „Dadurch kann es zu einer vermeidbaren Verzögerung bei den Ermittlungen kommen, die für den Betroffenen natürlich immer eine besondere Belastung darstellen“, sagte Staudigl.
Die Linke warnte vor einer Sonderbehandlung der Soldaten, sollte eine solche Zentralinstanz geschaffen werden. Guttenberg verteidigte am Wochenende erneut den für den Befehl zum Luftschlag verantwortlichen Oberst Klein. „Aus militärischer Sicht war seine Handlungsweise angemessen“, betonte Guttenberg. Es habe aber auch Fehler gegeben. „Die Verfahrensfehler haben keinen Einfluss auf die Frage, ob es mandats- und völkerrechtlich legitimiert war, was er gemacht hat. Nach unserer Einschätzung war das klar der Fall. Zivil- und strafrechtliche Fragen habe ich nicht zu beurteilen.“
Der Grünen-Wehrexperte Omri Nouripour kritisierte Guttenbergs Rechtfertigung. Es dürfe nicht zur Bagatelle erklärt werden, dass Regeln nicht eingehalten wurden. „Das würde ja bedeuten, dass die Regeln unwichtig sind“, sagte Nouripour. Ein Strafverfahren gegen Klein hätte für die Bundeswehr katastrophale Folgen, meinte Ex-Generalinspekteur Harald Kujat. Jeder Offizier werde sich überlegen, „ob er unter diesen Bedingungen noch Führungsverantwortung übernimmt“. Er kritisierte zudem den Umgang mit Klein: „Es wird im Detail diskutiert, von kompetenten und weniger kompetenten Leuten, was er richtig oder falsch gemacht hat.“