Die Große Koalition hat ihre Mehrheit im Bundesrat verloren. Kanzlerin will sich morgen mit Westerwelle treffen.

Berlin. Ja, sagt FDP-Parteivorsitzender Guido Westerwelle, er sei morgen mit der Kanzlerin verabredet, aber dieses Treffen sei bereits seit Längerem geplant, es hänge also nicht ursächlich mit dem Wahlergebnis in Hessen zusammen. Schöne Zufälle gibt es, möchte man sagen, denn Gesprächsbedarf ist seit Sonntagabend ja zweifellos vorhanden: Die Große Koalition hat ihre ohnehin schon knappe Mehrheit im Bundesrat verloren, und das Konjunkturpaket II kann faktisch nur noch verabschiedet werden, wenn wenigstens eins der fünf Bundesländer zustimmt, in denen die FDP mitregiert.

Dass die Liberalen jetzt "in allerbester Stimmung" sind, hätte Westerwelle gestern also nicht extra sagen müssen - das kann man ihm und seinen Parteifreunden in diesen Stunden auf den ersten Blick ansehen. Beflügelt von dem Wissen, dass man künftig auf sie hören muss, und berauscht von den in Hessen erzielten 16,2 Prozent, schaut man in der FDP jetzt schon auf die Bundestagswahl, die am 27. September stattfinden wird. "Hessen zeigt: Bürgerliche Mehrheiten mit klaren Verhältnissen in ganz Deutschland sind möglich", hat Guido Westerwelle gestern gesagt und dann aus diplomatischen Gründen schnell ein bisschen auf die Bremse getreten. Nach dem Motto, man werde sich bestimmt "nicht selbst überschätzen" und im Bundesrat garantiert eine "konstruktive Rolle" spielen. Weil man ja wisse, dass man dort keine Mehrheit habe, sondern nur "eine strategische Minderheitsposition".

Nachtigall, ick hör dir trapsen, pflegt der Berliner bei solchen Gelegenheiten zu sagen. Und während bei der SPD prompt die Alarmglocken schrillten - Parteichef Müntefering: "Das Konjunkturprogramm ist vernünftig und nicht nachzubessern!" -, mahnte Angela Merkel die FDP milde, ihre Position nicht zu überreizen. Denn das werde "bei der Bevölkerung nicht gut ankommen". Allerdings hatte die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende vorher selbst davon gesprochen, dass das bürgerliche Lager in Hessen eine klare Mehrheit erhalten habe und nun "gestärkt" in die nächsten Wahlen gehe.

Während die Unionsparteien also in der Zwickmühle sitzen, weil sie noch an die SPD gebunden sind, aber am liebsten sofort mit den Liberalen regieren würden, müssen die Liberalen aufpassen, dass sie nicht übers Ziel hinausschießen. Entsprechend vorsichtig haben sie gestern ihre Änderungswünsche zum Konjunkturpaket II geäußert. Man verlange "eine stärkere Entlastung der Bürger" und "weniger Schulden", hat Westerwelle gesagt. Und der hessische FDP-Landesvorsitzende Jörg-Uwe Hahn, der gestern nach Berlin geeilt war, um sich im Thomas-Dehler-Haus feiern zu lassen, sekundierte ihm mit den Worten, es sei völlig unverständlich, dass die Bundesregierung bereit sei, für Schrottautos 2500 Euro zu zahlen, für Kinder aber nur 100 Euro herausrücken wolle: "Das zeigt die Unausgewogenheit dieses Papiers." Hahn räumte zugleich ein, der Bundesrat sei "nicht der verlängerte Arm irgendeiner Partei".

Fakt ist, dass sich das FDP-Präsidium am Wochenende darauf geeinigt hat, dass die im Konjunkturpaket II beschlossenen Steuerentlastungen vorgezogen werden sollten und dass mit dem Abbau der Schulden nicht erst 2015 begonnen werden dürfe. Was die sogenannte Abwrackprämie anbetrifft, deren Zurücknahme FDP-Schatzmeister Hermann-Otto Solms gestern im Interview mit der "Leipziger Volkszeitung" gefordert hat, gab Professor Joachim Scheide, Konjunkturexperte des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, den Liberalen recht. Scheide gegenüber dem Abendblatt: "Die Prämie ist eine Subvention für die Automobilindustrie. Es hätte keinerlei negative Folgen, wenn sie gestoppt würde."

Die Bundesregierung blieb gestern stur. Die Abwrackprämie sei im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig, erklärte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm, und er rate sehr dazu, die Bürger in diesem Punkt nicht zu verunsichern! Änderungswünsche der FDP müssten grundsätzlich im parlamentarischen Verfahren verhandelt werden. Die Bundesregierung werde das Paket in der jetzigen Form am 28. Januar im Kabinett verabschieden. Man habe allerdings vor, so Wilhelm weiter, das Konjunkturpaket II nicht in einem einzigen, sondern in mehreren Gesetzen umzusetzen. Zustimmungspflichtig im Bundesrat seien die Finanzhilfen, die Investitionen des Bundes in den Kommunen und die geplanten Änderungen bei der Einkommenssteuer, der Kfz-Steuer und im Familienrecht. Wilhelm wird wissen, dass man ihm seitens der FDP sehr genau zugehört hat.