Bis Freitag muss sich Regierungschef Tsipras entscheiden, ob er auf die Bedingungen der Geldgeber für weitere Finanzhilfen eingeht.
Nicht zum ersten Mal steht Griechenland kurz vor einem Abschied vom Euro. Doch diesmal ist etwas anders als in den Jahren 2010 und 2012: Nach Auffassung von Experten könnte die Währungsunion einen Ausstieg Athens wohl ohne eine massive Erschütterung verkraften – und das macht ihn um so wahrscheinlicher.
Bis zum morgigen Freitag hat die griechische Regierung Zeit, eine Verlängerung des Ende Februar auslaufenden Kredithilfeprogramms der Euro-Partner und des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu beantragen. „Am 28., 24.00 Uhr, is over“, hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble am Dienstag gesagt. Lässt Griechenlands neuer Ministerpräsident Alexis Tsipras das Ultimatum verstreichen, dürfte dem Land sehr bald das Geld ausgehen.
Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zu dieser Situation.
Warum steht Griechenland vor dem Ausstieg aus der Währungsunion?
Alexis Tsipras, der Vorsitzende der sozialistischen Partei Syriza, hatte vor der Parlamentswahl am 25. Januar versprochen, er werde die Sparauflagen der internationalen Gläubiger nicht mehr akzeptieren. Nach seinem Wahlsieg hatte er Gespräche mit Vertretern der Euro-Gruppe und mit Spitzenpolitikern in mehreren Ländern der Währungsunion geführt, um für seine Position zu werben. Doch am Montag präsentierte Euro-Gruppenchef Jeroen Dijsselbloem dem griechischen Finanzminister Giannis Varoufakis ein Papier, das eine zunächst sechsmonatige Verlängerung des Hilfsprogramms vorsieht – unter der Voraussetzung, dass Athen sich unter anderem verpflichtet, „längst überfällige Reformen“ umzusetzen.
Zu den Bedingungen der bisherigen Kredithilfen gehört, dass Griechenland vom nächsten Jahr an einen so genannten Primärüberschuss im Staatshaushalt – also einen Überschuss ohne Berücksichtigung der Zinszahlungen – von 4,5 Prozent erwirtschaftet. Dies lehnt Tsipras rundweg ab. „Für ein Land, das einen Wirtschaftsabschwung vergleichbar mit der Großen Depression der 1930er-Jahre in den USA hinter sich hat, ist diese Zahl auch übertrieben“, sagt Holger Schmieding, Chefvolkswirt des Hamburger Privatbankhauses Berenberg. Mehrere Maßnahmen, die Tsipras bereits angekündigt hat, würden es wohl unmöglich machen, den geforderten Primärüberschuss zu erreichen. So will die griechische Regierung Tausende der zuvor im Zuge der Sparmaßnahmen entlassenen Staatsbedienstetewieder einstellen und außerdem das 13. Monatsgehalt für niedrig bezahlte Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes wiedereinführen.
Wie könnte ein Kompromiss zwischen der Euro-Gruppe und Athen aussehen?
„Man könnte den Griechen in der Frage des Primärüberschusses, der ohnehin nur mit größten Anstrengungen zu erreichen ist, entgegenkommen“, sagt Carsten Klude, Chefvolkswirt des Hamburger Bankhauses M.M. Warburg & CO: „Darüber hinaus wäre es möglich, die Rückzahlungsfristen von Schulden zu strecken.“ Tsipras hatte darauf hingewiesen, dass aus seiner Sicht nur etwa 30 Prozent der Bedingungen des internationalen Hilfsprogramms geändert werden müssten, damit dieses Programm für ihn akzeptabel wird.
Berichten zufolge lässt Athen zudem die Bereitschaft erkennen, die Umsetzung der teuren Wahlversprechen für die nächsten Monate einzufrieren. Auf diese Weise könnte man Zeit gewinnen, um ein neues Hilfsabkommen auszuhandeln – beide Seiten würden das Gesicht wahren.
Wie wahrscheinlich ist ein Ausstieg Griechenlands aus dem Euro?
Berenberg-Chefvolkswirt Schmieding ist überzeugt: „Man wird Griechenland ein Geschäft anbieten.“ Die Wahrscheinlichkeit für einen Ausstieg Athens aus dem Euro, den so genannten „Grexit“, veranschlagt er auf 35 Prozent. Pessimistischer ist Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank. Noch in der vergangenen Woche hatte er die Wahrscheinlichkeit bei 25 Prozent gesehen, doch nach dem Vorstoß von Eurogruppenchef Dijsselbloem ist sie nach Einschätzung von Krämer auf 50 Prozent gestiegen.
Einer Umfrage der Investmentberatung Sentix unter rund 1000 privaten und professionellen Anlegern in mehr als 20 Ländern zufolge erwarten 32 Prozent der Investoren einen „Grexit“ in den kommenden zwölf Monaten.
Wie würde ein Ausscheiden aus der Währungsunion vor sich gehen?
In dieser Hinsicht steht nur eines fest: „Es gibt in den Verträgen zur Währungsunion keine Ausstiegsklausel“, erklärt Klude. Weder ein Ausschluss noch ein freiwilliger Austritt ist vorgesehen. Allerdings kann ein Staat nach Artikel 50 des Lissabon-Vertrages aus der EU ausscheiden – und damit wäre de facto auch der Abschied von der Gemeinschaftswährung vollzogen. Unmittelbar danach könnte Griechenland der EU wieder beitreten, nur jetzt ohne den Euro. Aufgrund dieser juristischen Situation können die Partnerländer Athen zwar nicht direkt aus der Währungsunion ausschließen.
Indirekt geschähe das jedoch über die Europäische Zentralbank (EZB): „Sie würde die Finanzierung griechischer Banken unterbinden, damit wäre die Regierung praktisch gezwungen, eine neue Währung einzuführen“, sagt Klude. In diesem Fall würde die griechische Regierung voraussichtlich die Banken für einige Tage schließen und die Geldautomaten stilllegen, erklärt Commerzbank-Volkswirt Christoph Weil. Weil der Staat seine Rechnungen nicht mehr in Euro bezahlen könnte, würde er für eine Übergangszeit von einigen Wochen Schuldscheine ausgeben, die vorübergehend die Funktion einer Währung hätten, bis die neuen Scheine und Münzen ausgegeben werden können.
Was wird aus Griechenlands Schulden im Fall eines Ausstiegs?
„Eine neue griechische Währung würde gegenüber dem Euro drastisch abwerten“, sagt Weil. „Damit hätte Athen praktisch keine Chance, die weiter in Euro lautenden Staatsschulden zurückzuzahlen.“ Der Commerzbank-Experte geht davon aus, dass man sich mit den Gläubigern allenfalls auf eine Rückzahlungsquote von vielleicht zehn Prozent einigen könne. Trotz eines Schuldenschnitts im Jahr 2012 belaufen sich die Staatsschulden noch auf rund 315 Milliarden Euro. Gemessen an der jährlichen Wirtschaftsleistung sind das etwa 175 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland liegt die Schuldenquote bei 75 Prozent. Aus den bisherigen Hilfskreditprogrammen wurden bis Anfang Februar knapp 200 Milliarden Euro an Griechenland ausgezahlt. Der Beitrag Deutschlands beträgt nach Angaben von Weil gut 60 Milliarden Euro.
Was wären die Folgen eines „Grexit“ für Griechenland und die übrige Euro-Zone?
Alle Experten sind sich einig, was die unmittelbaren Folgen für Griechenland angeht: Die dortige Wirtschaft würde einbrechen, schon weil sich sämtliche Einfuhren sehr stark verteuern. Der Balkanstaat müsste sich dann wohl auf den Tourismus und die Landwirtschaft konzentrieren. Schon jetzt verzeichnet Griechenland mit fast 26 Prozent die höchste Arbeitslosenquote aller EU-Länder. Die negativen Auswirkungen eines „Grexit“ auf Deutschland und die Handelsdrehscheibe Hamburg wären jedoch überschaubar: Unter den Zielländern deutscher Exporte rangierte Griechenland im vergangenen Jahr bis einschließlich November nur auf Rang 38. Der Wert der deutschen Exporte in diesem Zeitraum lag bei 4,5 Milliarden Euro, während etwa nach Frankreich Waren und Dienstleistungen im Wert von 94 Milliarden Euro gingen. Allerdings wäre die Zeit der Griechenland-Hilfen auch nach einem Euro-Ausstieg des Landes wohl nicht vorbei. „Athen bräuchte dann so etwas wie einen Marshallplan“, sagt Weil, denn ein politisch und sozial instabiles EU- und Nato-Land könne niemand wünschen.
Nach Einschätzung von Klude dürften sich die Folgen eines Euro-Austritts für die Finanzmärkte in Grenzen halten: „Die Staatsschulden Griechenlands liegen kaum noch in privaten Händen, außerdem gibt es jetzt den Euro-Hilfsfonds ESM und die EZB hat zugesichert, alles zu tun, was nötig ist, um die Währungsunion zu bewahren.“
Ein Restrisiko bleibe aber bestehen – schließlich gibt es keine Erfahrungen mit einem Euro-Ausstieg.