Neues Ultimatum an Athen nach Scheitern der Verhandlungen. Alexis Tsipras nennt Gespräche mit der Eurogruppe „Zeitverlust“. Finanzminister Varoufakis bemüht einen Nazi-Vergleich.
Brüssel. Droht jetzt der „Grexit“, der Austritt der Griechen aus der Eurozone? Die Eurogruppe hat ihnen eine Frist bis Ende der Woche gesetzt, um doch noch Kompromissbereitschaft im Schuldenstreit zu zeigen. „Wir können diese Woche noch nutzen, aber das ist es“, sagte Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem nach dem Scheitern einer neuen Verhandlungsrunde in Brüssel. Wenn Griechenland von sich aus eine Verlängerung des Hilfsprogramms beantrage, sei man grundsätzlich bereit, am Freitag ein neues Treffen der Euro-Finanzminister zu organisieren.
Dijsselbloem verwies dabei auf parlamentarische Fristen. In einigen Euroländern müssten die Parlamente einer Verlängerung des eigentlich Ende des Monats auslaufenden Hilfsprogramms für Athen zustimmen.
Nicht einmal drei Stunden saßen die Euro-Finanzminister zusammen, da erklärte die griechische Regierung in Athen die Gespräche in Brüssel für gescheitert. Ein denkwürdiger Vorgang in der Kompromiss-erprobten EU-Hauptstadt. „Es kann heute keine Einigung geben“, empörte sich das neue Links-Rechts-Bündnis in Athen und stempelte die Verhandlungen der Euro-Minister als bloßen „Zeitverlust“ ab.
Der Grund: Die griechische Regierung sperrt sich gegen eine Verlängerung des aktuellen Hilfsprogramms. Der Entwurf für eine Erklärung der 19 Ressortchefs sei inakzeptabel, schimpfte ein Athener Regierungsvertreter. Ein Affront gegen den Rest in der Währungsunion. Denn die anderen Euro-Minister und die EU-Kommission plädieren für eine Verlängerung, um Zeit zu gewinnen. Was Athen aber wiederum von Anfang an als inakzeptabel abschmetterte.
Die Sache ist mehr als verfahren. Die Zeit für eine Lösung wird immer knapper, der Rahmen für einen Kompromiss immer kleiner. Schon die Vorzeichen vor der Euro-Runde konnten schlechter nicht sein. Er sei „sehr skeptisch“, hatte Finanzminister Wolfgang Schäuble zerknirscht in die Mikrofone gesagt, bevor er mit den anderen Euro-Kollegen einen Ausweg aus der Griechenland-Krise auslotete.
Die Zweifel an einer Lösung wachsen nach dem jüngsten Eklat noch mehr. Schon „technische Gespräche“ von Experten der Griechen und der Geldgeber am Wochenende brachten nichts. Hektische Telefonate und Vier-Augen-Gespräche führten nicht aus der Sackgasse. Die Finanzmärkte stellen sich auch auf die Möglichkeit eines „Grexit“-Szenarios ein, den Austritt Athens aus der Währungsunion.
In einem Gastbeitrag für die „New York Times“ bekräftigte der griechische Finanzminister Gianis Varoufakis, dass die harte Gesprächsführung seiner Regierung nichts mit Täuschungsmanövern zu habe. Wenn seine Erfahrung mit Spieltheorie ihn eines gelehrt habe, dann das, dass die aktuellen Verhandlungen nicht durch Bluffs oder taktische Tricksereien zu gewinnen seien, schrieb der Wirtschaftswissenschaftler. Die rote Linie, die seine Regierung aufgezeigt haben, seien nicht verhandelbar. So sollen zum Beispiel Privatisierungsprojekte überprüft werden, die Sparauflagen des bisherigen Rettungsprogramms nicht mehr erfüllt werden.
Die Euro-Runde begann am Nachmittag 45 Minuten später, doch Varoufakis ließ die anderen Kollegen trotzdem erst einmal warten – was natürlich den Eindruck verstärkte, da kämpft einer allein gegen 18. Immerhin, zunächst ging es um andere Themen, die Griechenland-Frage sollte später aufgerufen werden. Das Rätselraten unter den Ressortchefs dauerte zunächst an, dann ging es flott dem Ende zu.
Dass die Zeit drängt, ist allen Beteiligten klar. Denn Ende Februar läuft das Hilfsprogramm der Europäer aus, die letzte Milliarden-Rate liegt auf Eis. Der Grundkonflikt lautet: Ministerpräsident Alexis Tsipras lehnt große Teile der Auflagen für Hilfsgelder der Euro-Länder und des Internationalen Währungsfonds (IWF) wegen sozialer Härten ab.
Zugleich müssen neue Milliarden her – auch um Wahlversprechen zu finanzieren und Zusagen zu begleichen. Doch niemand leiht Athen ohne Garantien anderer noch Geld. Die Griechen behaupten, sie hätten eigentlich keine akuten Finanzprobleme – man brauche halt nur mehr Zeit. Aber: Genaues weiß man nicht. „Die griechische Regierung hat sich offenbar gar nicht bewegt“, kommentierte Schäuble zu Beginn der Gespräche in Brüssel.
Bis spätestens zum Sommer benötigt Athen einen zweistelligen Milliardenbetrag, um Zahlungsforderungen der Geldgeber zu erfüllen. Bis Montagnachmittag lagen aber weder konkrete Vorschläge der Griechen vor, noch belastbare Zahlen. Wenig förderlich für die Stimmung sind Aussagen von Varoufakis, der die Reform- und Sparauflagen der Euro-Partner schon mal ein „fiskalisches Waterboarding“ und einen „sozialen Holocaust“ nannte.
Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling sprach aus, was inzwischen alle in der Euro-Gruppe meinen: „Der Ball liegt bei den Griechen.“ Einhelliger Tenor: Die neue Regierung müsse endlich aus dem Wahlkampfmodus heraus und in der Realität ankommen.
Schäuble formulierte es auf seine Art: „Mir tun die Griechen leid. Sie haben eine Regierung gewählt, die sich im Augenblick ziemlich unverantwortlich verhält.“ Eine promptes Nein auch zum jüngsten Varoufakis-Vorstoß für ein europäisches Sozialprogramm auf Kosten aller. Zeitverschwendung sei das, wetterte Schäuble gen Athen. Ein angebliches Moratorium – also ein Deal Geld gegen eher lose Zusagen Athens – kam nicht so gut an in der Ministerrunde. „Das ist keine Grundlage für eine Lösung“, sagte ein frustrierter EU-Diplomat.
In den nächsten Tagen muss etwas passieren – auch weil Parlamente anderer Länder zustimmen müssen. Etwa der Bundestag, der nächste Woche tagt. Eine Verlängerung des bestehenden Hilfsprogramms, wie es die Euro-Länder schon 2014 vorschlugen, lehnt Athen bisher rigoros ab. Dort geht es offensichtlich um eine neue Brückenfinanzierung ohne große Auflagen.
Klare Worte kommen aus der Europäischen Zentralbank, die wie der IWF und die EU-Kommission Teil der „Institutionen“ ist, wie die in Athen verhasste „Troika“ der Geldgeber inzwischen genannt wird. Die Notenbank pocht auf eine Einigung. Ansonsten könne die EZB Hellas-Banken nicht länger stützen. Ohne weitere Milliarden aber würde es eng für Athen – eine Staatspleite und ein „Grexit“ rückten näher.