Derzeit verläuft die Front 200 Kilometer von einem AKW aus der Sowjetzeit entfernt, die den in der Region befindlichen Waffen nicht standhalten. In Brüssel geht es um neue Sanktionen gegen Russland.
Berlin/Moskau/Kiew/Mailand. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace sieht in den Kämpfen in der Ostukraine eine wachsende Gefahr für ein Atomkraftwerk in der Region. Die Front verläuft etwa 200 Kilometer vom AKW Saporoschje entfernt, dessen aus Sowjetzeiten stammende Reaktoren nur unzureichend gegen Beschuss geschützt seien. „Es gibt in der Region viele panzerbrechende Waffen, die diese Hülle durchschlagen können“, sagte Tobias Münchmeyer, Atomexperte von Greenpeace, der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ (Samstag).
Auch ein Angriff auf die Stromversorgung oder das Stromnetz könne durch den Ausfall der Kühlung verheerende Folgen haben, wie das Beispiel Fukushima gezeigt habe. Die deutsche Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) beobachtet die Entwicklung nach eigenen Angaben sehr genau und stehe in engem Austausch mit den Behörden in der Ukraine. Es gebe aber zurzeit „keine Informationen, die Anlass zu konkreten Beunruhigungen geben“, teilte die GRS nach Angaben der Zeitung mit.
Angesichts der immer stärkeren Einmischung Russlands in den blutigen Konflikt in der Ostukraine droht Moskau am Sonnabend nun eine neue Runde von Sanktionen. Bei ihrem Sondergipfel in Brüssel wollen die EU-Staats- und Regierungschefs am Samstag eigentlich über die Neubesetzung von zwei Topposten entscheiden, doch stehen auch Beratungen über verschärfte Sanktionen auf der Tagesordnung. Schon am Freitag hatten die Außenminister der EU bei ihrem Treffen in Mailand das Vorgehen Moskaus zur Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine als „Invasion“ bewertet.
Der Ton des Westens gegenüber Moskau hat sich in den vergangenen Tagen deutlich verschärft. In Berlin sagte Regierungssprecher Steffen Seibert, es hätten sich Hinweise auf die Präsenz von Russen und die Verwendung russischer Waffen in der Ukraine verdichtet. „Das alles zusammen addiert sich zu einer militärischen Intervention.“
Am Abend kam es zu einem Zwischenfall in Polen. Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu konnte nur mit Verzögerung über den polnischen Luftraum aus der Slowakei in seine Heimat zurückkehren. Die polnische Luftaufsicht hatte zunächst ein Überflugverbot verhängt und dies mit formalen Problemen begründet. Der Überflug wurde erst nach einigem diplomatischen Tauziehen genehmigt. Polen gehört zu den Staaten, die das russische Vorgehen in der Ukraine besonders scharf kritisieren.
Die Nato forderte von Moskau ein Ende von Militäraktionen in der Ukraine, wobei Russland solche Einsätze erneut bestritt. „Wir hören solche Spekulationen nicht zum ersten Mal, aber die USA haben sie nie mit Fakten belegt“, sagte Außenminister Sergej Lawrow. Von Washington vorgelegte Satellitenbilder mit angeblichen russischen Truppenbewegungen seien als Beweise ungeeignet.
Nach Nato-Angaben sollen im Osten des Landes mehr als 1000 russische Soldaten im Einsatz sein. „Wir verdammen in schärfster Weise, dass Russland fortgesetzt seine internationalen Verpflichtungen missachtet“, sagte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in Brüssel.
Der US-Nachrichtensender CNN berichtete unter Berufung auf eine nicht näher genannte britische Regierungsquelle, es würden sogar 4000 bis 5000 russische Soldaten in der Gegend von Donezk und Lugansk kämpfen. Zudem stünden an der Grenze zur Ukraine etwa 20.000 russische Soldaten.
Der Schweizer Außenminister und Präsident der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE), Didier Burkhalter, äußerte große Besorgnis über die Ausweitung der militärischen Konfrontation auf weitere Gebiete in der Ostukraine. Nach OSZE-Angaben vom Freitag in Bern nannte Burkhalter Berichte über den wachsenden Strom von militärischem Personal und Ausrüstung aus Russland in die Ukraine äußerst besorgniserregend. Dies müsse gründlich untersucht werden. Die territoriale Integrität und die Souveränität der Ukraine müssten von allen Seiten und zu jeder Zeit respektiert und bewahrt werden, forderte Burkhalter.
US-Präsident Barack Obama machte Moskau für die Gewalt verantwortlich, schloss ein militärisches Eingreifen aber aus. Es gebe Wege, die gegen Russland verhängten Sanktionen zu erweitern.
Die EU hatte Ende Juli den Zugang russischer Banken zu den EU-Finanzmärkten erschwert, bestimmte Hochtechnologie-Exporte verboten und Ausfuhrverbote gegen Spezialgeräte zur Ölförderung verhängt. „Es kann jetzt nicht das Gleiche sein, es muss etwas anderes sein“, sagte der schwedische Außenminister Carl Bildt zu möglichen neuen Sanktionen. Der estnische Außenminister Urmas Paet forderte „Sanktionen, die wirklich wehtun“.
Seit Mitte Juli hat sich die Zahl der Toten in der Ukraine nach UN-Angaben auf fast 2600 verdoppelt. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte warf den Separatisten eine Terrorherrschaft in den von ihnen kontrollierten Städten vor.