Deserteure haben in der syrischen Haupstadt Militärbasen von Präsident Assad angegriffen. Arabische Liga schließt Syrien endgültig aus.
Beirut/Kairo. Angesichts der anhaltenden Gewalt gegen Regierungskritiker wird Syrien endgültig aus der Arabischen Liga ausgeschlossen. Das gaben die Außenminister der Organisation am Mittwoch in Marokko bekannt.
Die Liga hatte Syrien bereits am vergangenen Sonnabend bis auf Weites ausgeschlossen und Damaskus bis Mittwoch Zeit gegeben, die Gewalt gegen Zivilpersonen einzustellen. Die Außenminister erklärten, Syrien solle sich in den kommenden drei Tagen zu einem Plan der Arabischen Liga äußern, der unter anderem die Entsendung einer Beobachtermission vorsehe.
In dem Land, dass seit Wochen einem Bürgerkrieg entgegentaumelt, eskaliert die Lage unterdessen weiter : In der Nacht zum Mittwoch haben syrische Deserteure nach Angaben von Oppositionellen in Vororten der Hauptstadt Damaskus mehrere Angriffe auf Militärbasen von Präsident Baschar Assad gestartet. Die größte Offensive habe einem vom syrischen Geheimdienst betriebenem Anwesen im Vorort Harasta gegolten, erklärte die "Freie Syrische Armee“ in einer Stellungnahme. Auch Militärstützpunkte in den Vororten Duma, Kabun, Arabeen und Sakba seien attackiert worden. Offizielle Berichte über Verletzte oder Todesopfer lagen zunächst nicht vor. Oppositionelle sprachen von sechs getöteten und 20 verletzten Soldaten der Regierungstruppen.
Wie syrische Aktivisten in der libanesischen Hauptstadt Beirut weiter mitteilten, beschossen die Deserteure das Gebäude des Luftwaffen-Geheimdienstes in der Ortschaft Harasta mit Panzerabwehrraketen. Anschließend sei es zu einem Schusswechsel mit den Soldaten des Regimes von Präsident Baschar al-Assad gekommen.
In den syrischen Provinzen Idlib, Homs und Damaskus-Land wurden am Mittwoch nach Angaben der sogenannten Revolutionskomitees sieben Menschen von den Sicherheitskräften getötet. Die staatliche Nachrichtenagentur Sana meldete, am Vortag hätten Extremisten einen Polizisten und einen Lehrer erschossen. In der Vergangenheit haben sich Kämpfe zwischen Soldaten und mutmaßlichen Deserteuren eher auf die Provinzen Idlib und Daraa sowie auf die Protesthochburg Homs konzentriert.
Syrische Regierung verhindert Berichterstattung
Ein Vertreter der syrischen Opposition erklärte, die Deserteure hätten die Geheimdiensteinrichtung in Harasta von drei Seiten angegriffen. Dabei kamen demnach Maschinengewehre und raketenbetriebene Granaten zum Einsatz. Das Verwaltungsgebäude sei beschädigt worden. Ein nahegelegenes Gebäude, in dem Gefangene inhaftiert sind, hätten die Angreifer bewusst nicht ins Visier genommen. Berichte über Verletzte oder Todesopfer lagen zunächst nicht vor.
Die Angaben konnten nicht von unabhängiger Seite bestätigt werden. Die syrische Regierung hat jegliche unabhängige Beobachtung verhindert und die meisten ausländischen Journalisten ausgesperrt. Deshalb sind Berichte von Aktivisten und Augenzeugen die wichtigsten Quellen.
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Unterdessen wurden am Mittwoch nach Angaben von Aktivisten vier Menschen in der Provinz Hama getötet, nachdem sie von Regierungstruppen aus dem Hinterhalt angegriffen wurden. Unter den Getöteten waren drei Deserteure, wie das in London ansässige Syrische Observatorium für Menschenrechte berichtete. Das örtliche Koordinationskomitee sprach von drei Todesopfern am Mittwoch.
Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind beim Vorgehen des Regimes gegen seine Gegner seit März bisher 3.500 Menschen getötet worden. Die Behörden machen bewaffnete Banden für den Tod von 1100 Soldaten und Polizisten verantwortlich. Der November war mit mehr als 300 Toten laut Aktivisten bisher der blutigste Monat.
Arabisches Ministertreffen ohne Syrien
Unterdessen sind am Mittwoch die Außenminister der Arabischen Liga zu einem Sondertreffen nach Marokko geflogen, um über weitere Zwangsmaßnahmen gegen Syrien zu beraten. Die syrische Regierung hatte am Dienstagabend mitgeteilt, sie werde keinen Vertreter zu dem Treffen in Rabat entsenden. Dies wurde in arabischen Ländern als Hinweis gewertet, dass Assads Regime keine Möglichkeit mehr sieht, sich doch noch mit den Arabern zu einigen. An dem Treffen in Marokko nimmt auch der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu teil.
Die Minister hatten am vergangenen Sonnabend beschlossen , Syrien wegen der gewaltsamen Unterdrückung der Protestbewegung mit Wirkung ab Mittwochabend auf unbestimmte Zeit aus der Liga auszuschließen. In Rabat geht es jetzt darum, welche konkreten politischen und wirtschaftlichen Sanktionen die arabischen Staaten zusätzlich einsetzen, um das Regime weiter unter Druck zu setzen. Denkbar wären beispielsweise ähnliche Maßnahmen, wie sie die EU bereits ergriffen hat. Die Europäer haben unter anderem die Vermögenswerte von syrischen Spitzenfunktionären, Angehörigen des Assad-Clans und führenden Beamten im Sicherheitsapparat eingefroren.
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Am Dienstag hatte die Arabische Liga die syrische Opposition aufgerufen, Pläne für eine Machtübernahme vorzulegen. Am Sitz des Staatenbundes in Kairo kamen Liga-Vertreter zu informellen Gesprächen mit Regierungsgegnern zusammen. Die Liga werde in Kürze einen Termin für eine offizielle Konferenz verkünden, sagte Abdel Basset Sedah, Mitglied des oppositionellen Nationalrates. Dabei soll diskutiert werden, wie eine Übergangsperiode nach dem angestrebten Sturz von Assad aussehen könnte, der seit acht Monaten gewaltsam gegen eine Revolte vorgeht.
Für Assad war die Ausgrenzung aus der Liga besonders schmerzlich, hatte er sich doch stets als Vertreter eines geeinten Arabiens präsentiert. Nach dem Schritt hatten Menschenmassen die Botschaften der Türkei und Saudi-Arabiens in Syrien angegriffen wie auch französische Vertretungen. Der UN-Sicherheitsrat verurteilte die Übergriffe am Dienstag einstimmig. Syriens Außenminister Walid Mualem hatte sich am Montag für die Gewalt entschuldigt.
Türkei droht mit Ende von Stromlieferungen
Derweil erhöhen die syrischen Nachbarn den Druck auf die Regierung in Damaskus von zwei Seiten: Die Türkei spricht von einer verpassten "letzten Chance“ und droht mit der Kappung von Stromlieferungen, die Arabische Liga berät mit der Opposition Pläne für eine Machtübergabe. Syrien entließ nach staatlichen Angaben mehr als 1100 Gefangene aus der Haft.
Der einstige Verbündete Türkei warf Syrien am Dienstag vor, es habe eine letzte Chance ungenutzt verstreichen lassen. "Das Regime ignoriert die Forderungen seines Volks“, sagte Außenminister Ahmet Davutoglu. Ministerpräsident Tayyip Erdogan warnte, die Regierung stehe "auf des Messers Schneide“. Das Nachbarland ist zu einem der schärfsten Kritiker der autokratischen Regierung geworden, schreckt aber anders als die EU und die USA bislang vor harten Sanktionen zurück.
Die Entscheidung, Strom nach Syrien zu liefern, könnte nun aber überdacht werden, sollte die Regierung bei ihrer harten Linie bleiben, sagte Energieminister Taner Yildiz. Abseits des hohen Symbolgehalts dürften die praktischen Auswirkungen aber überschaubar bleiben: Syrien produziert mehr Strom als es verbraucht und könnte zudem auf Lieferungen aus Jordanien und dem Libanon zurückgreifen.
Die syrische Regierung kündigte wegen der Sanktionen des Westens an, den Handel mit asiatischen und afrikanischen Ländern auszubauen. Es gebe eine Menge Möglichkeiten, sagte Wirtschaftsminister Mohammed Nidal al-Schaar der ägyptischen Zeitung "Al-Alam al Jum“ und erwähnte auch Länder wie Russland, Weißrussland und Kasachstan.
Unter dem Eindruck des wachsenden diplomatischen Drucks entließ die Regierung einen prominenten Regierungsgegner vorzeitig aus der Haft. Kamal Labwani war wegen Präsidentenbeleidigung und Anstachelung einer ausländischen Invasion zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden.
Mit Material von dpa, rtr dapd und kna