Ein BND-Vermittler hat den Gefangenenaustausch vorangebracht. Hamas und Israel sehen sich als Sieger im diplomatischen Poker.
Tel Aviv/Berlin. Der israelische Staatspräsident Schimon Peres hat dem deutschen Vermittler Gerhard Konrad (oder auch Conrad) persönlich für dessen Hilfe bei den Verhandlungen über den Gefangenenaustausch in Nahost gedankt. Der Amtssitz von Peres teilte mit, der Friedensnobelpreisträger habe sich mit dem deutschen Gesandten sowie Vertretern des Bundesnachrichtendienstes (BND) getroffen. Peres habe auch Bundeskanzlerin Angela Merkel Dank für „den wichtigen Beitrag Deutschlands zur Freilassung und Rückkehr (des israelischen Soldaten Gilad) Schalit in seine Heimat“ ausgesprochen. „Sie haben unter schwierigen Bedingungen und in einer komplexen Umgebung auf professionelle, kluge und ausdauernde Weise Verhandlungen geführt“.
Die Vereinbarung zur Freilassung von Gilad Schalit gegen rund 1000 palästinensische Häftlinge erlaubt es beiden Seiten, sich als Sieger zu zeigen. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kann für sich in Anspruch nehmen, einen jungen Soldaten nach Hause gebracht zu haben, an dessen Schicksal die ganze Nation Anteil nahm. Die in einen Machtkampf mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas verstrickte Hamas ihrerseits kann sich rühmen, den Austausch mit dem bisher größten Ungleichgewicht erreicht zu haben.
Beide mussten jedoch schmerzliche Zugeständnisse machen, die noch vor kurzem vielleicht unmöglich gewesen wären. Die Freilassung von 300 Palästinensern etwa, die wegen tödlicher Anschläge auf Israelis zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden waren, ist ein Pluspunkt für die Hamas: Israel hat sich immer dagegen gewehrt, Häftlinge mit „Blut an ihren Händen“ freizulassen. Andererseits bleiben die prominentesten Gefangenen wie der Fatah-Politiker Marwan Barghuti weiter hinter Gittern.
Für Netanjahu, dessen Karriere auf seinem Ruf als Hardliner gegen den Terrorismus gründet, musste jeglicher Deal eine bittere Pille sein. Manche Israelis hatten gehofft, dass Schalit mit einer wagemutigen Kommandoaktion befreit werden würde. Doch eine gescheiterte Aktion aus dem Jahr 1994 ist noch nicht vergessen, bei der der verschleppte Soldat und ein Retter getötet wurden. Der Fall des 1986 über dem Libanon abgeschossenen Waffensystemoffiziers Ron Arad verstärkte den Druck noch: Arad war lebend gefangen genommen worden, doch bald danach verlor sich seine Spur. In Israel blieb der bittere Verdacht, dass die Gelegenheit verpasst wurde, über seine Freilassung zu verhandeln.
Der deutsche Agent mit dem mutmaßlichen Namen Konrad ist eine mysteriöse Figur. Bis heute existiert von dem BND-Mann, der schon seit vielen Jahren im Nahen Osten aktiv ist, kein einziges Foto. Aber das gehört in dem Job wohl dazu. Auch das Aussehen wechselt: Zur Zeit trägt Konrad Schnauzbart und Brille, das Haar grau meliert. Er ist um die 50, etwa 1,85 Meter groß, kräftige Statur, ebensolcher Händedruck. Bei offiziellen Terminen kleidet er sich mit Anzug und Krawatte. Eher der Typ Manager als Geheimdienst-Beamter. Er spricht perfekt Arabisch, Französisch und Englisch. Seine Frau arbeitet ebenfalls beim BND.
Vor seiner Geheimdienst-Zeit studierte er in Heidelberg Islamwissenschaften und machte auch seinen Doktor. Zu Beginn der BND-Jahre war er in den deutschen Botschaften in Beirut und Damaskus beschäftigt. Aus dieser Zeit stammen seine guten Kontakte zu den Palästinensern. Seit zehn Jahren arbeitet er in der BND-Zentrale, als „Mann für die besonders schwierigen Fälle“ („Süddeutsche Zeitung“).
Konrad (oder Conrad) war schon 2004 dabei, als zwischen Israel und libanesischer Hisbollah-Miliz ein Häftlingsaustausch ausgehandelt wurde. Bekannt wurde er vor zweieinhalb Jahren: 2008 wurden die Leichen zweier israelischer Soldaten gegen fünf in Israel inhaftierte Hisbollah-Männer sowie 200 tote Kämpfer ausgetauscht. Seither trug er den Namen „Mister Hisbollah“.
Gilad Schalit, der vor fünfeinhalb Jahren in den von der Hamas beherrschten Gazastreifen verschleppt wurde, war nun wieder ein besonders schwieriger Fall. Offiziell wird von deutscher Seite mit der radikal-islamischen Palästinenserorganisation überhaupt nicht gesprochen. Konrad war deshalb seit Sommer 2009 mit „persönlichem Mandat“ unterwegs. Was ihn aber nicht daran hinderte, höchste deutsche Regierungsstellen regelmäßig zu informieren.
Profitieren konnte der Vermittler davon, dass der BND im Nahen Osten einen guten Ruf hat – was nicht überall so ist. Die Deutschen gelten als ehrliche Makler, die keine Seite übervorteilen. Nur einmal – im vorigen Sommer – kündigte ein Hamas-Sprecher die Zusammenarbeit auf, weil der Vermittler einseitig israelische Positionen übernommen habe. Der Hamas-Statthalter im Gazastreifen, Mahmud al-Sahar, entschied jedoch, ihn im Spiel zu lassen.
Mehrmals gab es Rückschläge – nicht nur, weil sowohl bei Israelis als auch bei Palästinensern intern gestritten wurde. Nach dem Sturz von Präsident Husni Mubarak mussten die Ägypter ihre Verhandler nahezu komplett austauschen, was die Gespräche praktisch zum Erliegen brachte. Auch beim BND wird aber betont, dass den Ägyptern immer noch der größte Verdienst an der Freilassung gebühre.
Trotzdem dankte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu jetzt ausdrücklich auch dem „deutschen Vermittler“ für seine Mitarbeit. Dessen Namen nannte auch Netanjahu selbstverständlich nicht. Aber seit dem neuesten Deal heißt der Deutsche in den entsprechenden Zirkeln jetzt auch „Mister Hamas“. (abendblatt.de/dapd/dpa)