Kanzlerin Angela Merkel erlebt in Afrika, wie schwierig Verhandlungen mit Despoten sein können. Deutschland will aber mit China konkurrieren.
Luanda/Abuja. Es muss sehr viel Ärger zusammenkommen, bis einem Staatssekretär für Außenwirtschaft, der gute Geschäfte machen will, der Kragen platzt. Am Mittwoch, kurz vor 11 Uhr angolanischer Ortszeit, ist es hinter den dicken Mauern des Präsidentenpalastes in Luanda so weit. Jochen Homann, parteilos, seit 29 Jahren Beamter, kann nicht mehr an sich halten. Er ist 6882 Kilometer hierhergeflogen. Er hat seine Kanzlerin mitten in der Euro-Krise auf den Schwarzen Kontinent entführt.
Mit Angela Merkel und drei Vorständen namhafter Konzerne sowie fast einem Dutzend tüchtiger Unternehmer ist er ins stickige, malariaverseuchte Luanda gefahren. Sie haben sich vorgenommen, die blutige Geschichte des seit 30 Jahren durch Krieg und Frieden regierenden Diktators José dos Santos zu ignorieren, seinen obszön großen Swimmingpool im wunderschönen Regierungssitz zu übersehen oder auch den Spielplatz für seine sieben Kinder von drei Frauen. Homann hat auch noch hingenommen, dass am Morgen vor dem entscheidenden Treffen millionenschwere Deals plötzlich stockten, weil angolanische Bürokraten sich gegenseitig blockieren. Aber als sich jetzt, vor dem Präsidenten und der Kanzlerin, ein Gastgeber auch noch beschwert, da kann Homann nicht mehr an sich halten. "Es liegt wirklich nicht an uns, dass hier nichts unterschrieben wird", bricht es aus ihm heraus, berichten Teilnehmer des Gesprächs anschließend. Der undiplomatische Ausbruch des Staatssekretärs wird sogar von Diplomaten gelobt: Vier Wirtschaftsabkommen wollte Merkel in Luanda unterzeichnen. Drei platzten in letzter Minute. Auf das vierte verzichtete die Kanzlerin dann ihrerseits. Ihre Delegation verließ Angola frustriert.
In Nigeria, wo die deutsche Regierungsmaschine gestern parkte, und in Kenia, wo die Reise am Montag begann, läuft es zwar nicht ganz so schlimm wie in Angola. Aber ein großer Deal kam bisher nirgendwo zustande. Umso ärgerlicher, weil dies im Kern eine Geschäftsreise ist. Angela Merkel, die einst als Verfechterin einer "werteorientierten Außenpolitik" antrat und auf ihren Reisen in Diktaturen wann immer möglich auf einem Gespräch mit Vertretern der Zivilgesellschaft besteht, folgt in Afrika erstmals diesem Konzept ihres Koalitionspartners: "Auf Augenhöhe" soll Deutschland künftig mit den Ländern des Krisenkontinents verhandeln, beschlossen der Außen-, der Wirtschafts- und der Entwicklungsminister von der FDP. Guido Westerwelle, Rainer Brüderle und Dirk Niebel wollten nicht länger zusehen, wie China und andere die Rohstoffmärkte unter sich aufteilten. Darum standen die Öl-Länder Angola und Nigeria auf Merkels Reiseplan und nicht Staaten, die in Sachen Demokratie und Rechtsstaat weiter sind.
Weg vom Menschenrechtspaternalismus, hin zur Geschäftspartnerschaft. Das klang prinzipiell gut, bestand aber seinen ersten Praxistest überhaupt nicht. Schon die Wirtschaftsdelegation, die Merkel begleitet, gerät viel kleiner als bei vergleichbaren Reisen nach Asien. Deutschland ist ein Land der Mittelständler, die Firmenchefs sind meist anständige Familienväter und fremdeln mit Geschäftspartnern, die auf sie wie eine Mischung aus Politikern und Gangstern wirken. Mangelnder Rechtsschutz bedroht Investments in Afrika generell. Die Rohstoffländer Angola und Nigeria befinden sich zudem in einer Art Goldrausch. "Hier muss man Millionen auf den Tisch legen, um überhaupt ernst genommen zu werden", klagt ein Delegationsteilnehmer.
Öl-Geld und sozialistische Strukturen - wie fatal diese unglückselige Kombination wirkt, lernt Merkel im ehemaligen DDR-Partnerland schmerzhaft. Ein Projekt zur Erkundung von Rohstoffen, das unterschrieben werden sollte, scheitert am Misstrauen der Armee. Ein deutscher Unternehmer wollte einen Teil des unzureichend erschlossenen Angola dafür aus der Luft neu kartografieren. Doch die Generäle - die sich noch vor zehn Jahren im Bürgerkrieg gegenseitig bekriegten - können sich partout nicht vorstellen, dass jemand in friedlicher Absicht Luftaufklärung betreibt. Ein anderer deutscher Konzern wollte Glasfaserkabel herstellen, um die Millionenstadt Luanda flächendeckend ans Internet anzuschließen. Unüberwindbares Hindernis: Zwei Ministerien streiten um die Zuständigkeit, das Unterfangen zu prüfen.
Ironischerweise blieb sogar das Projekt, das der Bundeskanzlerin eine Menge Ärger machte und bald noch mehr Ärger machen wird, in der angolanischen Bürokratie hängen: die schon legendären Patrouillenboote, über die sich ganz Deutschland erregt. Es handelt sich um sechs bis acht Wasserfahrzeuge, 28 oder 41 Meter lang, die Friedrich Lürßen, der Chef der gleichnamigen Werft aus Bremen, gern den Angolanern verkaufen möchte. Die mit Maschinengewehren und kleinen Kanonen bewaffneten Boote sollen an Angolas Seegrenze patrouillieren, Schmuggler abhalten und Fischgründe vor industriell organisierter Wilderei schützen. Wohl ein unproblematisches Geschäft. Doch Merkel und ihre Leute kommunizieren es so ungeschickt, dass es wie ein kleiner Skandal wirkt. Am Mittwochmorgen zählt Merkel auf einem "Wirtschaftsforum" von deutschen und angolanischen Unternehmen die geplanten Projekte auf und sagt dabei: "Wir würden Ihnen auch gerne bei Ihren Verteidigungsanstrengungen helfen, zum Beispiel bei der Ertüchtigung der Marine." Die mitreisenden Journalisten sind alarmiert: In der Vorbereitung der Reise war von einem maritimen Waffengeschäft nicht die Rede gewesen - hat Merkel sich etwa verplappert? Nachfragen geht nicht: Merkel und ihr Sprecher sind gerade beim Präsidenten. Anderswo recherchieren geht aber auch nicht, weil alle Berichterstatter ihre Mobilfunkgeräte vor Betreten des Palastes abgeben mussten. Die Meldung von der "ertüchtigten Marine" erreicht also ohne Zusatzinformationen Deutschland - wo die Redaktionen durch den vor einer Woche aufgeflogenen Panzer-Deal mit Saudi-Arabien hypersensibilisiert auf jeden Waffenverkauf reagieren.
Der Erste, den die deutschen Journalisten Stunden später um Auskunft bitten können, ist ausgerechnet der potenzielle Käufer. Angolas Präsident antwortet auf einer kurzen Pressekonferenz: "Wir haben ein deutsches Angebot für die Kriegsmarine erhalten." Also doch? Merkel, die schon bei der Frage abschätzig "ts, ts" gemacht hat, interveniert jetzt und sagt sehr knapp, dass es nur um "Grenzsicherung" gehe. Merkels Afrika-Beauftragter Günter Nooke scherzt noch: "Warum wir denen ausgerechnet Boote verkaufen? Damit kann man keine Demonstranten platt walzen." Doch die Empörung ist nicht mehr aufzuhalten: In Deutschland liefern sich Claudia Roth und Gregor Gysi ein Wettrennen um die schärfste Verurteilung. Merkel, die wegen der Euro-Krise sowieso unglücklich wirkt, scheint jede Fortune verloren zu haben: Jetzt wird ihre Regierung sogar für ein Rüstungsgeschäft geprügelt, das streng genommen gar keins ist und außerdem gar nicht abgeschlossen wurde.